Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#1 von Sternentaler , 15.12.2018 09:54

Konspiratives Mobbing zwischen DDR und BRD Kirchen?
Dieser Bericht vom Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/wer-in-de...de.html?dram:ar
führte mich zu dieser Fragestellung. Das Ergehen dieser kirchlichen Mitarbeiter sollte auch mit im DAVID-Fokus stehen. Das Versagen und die Schuld wurde in der EKD nicht aufgearbeitet.
Hier einige Passagen aus der Sendung:
Berufsverbot für DDR-Pfarrer (von Christoph Richter)
Es ist ein weitgehend unerforschtes Thema: Pfarrer der evangelischen Kirche in Ostdeutschland, die einst die DDR verlassen haben, bekamen damals eine Art Berufsverbot. Ihnen wurde die Ordination entzogen. Mitgeholfen haben westdeutsche Gliedkirchen…
Bis heute ein Tabu-Thema (evangelische Kirchenhistoriker Friedemann Stengel)
Innerhalb der evangelischen Kirche wird über dieses Thema und die Folgen für die Betroffenen kaum gesprochen. Bis heute ein Tabu-Thema. „Sie haben eine zweite Ent-Heimatung – nachdem sie ihre Heimat verlassen haben – durch ihre Kirche erlebt. Und wenn sie nach 1990 wieder zurückgekommen sind, haben sie möglicherweise noch eine dritte Ent-Heimatung erlebt, wenn sie in ihrer ehemaligen Kirche keine Stelle bekommen haben. Diese Fälle haben wir.“
Bis heute geht ein tiefer Riss durch die ostdeutsche Mehrheitsgesellschaft, zwischen denen, die geblieben, und denen, die gegangen sind. Bis heute fühlen sich Kirchenmitarbeiter, die in den Westen übergesiedelt sind, gebrandmarkt als Verräter.
„Meines Erachtens hat die Mehrheitsgesellschaft des Ostens sich mit den Fällen in denen politisch deviante, abweichende Oppositionelle, renitente Menschen gemaßregelt, unterdrückt, in den Westen gedrängt worden sind, nach wie vor nicht verarbeitet. Deswegen gilt es, dass die tragenden Institutionen, die nach wie vor bestehen – dazu gehören die Kirchen, auch wenn sie in einer Minderheitensituation sind –, dass sie offen über diese Fälle sprechen und klar machen, dass an diesen Rändern die Diktatur am Heftigsten zugeschlagen hat.“…
Die Situation vieler Pfarrer ist ähnlich: Die erzwungene Übersiedlung in den Westen und die damit verbundene Entlassung aus dem beamteten Pfarrdienst, sie macht sich bis heute bemerkbar -im Portemonnaie wegen einer deutlich niedrigeren Rente. Maßgeblich mit beteiligt: EKD-Gliedkirchen aus den alten Bundesländern.

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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#2 von turmfalke , 15.12.2018 16:21

Lieber Sternentaler!

Du erinnerst da an ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Schrecklich!

Ich bin im Westen aufgewachsen und weiß noch, dass die Angelegenheit bei uns thematisiert wurde etwa ab 1975. Pastoren aus dem Bereich der DDR, die in den Westen abgeschoben worden waren, wurden von den Gliedkirchen der EKD im Westen nicht übernommen. Sie durften im Westen kein Pfarramt bekommen und mussten sich andere Berufe suchen.

Nur einige wenige Leute im Westen fanden das damals empörend. Die Mehrheit nahm die Entscheidungen westdeutscher Kirchenleitungen achselzuckend zur Kenntnis, wenn überhaupt.

Und außerhalb der Kirche gab es keine große Aufregung darüber, weil wir als Kirche schon damals für die säkulare Öffentlichkeit nicht wichtig genug waren.

