Warum nicht mal Goethe? Er hat's einfach drauf!

#1 von Joringel , 25.03.2018 21:02

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strome und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tal grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Mensche dafür.
Kehre Dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen,
Aus dem hohlen, finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn...

Johann Wolfgang von Goethe


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RE: Warum nicht mal Goethe? Er hat's einfach drauf!

#2 von turmfalke , 26.03.2018 22:16

Lieber Joringel!

Du schaffst es immer wieder mich zu provozieren! Warum eigentlich Goethe?

Meine Großvater war ein glühender Verehrer von Goethe. Seine Werke galten ihm als Alternative zum Christentum. Mein älterer Bruder hat Goethe in der Schule in den 60er Jahren noch genossen als den eigentlichen Klassiker der Deutschen Literatur. Aber seit 1968 rümpften die Schüler dabei schon die Nase und lehnten Goethe ab als zu bürgerlich. Und als ich Schüler war, traute sich schon kein Deutschlehrer mehr, uns Goethe vorzusetzen.

Aber du hast mich doch ein klein wenig gewonnen. Die Sprache mit der der Alte Meister spielt ist einfach berückend.

Warum zitierst du das Gedicht dann aber nicht in voller Länge, so wie es immer rezitiert wird? ( Zugegeben, den ganzen Faust können wir hier im Forum nicht bringen)

Also hier noch mal in voller Länge:

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes.
Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farben beleben.
Doch an Blumen fehlt´s im Revier.
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden.
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluss in Breit und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt,
und, bis zum Sinken überladen,
entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel.
Hier ist des Volkes wahrer Himmel.
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!

- Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832, deutscher Dichter -

aus: Faust 1


Lieber Joringel!

Ich spüre bei Goethe auch einen gewissen Spott über das kirchliche Christentum. Es geht ihm nicht um "die Auferstehung des Herren". Es geht darum, dass die Menschen sich aus den finsteren Mauern der Kirchen befreien, die Natur im Frühling genießen, dabei selber als Menschen auferstehen und zu sich selbst finden: Hier bin ich Mnensch, hier kann ich sein!

Mag sein, dass mancher Leser unseres kirchenkritischen und zugleich doch immer noch kirchennahen Forums begeistert einstimmt: Endlich weg von der toten Amtskirche!

Aber ist Goethes Frühlingsgedicht wirklich die Alternative, die durchträgt? Mir wird in den letzten Jahren der Jesus, der sich in seinem Leiden an die Seite von leidenden Menschen stellt, immer wichtiger. Er sagt uns dabei: Du bist in deinem Schmerz nicht allein! Zumindest Gott versteht dich.

Und Jesus bietet in dem nacheinander von Kreuz und Auferstehung, Karfreitag und Ostern, einen Ausweg aus der Gewaltspirale, in der die Menschen in dieser Welt gefangen zu sein scheinen.

Gestern war Palmsonntag, der Auftakt der Karwoche. Wir haben in der Kirche die Geschichte gelesen, wie Jesus auf einem Esel in aller Bescheidenheit in die Stadt Jerusalem hineinreitet und dabei die Herzen der Menschen gewinnt. Das ist die Voraussetzung für ein Friedensreich, in dem er der König ist und wir bei ihm ohne Gewalt gut leben können. Mabn nennt es nicht "Frühling", sondern "Reich Gottes" und dann vieleicht einmal "Ewigkeit"!

Gesungen haben wir im Gottesdienst das dazu passende Adventslied von Friedrich Rückert aus dem Jahre 1834 (EG 14). Rückert war ein Sprachwissenschaftler und ein später Zeitgenosse von Goethe in einer Zeit, die ganz von der Gewalt authoritärer Fürsten geprägt war.

Hier das Gedicht:

EG 14 Dein König kommt in niedern Hüllen,
ihn trägt der lastbarn Es´lin Füllen,
empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen,
bestreu den Pfad mit grüngrünen Halmen;
so ist´s dem Herrn angenehm.

2 O mächt´ger Herrscher ohne Heere,
gewalt´ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Thron sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

3 Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
doch aller Erde Reiche werden
dem, das du gründest, untertan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten
zieht deine Schar nach allen Orten
der Welt hinaus und macht dir Bahn.

4 Und wo du kommst herangezogen,
da ebnen sich des Meeres Wogen,
es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kommst, dass auf empörter Erde
der neue Bund gestiftet werde,
und schlägst in Fessel Sünd und Tod.

