Wann liegt der Verdacht auf Mobbing nah?

#1 von Achim , 07.03.2021 14:34

Mancher spricht schon von Mobbing, wenn der Chef mal unwirsch reagiert oder Kollegen den eigenen Gruß nicht erwidern. Das können Anzeichen für Mobbing sein, müssen es aber nicht. Mobbing kommt erst in Betracht, wenn aus der Gesamtschau die systematische Ausgrenzung des Betroffenen erkennbar wird, wobei nach arbeitspsychologischen Erkenntnissen Mobbinghandlungen in fünf Kategorien eingeteilt werden. Hierzu gehören 1. Eingriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen; 2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen; 3. Angriffe auf das
soziale Ansehen; 4. Angriffe auf die Berufs- und Lebenssituation; 5. Eingriffe auf die Gesundheit. Bei der Beurteilung ob Mobbing vorliegt, werden durch Arbeitspsychologen und Arbeitsmediziner die von Professor Leymann herausgearbeiteten nachfolgenden 45 Fragen zur Beurteilung, ob Mobbing vorliegt, herangezogen.

1. Angriffe auf die Möglichkeiten sich mitzuteilen
1 Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten ein, sich zu äußern
2 Man wird ständig unterbrochen
3 Kollegen schränken die Möglichkeiten ein, sich zu äußern
4 Anschreien oder lautes Schimpfen
5 Ständige Kritik an der Arbeit
6 Ständige Kritik am Privatleben
7 Telefonterror
8 Mündliche Drohungen
9 Schriftliche Drohungen
10 Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke und Gesten
11 Kontaktverweigerung durch Andeutungen, ohne daß man etwas direkt ausspricht

2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen
12 Man spricht nicht mehr mit dem/der Betroffenen
13 Man lässt sich nicht ansprechen
14 Versetzungen in einen Raum weitab von den Kollegen
15 Den Arbeitskollegen wird verboten, den Betroffenen anzusprechen
16 Man wird wie >>Luft<< behandelt

3. Angriffe auf das soziale Ansehen
17 Hinter de Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen
18 Man verbreitet Gerüchte
19 Man macht jemanden lächerlich
20 Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein
21 Man will jemanden zu einer psychatrischen Untersuchung zwingen
22 Man macht sich über eine Behinderung lustig
23 Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu
machen
24 Man greift die politische oder religiöse Einstellung an
25 Man macht sich über das Privatleben lustig
26 Man macht sich über die Nationalität lustig
27 Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die sein Selbstbewußtsein
verletzen

28 Man beurteilt den Arbeitsplatz in falscher oder kränkender Weise
29 Man stellt die Entscheidungen des Betroffenen in Frage
30 Man ruft ihm obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende Ausdrücke nach
31 Sexuelle Annäherungen oder verbale sexuelle Angebote

4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
32 Man weist den Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu
33 Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er sich nicht
einmal selbst Aufgaben ausdenken kann
34 Man gibt ihm sinnlose Arbeitsaufgaben
35 Man gibt ihm Aufgaben unter seinem eigentlichen Können
36 Man gibt ihm ständig neue Arbeitsaufgaben
37 Man gibt ihm >>kränkende<< Arbeitsaufgaben
38 Man gibt ihm Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikationen übersteigen, um ihn
zu diskreditieren

5. Angriffe auf die Gesundheit
39 Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten
40 Androhungen körperlicher Gewalt
41 Anwendung körperlicher Gewalt
41 Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel um jemanden einen >>Denkzettel<<
zu verpassen
42 Körperliche Misshandlungen
43 Man verursacht Kosten für den Betroffenen, um ihm zu schaden
44 Man richtet physischen Schaden im Heim oder am Arbeitsplatz des Betroffenen
an
45 Sexuelle Handgreiflichkeiten

Also, wer aus diesem Katalog des Schreckens das Vorliegen eines oder mehrerer Punkte konstatieren muss, hat schon Grund, sich Sorgen zu machen.


Gemeinsam sind wir stark!

 
Achim
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zuletzt bearbeitet 07.03.2021 | Top

RE: Wann liegt der Verdacht auf Mobbing nah?

#2 von Panama* , 08.03.2021 16:29

Lieber Achim,
vielen Dank für den Hinweis auf die 45 Mobbinghandlungen aus dem Katalog des Schreckens nach Prof. Leymann . Ich kann dich mit dem „Katalog der 100 Mobbinghandlungen nach Esser/Wolmerath“ toppen, die auf S. 9ff im Handbuch –Mobbing-Rechtsschutz von Dr. Peter Wickler (Hrsg.) aus dem Jahr 2004 nachzulesen sind. Im Prinzip ist es eine detaillierte Erweiterung der ersten: anstatt nur fünf werden dort zehn Kategorien aufgelistet (es sind sogar 114 Handlungen!):
1. Angriffe gegen die Arbeitsleistung und das Leistungsvermögen (29)
2. Angriffe gegen den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses (12)
3. Destruktive Kritik (7)
4. Angriffe gegen die soziale Integration am Arbeitsplatz (13)
5. Angriffe gegen das soziale Ansehen im Beruf (13)
6. Angriffe gegen das Selbstwertgefühl (11)
7. Angst, Schreck und Ekel erzeugen (4)
8. Angriffe gegen die Privatsphäre (11)
9. Angriffe gegen die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit (10)
10. Versagen der Hilfe (4)