An die Begründung der Kirchenleitungen erinnere ich mich nur schwach: Man wollte keine Sogwirkung auslösen. Der Wechsel sollte ostdeutschen Pfarrern nicht leicht gemacht werden, damit die Kirche in der DDR nicht ausbluten sollte. Ich denke sogar, dass ostdeutsche Kirchenleitungen die westdeutschen Kollegen geradezu darum gebeten hatten. Möglicherweise fürchteten sie auch weitere eskalierende Repressalien durch die DDR-Behörden.

Wie man das juristisch begründen konnte, weiß ich nicht. Das Handeln der westdeutschen Kirchenleitung widerspricht ja eindeutig dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot, das für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung unverbrüchlich gilt.

...

Mich erinnert diese Sitaution auch an die Deserteure des 2. Weltkrieges. Tausende wurden nach Kriegsrecht hingerichtet. Das war ein schreckliches Zeichen der Zeit. Aber wer überlebt hatte, wurde auch nach dem Krieg, als juristsich längst wieder andere Verhältnisse bestanden, doch nicht rehabilitiert. Das galt auch noch, als es laut Grundgesetz schon ein Recht auf Wehrdienstverweigerung gab. Das alte Denken der Militärgerichtsbarkeit wirkte weiter: "Fahnenflüchtlinge galten als untreu und waren seinerzeit zurecht bestraft worden".

...

Ich weiß leider nicht, wie D.A.V.I.D. heute den damals betroffenen Kollegen aus der DDR helfen kann. Die benachteiligten Kollegen müssten sich zusammenfinden und gemeinsam noch einmal bei der EKD vorstellig werden. Das wird aber vermutlich längst schon passiert sein. Ich glaube aber auch an den Grundsatz, dass ein steter Tropfen am Ende einen Stein höhlt. So war es auch bei den Deserteuren. Nach langem Kampf haben sie schließlich Recht bekommen.

Ich wünsche Dir trotz allem eine gute Adventszeit! Turmfalke


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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#3 von Sunny , 16.12.2018 12:04

Da werden Verbrecherpfarrer geschützt und andere viele gute Pfarrer auf so eine Art und Weise rausgekickt.

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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#4 von Sternentaler , 16.12.2018 12:06

Lieber Turmfalke,
der Vergleich mit den Deserteuren ist treffend und berührt mich. In Marburg gibt es seit Mitte der 1980er Jahre ein Deserteursdenkmal in der Frankfurter Straße. Es wird dort an die mutigen "Helden" erinnert. Ich habe gerade bei Goggle nachgeschaut, da steht bei der Marburger Geschichtswerkstatt, "um die verborgene und oftmals totgeschwiegene Geschichte des Marburger Raumes ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen." Interessant ist auch die kontroverse Diskussion zu diesem errichteten Denkmal!
Ich denke, DAVID sollte sich u.a. bemühen, verborgenes und totgeschwiegens Handeln der Amtskirche ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Es passiert immer wieder ohne Recht und Gesetz. Z.B. die DDR-Kirchenfahnenflucht war nachhaltig und wirkt sich bei den Betroffenen bis heute im Gelbeutel der Rente aus. Das Materielle kann zwar aufgezeigt werden, aber dagegen der Vertrauenschaden und die psychische Enttäuschung an der Amtskirche hinterlassen unsichtbare und bleibende Spuren. Kirche infizierte sich selbst!
Gesegneten 3. Advent
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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#5 von Rosmarie , 17.12.2018 13:02

Hallo, ihr lieben Mitstreiter,
ich höre langsam auf, mich aufzuregen. Es gibt so viel Ungerechtigkeit in unserer Kirche. So hörte ich vor Kurzem, dass Pfarrer in der EKHN ihre Kandidatenzeit bei der Bekennenden Kirche nicht zu den Dienstjahren gezählt bekommen. sie waren damals (bis heute) "Illegale".

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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#6 von Panama , 18.12.2018 12:22

Nicht nur in der EKHN. In Thüringen wurden sie "wilde Vikare" genannt.