5 O Herr von großer Huld und Treue,
o komme du auch jetzt aufs neue
zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass du selbst hienieden
kommst, zu erneuern deinen Frieden,
dagegen sich die Welt empört.

6 O lass dein Licht auf Erden siegen,
die Macht der Finsternis erliegen
und löscht der Zwietracht Glimmen aus,
dass wir, die Völker und die Thronen,
vereint als Brüder wieder wohnen
in deines großen Vaters Haus.

Friedrich Rückert 1834

Schöne Grüße vom Turmfalken


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RE: Warum nicht mal Goethe? Er hat's einfach drauf!

#3 von Wassermann , 27.03.2018 09:36

Schöne Ergänzung das Gedicht von Rückert, habe ich nie im Gesangbuch gesehen. Danke, Turmfalke.

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zuletzt bearbeitet 27.03.2018 | Top

RE: Warum nicht mal Goethe? Er hat's einfach drauf!

#4 von Joringel , 27.03.2018 17:21

Lieber Turmfalke,

sehr gern habe ich deine Ausführungen gelesen und habe tiefen Respekt vor Deinen Worten. Du hast mich gefragt, warum ich das Gedicht nicht ganz zitiert habe - nun, beim Aufräumen fand ich eine Karte von einem älteren Weggefährten, der auch D.A.V.I.D. sehr nahe verbunden war. Und darauf stand nur dieser Teil des Gedichtes, die ersten Zeilen kannte ich noch auswendig, aber durch das Lesen wurde mir die Sprachmacht Goethes plötzlich bewusst, "des Frühlings holder, belebender Blick", grünes Hoffnungsglück , der alte Winter in seiner Schwäche, usw." es hat mir die Wortmalerei so gut gefallen, da sie ja gleich Assoziationen anstößt. Mehr habe ich gar nicht darüber nachgedacht und sah in dem letzten Satz: "Sie feiern die Auferstehung des Herrn" eher eine überraschende Toleranz, eine respektvolle Duldung christlicher Hoffnungen durch Goethe, obwohl ich wußte, dass er nicht so gestimmt war. Erst Deine Ausführungen machten bei mir Click, ach, ja. Goethes Faust! Das unglückliche Gretchen, das sich der "Sünde" hingegeben hatte, Faust, der selbst nach Erkenntnis suchte und der zynische Mephisto, der mit dem Teufel im Bunde steht. Auch heute noch ein aufregendes Stück, wenn man sich darauf einlässt. Es funktioniert, weil wir Menschen vielleicht von allen drei Eigenschaften eine Mixtur in uns tragen. Aber Faust enthält auch ganz klar Seitenhiebe gegen die Kirche. So lässt Goethe Mephisto maliziös lächelnd sagen:

"Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch' allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen."
Quelle: Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Spaziergang, Mephistopheles zu Faust

Ich habe das Stück vor wenigen Jahren auf einer Freilichtbühne gesehen, und kann Dir berichten, dass die Zuschauer (nicht nur) an dieser Stelle gelacht haben. Das Unbehagen an dem weltlichen Vermögen der Kirche ist groß und beeinflusst das Vertrauen der Menschen in die Institution. Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass die Waldenser in Italien bei der Bevölkerung großes Vertrauen genießen. Sie haben durch die Katholische Kirche viel Leid erfahren müssen und wenden sich auch heute noch intensiv den Menschen zu. Sie leben, was sie predigen, das habe ich jedenfalls auch vor Ort in den Waldensertälern so wahrgenommen. Einmal war ich sogar in einem Waldenser Gottesdienst. Der Pastor war Deutscher und versprach mir, seine Predigt auch ins Deutsche zu übersetzen. Aber er vergaß es, ich verstand kein Wort. Kein Lied, keine Artikulation durch die Gemeinde, nur Gebete und Predigt, das war aber befremdlich für mich. Und sehr lang!!!

Nochmals Danke für Deinen ausführlichen Bericht!
Joringel


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RE: Warum nicht mal Goethe? Er hat's einfach drauf!

#5 von Achim , 27.03.2018 19:01

Lieber Joringel, lieber Turmfalke,

ich verfolge Euren spannenden Disput in Sachen Goethe - wie wahrscheinlich viele von uns - mit höchstem Interesse, werde mich klugerweise mangels ausreichender Sachkunde aber inhaltlich nicht beteiligen und bin gespannt, ob und wie es weitergeht.

Euer

Achim


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