Liebe Mitbetroffene, Mitdenkende, Mitfühlende!
Habe seit 06.11.2013 immer mal wieder reflektiert, ob ich mich persönlich zu m. "Mobbingfällen" äußern möchte, zumal es mir kaum möglich erscheint, wirkliche Anonymität zu wahren - selbst wenn Fallschilderungen versuchsweise neutralisiert werden. Ich habe mich daher entschieden, allgemeine Ursachen für Mobbing (aus m. Erfahrung und subjektiven Sicht) anzusprechen. Zuvor seien dennoch einige persönliche Bemerkungen gestattet, damit dieser Beitrag nicht allzu abstrakt wirkt.
1) Ich nehme seit m. Konfirmandenzeit eine Riesenkluft wahr zwischen Universitätstheologie, dem Laienverständnis von "Glauben", Bekenntnis, Möglichkeiten und Sinn liturgischer Abläufe und Inhalte, Predigtmodellen und -verständnis sowie enormer Chancen bzw. völliger Unterschätzung der Bedeutung von Kasualien (Trauerfeier + Bestattung, Trauung, Taufe), Möglichkeíten bei Schulunterricht und Schulgottesdiensten, Erwachsenenbildung (Gemeindeseminare u.ä.) u.v.m.
2) Ich habe selbst erlebt, dass in einer Kirchengemeinde von ca. 300 Gd-Besuchern (Konfirmation) niemand in der Lage oder Willens war, m. Fragen, die ich als 14,5jähriger - nach Aufforderung und Ermutigung des Gemeindepfarrers - an die Gemeinde richtete, zu beantworten. (Der angetrunkene Großvater m. besten Freundes zeigte wenigstens eine Reaktion: Er verließ kopfschüttelnd die Kirche!) Dieses Erlebnis als Jugendlicher war prägend für meine Entwicklung (die ich hier aussparen muss, die sich aber vielleicht nach m. Pensionierung mal autobiographisch niederschlagen mag; hier nur das Nötigste zum Verständnis).
3) Mein Vertrauen in die Institution Kirche war erschüttert; die Menschen, die sich zu ihr halten, schienen mir ziemlich unaufgeklärt, unkritisch oder gar gleichgültig - keine Bereitschaft zum Nachdenken oder sich tiefer gehend zu informieren.
4) Da ich schon als Jugendlicher ein kritischer Geist war und mich mit Philosophie und Religionskritik (Feuerbach, Freud, Nietzsche) auseinandersetzte, aber auch die Bibel las, geriet ich in geistige, innere Nöte; erschwerend kam hinzu, dass ich mit viel Gewalt aufgewachsen bin und in vielerlei Hinsicht keine Heimat hatte. Vorübergehend versuchte ich "m. Glück" in Freikirchen; diese waren und blieben mir aber suspekt, weil ihre "Systeme" allzu eng gestrickt waren, keine Freiheit des Geistes herrschte und viele Widersprüche bemerkbar waren.
5) Weltanschaulich blieb ich ein Suchender und ein Wanderer. Ich denke, dass ich "aus Schwäche" zur Religion gefunden habe; aber Heimal gab und gibt sie mir nicht. Ich werde als fröhlicher, humorvoller Mensch wahrgenommen und wirke manchmal durchaus ansteckend. Ich helfe gern, wo ich kann, habe für nahezu jede menschliche Schwäche Verständnis, wundere mich aber aber über all das Destruktive, Niederträchtige, wessen die Gattung Mensch fähig ist - auch über die Dummheit und Blindheit, mit der langfristig unsere Erde weltweit zu einer "Mondlandschaft" (Rüdiger Safranski) umgestaltet wird. Ist der "Mammonismus" (die Religion des Geldes als die alles bestimmende Wirklichkeit) vielleicht eine Folge von Selbsthass oder Nekrophilie (Liebe zu totem, leblosen Material, Verfaultem)?
6) Selbst wenn Pfarrer oder Theologen keine anderen Fächer studiert haben, sind doch viele lobenswerterweise interessiert, sich interdisziplinär oder breitgefächert weiterzubilden, und manchmal kann man sogar einer Predigt abspüren, dass sich hier jmd. nicht nur mit Bibelauslegung begnügt. Aber allein innerhalb des theologischen Hintergrundes müsste aus m. Sicht fast jeder Pfr. intellektuelle Probleme haben: Das im Studium Erworbene kann er oder sie m.E. kaum an die Gemeinde - damit m. ich stets die Kerngemeinde der Gd-Besucher, nicht die "am Rande Angesiedelten, aber nicht Fernstehenden - herantragen, es sei denn, es handelt sich um überaus Tolerante oder Wißbegierige.
7) Ich habe m. Dienst immer mehr als Aufklärungsarbeit betrachtet (im Gd), allerdings auch mit viel Humor, Selbstironie und großer Bereitschaft zu Diskussionen. Die Hausbesuche anläßlich von Taufe, Trauung, Trauerfeier, Bestattung waren mir stets besonders wichtig. Da ging es mir vorwiegend ums gegenseitige Kennenlernen und natürlich um Vorbereitung des jeweiligen Kasus. Beides wurde sehr dankbar angenommen. Ich glaube, ja, ich weiß, daß viele KollegInnen versuchen, auf ihre Weise einen "pastoralen Idealismus" zu leben und dann durch besserwisserische, machtlüsterne, narzistische MitarbeiterInnen des Presbyteriums (o.a.), die sich (vermutlich unbewusst) für ach so wichtig und unersetzlich halten, angefeindet und verschlissen werden.
8) Dummheit, Machtgier, Ignoranz - eine gefährliche Mischung, die es freilich auch andernorts (z.B. in der Politik) gibt, nur: die "churchies" (Kirchenleute) sollten sich mal daran erinnern, dass sie ständig "Nächstenliebe", Menschlichkeit, Solidarität mit den Armen, Unrecht Leidenden, Schwachen propagieren - für etwaige Widersprüche ist man freilich blind; das hat man antrainiert!
9) Wo bleibt das Eintreten für das Reich Gottes, das Königreich der Himmel - ein Grundanliegen des Rabbi von Nazareth?! Oder ist m. Dauerverdacht mehr als begründet, dass Jesus schon seit ca. 2000 J. (spätestens seit 1500 J.) längst in Kirchenmauern einge-mauert und christologisch festzementiert worden ist?! (Zu diesem Thema wäre m.E. in jeder Gemeinde ein Seminar nötig.)
10) Die Ursachen fürs Mobbing in der Kirche sind vielschichtig. Bei mir liegen sie offenbar darin, dass ich absolut kein "churchy" (Wortschöpfung von mir) bin; mit einigen kirchlichen Strukturen bin ich nicht "kompatibel". Jemand sagte mir (wohlwollend), ich sei zu nonkonformistisch (unangepasst). - Ich wünsche uns allen, dass wir dennoch unverwechselbare Individiuen und nach Möglichkeit sogar Originale bleiben, gerade in der Nachfolge des Nazareners.