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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#7 von Sternentaler , 04.01.2019 22:48

Heute erschien für Epiphanias in der sächsischen Wochenzeitung „Der Sonntag“ auf der 2. Seite der Artikel „Berufsverbot für DDR-Pfarrer – Dunkles Kapitel: Kirchenhistoriker bemängelt bis heute fehlende Aufarbeitung“. Friedemann Stengel betonte, „Bis heute geht ein tiefer Riss durch die ostdeutsche Mehrheitsgesellschaft zwischen denen, die geblieben und denen, die gegangen sind.“ Sie wurden sowohl von Ost- wie Westkirchen als Verräter angesehen. Sie hätten ihre Schäflein im Stich gelassen! Das Berufsverbot und der Einzug der Ordinationsurkunde gehen auf einen Beschluss der damaligen Kirchenverantwortlichen aus Ost und West aus dem Jahr 1977 zurück. Wie heute in den Flüchtlingsdebatten zu hören sei, so wurden damals bereits ähnlich den betroffenen Pfarrer der Vorwurf gemacht, sie hätten nur aus wirtschaftlichen Gründen die DDR verlassen und sind in das bundesdeutsche Sozialsystem eingewandert.
Stengel konnte nur für die damalige Kirchenprovinz Sachsen recherchieren, dass 60 Pfarrer die DDR verlassen hatten. Die Zahlen aus den anderen Landeskirchen sind nicht bekannt. Hoffentlich werden diese noch recherchiert und auch die Höhe der Einsparungen, die die Landeskirchen von den erworbenen Rentenansprüche kassiert hat. Lobend hebt jedoch Stengel hervor, dass nur die EKM (Evangelische Kirche in Mitteldeutschland) ein Bußwort aussprach und um Vergebung für diese Verfehlungen bat.
Es wäre interessant zu wissen, weshalb andere Landeskirchen nicht zu solchen Schritten der Versöhnung bereit sind.

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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#8 von turmfalke , 05.01.2019 11:49

Lieber Sternentaler!

Das Thema hat es vor einigen Tagen sogar bis in die Tagesschau oder die Tagesthemen im 1. Deutschen Fernsehen geschafft mit einem kurzen Bericht über die Reschersche, auf die du uns aufmerksam gemacht hast.

Zur Lösung der offenen Frage der verlorengegangenen Pensionsansprüche kann man sich nur wünschen, dass die Betroffenen sich organisieren und ihre berechtigten Interessen gemeinsam vertreten.

Viele Grüße vom Turmfalken


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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#9 von Robin , 07.01.2019 18:17

Liebe Freunde!
Seht die Sache doch bitte auch einmal von der anderen Seite an! Ich kenne Pfarrer, die verfolgt waren und freigekauft wurden oder in anderer Weise in den Westen gelangten, und die sehr wohl hier in den Pfarrdienst kamen oder ihr Studium fortsetzen konnten. Es war nach meiner Erinnerung in der Tat so, dass die Westkirchen vom ostdeutschen Kirchenbund gebeten waren, solidarisch zu sein und Pfarrern, die aus eigener Initiative und - ohne besonderem politischem Druck ausgesetzt gewesen zu sein - ihre Gemeinde verließen, keine neue Stelle zu geben. Dahinter stand eben noch eine andere Auffassung vom Pfarrdienst, die wir heute nicht mehr kennen. Den Vergleich mit den Deserteuren des Weltkriegs finde ich daher unangebracht. Diese flohen aus einem verbrecherischen Krieg. Pfarre der DDR, die sich freiwillig absetzten, flohen aus einem notwendigen Dienst. Sie wurden doch in ihrer eigenen Kirche dringend gebraucht!
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RE: Konspiratives Mobbing vor dem Mauerfall

#10 von urban62 , 17.01.2019 11:06

Ich denke die ganze Problematik versucht man einfach abzuwarten. Irgendwann sind die Betroffene verstorben und daher ein Fall für die Geschichte. So ist mein Eindruck, wie momentan vorgegangen wird.

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einen guten Rutsch !!!
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