Lieber Joringel!
Du schaffst es immer wieder mich zu provozieren! Warum eigentlich Goethe?
Meine Großvater war ein glühender Verehrer von Goethe. Seine Werke galten ihm als Alternative zum Christentum. Mein älterer Bruder hat Goethe in der Schule in den 60er Jahren noch genossen als den eigentlichen Klassiker der Deutschen Literatur. Aber seit 1968 rümpften die Schüler dabei schon die Nase und lehnten Goethe ab als zu bürgerlich. Und als ich Schüler war, traute sich schon kein Deutschlehrer mehr, uns Goethe vorzusetzen.
Aber du hast mich doch ein klein wenig gewonnen. Die Sprache mit der der Alte Meister spielt ist einfach berückend.
Warum zitierst du das Gedicht dann aber nicht in voller Länge, so wie es immer rezitiert wird? ( Zugegeben, den ganzen Faust können wir hier im Forum nicht bringen)
Also hier noch mal in voller Länge:
Osterspaziergang
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes.
Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farben beleben.
Doch an Blumen fehlt´s im Revier.
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden.
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluss in Breit und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt,
und, bis zum Sinken überladen,
entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel.
Hier ist des Volkes wahrer Himmel.
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!
- Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832, deutscher Dichter -
aus: Faust 1
Lieber Joringel!
Ich spüre bei Goethe auch einen gewissen Spott über das kirchliche Christentum. Es geht ihm nicht um "die Auferstehung des Herren". Es geht darum, dass die Menschen sich aus den finsteren Mauern der Kirchen befreien, die Natur im Frühling genießen, dabei selber als Menschen auferstehen und zu sich selbst finden: Hier bin ich Mnensch, hier kann ich sein!
Mag sein, dass mancher Leser unseres kirchenkritischen und zugleich doch immer noch kirchennahen Forums begeistert einstimmt: Endlich weg von der toten Amtskirche!
Aber ist Goethes Frühlingsgedicht wirklich die Alternative, die durchträgt? Mir wird in den letzten Jahren der Jesus, der sich in seinem Leiden an die Seite von leidenden Menschen stellt, immer wichtiger. Er sagt uns dabei: Du bist in deinem Schmerz nicht allein! Zumindest Gott versteht dich.
Und Jesus bietet in dem nacheinander von Kreuz und Auferstehung, Karfreitag und Ostern, einen Ausweg aus der Gewaltspirale, in der die Menschen in dieser Welt gefangen zu sein scheinen.
Gestern war Palmsonntag, der Auftakt der Karwoche. Wir haben in der Kirche die Geschichte gelesen, wie Jesus auf einem Esel in aller Bescheidenheit in die Stadt Jerusalem hineinreitet und dabei die Herzen der Menschen gewinnt. Das ist die Voraussetzung für ein Friedensreich, in dem er der König ist und wir bei ihm ohne Gewalt gut leben können. Mabn nennt es nicht "Frühling", sondern "Reich Gottes" und dann vieleicht einmal "Ewigkeit"!
Gesungen haben wir im Gottesdienst das dazu passende Adventslied von Friedrich Rückert aus dem Jahre 1834 (EG 14). Rückert war ein Sprachwissenschaftler und ein später Zeitgenosse von Goethe in einer Zeit, die ganz von der Gewalt authoritärer Fürsten geprägt war.
Hier das Gedicht:
EG 14 Dein König kommt in niedern Hüllen,
ihn trägt der lastbarn Es´lin Füllen,
empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen,
bestreu den Pfad mit grüngrünen Halmen;
so ist´s dem Herrn angenehm.
2 O mächt´ger Herrscher ohne Heere,
gewalt´ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Thron sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.
3 Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
doch aller Erde Reiche werden
dem, das du gründest, untertan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten
zieht deine Schar nach allen Orten
der Welt hinaus und macht dir Bahn.
4 Und wo du kommst herangezogen,
da ebnen sich des Meeres Wogen,
es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kommst, dass auf empörter Erde
der neue Bund gestiftet werde,
und schlägst in Fessel Sünd und Tod.
5 O Herr von großer Huld und Treue,
o komme du auch jetzt aufs neue
zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass du selbst hienieden
kommst, zu erneuern deinen Frieden,
dagegen sich die Welt empört.
6 O lass dein Licht auf Erden siegen,
die Macht der Finsternis erliegen
und löscht der Zwietracht Glimmen aus,
dass wir, die Völker und die Thronen,
vereint als Brüder wieder wohnen
in deines großen Vaters Haus.
Friedrich Rückert 1834
Schöne Grüße vom Turmfalken