Einer der vier Verfasser dieses Handbuches ist ja Dr. Hartmut Schwan, (ehemaliger) Präsident der Thüringer Oberverwaltungsgerichts. Ich erwähne ihn, weil mir sein Beitrag: Mobbing und Fürsorgepflicht im Pfarrerdienstverhältnis vorliegt. Dr. Schwan war von 1998 bis 2004 Vorsitzender der Schlichtungsstelle der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen. Der Beitrag beruht auf einem Vortrag am 26.5.2004 auf Einladung des Thüringer Pfarrervereins. Der Verein D.A.V.I.D. wird gleich ja auf S. 1 (aber auch S. 3 ) erwähnt. Vielleicht gibt es im Kreis der Vereinsmitglieder bzw. der Leserinnen und Leser des Forums Personen, die dabei waren.
Ich weiß natürlich nicht, ob der Vortrag fruchtete und ob es anschließend zumindest in dieser Landeskirche weniger Fälle gab. Hat jemand Erfahrungen mit dieser Schlichtungsstelle gemacht? Gibt es sie heute noch? Evtl. könnte jemand etwas dazu sagen. Wir wollen ja "plaudern und diskutieren"...
Das Phänomen Mobbing wurde in der Kirche zu lange ignoriert – ja sogar geleugnet. Die Pioniere, die diesen undankbaren Boden beackert haben, haben es sehr schwer gehabt...
Vielleicht war aber die kürzere Version mit den 45 Mobbinghandlungen für das Forum zunächst einmal ausreichend!
Schöne Woche!
Panama

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RE: Wann liegt der Verdacht auf Mobbing nah?

#3 von Sunny , 08.03.2021 17:07

Auch wenn ich mich gerade nicht so einbringen. Eine schöne Abwechslung das Posting in das ruhig gewordene Forum

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RE: Wann liegt der Verdacht auf Mobbing nah?

#4 von Joringel , 20.03.2021 12:26

Liebe Verfasser der beiden Ausführungen zu dem Thema "Wann liegt der Verdacht auf Mobbing nahe?" Sie haben beide ihre Berechtigung und sind sicher eine Hilfe bei der Analyse von konkretem Hilfeersuchen. Wir als Verein für Betroffene werden zuerst mit den entsprechenden Berichten konfrontiert und nicht mit sorgsam sortierten Verhaltensmustern. Alles spielt sich in einer Grauzone ab und oft hat der oder die Betroffene gar keine Worte dafür, was mit ihm/ihr passiert. Sehr treffend finde ich Achims Formulierung "Katalog des Schreckens", denn was man sich immer vor Augen führen muss, es handelt sich dabei um eine fortschreitende Ausgrenzung von Menschen. Und wenn Betroffene vor der schwierigen Frage stehen," Ist das noch eine Kritik aus der ich lernen könnte oder bereits ein Angriff auf mich als Person?" dann ist dieser sehr differenziert aufgeführte Katalog bestimmt sehr hilfreich.
Ich frage mich aber, wie kommt man denn aus dieser Schreckenskammer heraus, wenn das Mobbing unmittelbar von der Geschäftsleitung ausgeht? Wenn es sich tarnt als rational begründete betriebliche Weisung oder sogar noch schlimmer. als wenn es zum Schutz des betroffenen Opfers vor sich selbst als eine Art Fürsorgepflicht verkauft wird?
In dieser Abhandlung https://www.haufe.de/personal/arbeitsrec..._76_463104.html unter der Überschrift "Fürsorgepflicht und Fehlverhalten: Grenzen und Konsequenzen bei Mobbing"
bejaht der Beitrag der Haufe-Online-Redaktion ausdrücklich, dass Mobbing auch vom Arbeitgeber ausgehen kann.
Zitat: "Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei Mobbing
Mobbing kann durch Kollegen, durch Vorgesetzte oder sogar vom Arbeitgeber ausgeübt werden. Dabei ist der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht und § 75 Abs. 2 BetrVG verpflichtet, betroffene Arbeitnehmer vor Mobbing zu schützen. Um weitere Mobbinghandlungen zu verhindern, kann und muss der Arbeitgeber die ihm zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Mittel einsetzen. Hierzu gehören – je nach Schwere des Einzelfalls – die Rüge oder Ermahnung, die Abmahnung, die Versetzung oder als "ultima ratio" auch die Kündigung gegenüber den mobbenden Arbeitnehmern.

Wenn sich also Mobbinghandlungen wiederholen, einem Arbeitnehmer widerrechtlich Kompetenzen abgesprochen werden, der Betroffene einerseits im Bedarfsfall verantwortungsvolle Tätigkeiten ausübt, er aber andererseits wiederholt und andauernd von berufsspezifischen Tätigkeiten abgehalten wird, ihm per Weisung wiederholt eine räumliche Entfernung vom eigentlichen Arbeitsfeld auferlegt wird (die Leymann auch im Katalog hat), stellt sich mir die Frage, ob nicht zumindest ein Anspruch darauf besteht, dass ein unabhängiges Gremium solche Verläufe untersucht und gegebenenfalls als Mobbing einordnet?
Es ist ja nicht zu erwarten, dass ein Arbeitgeber bzw. ein Geschäftsführer, der Mobbing-Methoden bis zur Perfektion beherrscht, sich selbst korrigiert. In Verbindung mit seiner Machtstellung im Unternehmen werden seine Handlungen überproportional geschützt. Nach meiner Beobachtung/Erfahrung gibt es in solchen Kontexten auch immer ein Sprechverbot. Durch Einschüchterung wird eine Solidarisierung durch Kollegen, ja, sogar durch zuständige Gremien verhindert. Man erkennt es daran, dass die entsprechenden Ausschüsse in eisern praktiziertes Schweigen verfallen und Mitarbeitervertretungen sich aus solchen Fällen auffällig zurückziehen.
Sicher ist der Skandal um Kardinal Woelki anders gelagert. Aber er zeigt doch deutlich, dass Vertuschen vor dem Hintergrund institutionalisierter Christlichkeit keine Zukunft mehr hat.
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