Urlaubslektüre, die mich bewegt hat

#1 von Joringel , 20.06.2015 15:03

Liebe Freunde,
das Buch "Doppelleben" herausgegeben von Antje Vollmer ist keines wegs neu, sondern 2010 zum ersten Mal erschienen. Gute Freunde haben es mir geschenkt, und es hat mich sehr beschäftigt. Es geht um die Personen Heinrich und Gottliebe von Lehndorff, denen das Schloss Steinort an den masurischen Seen gehörte. Heinrich von Lehndorff wurde am 14. Sept. 1944 in Berlin wegen seiner Teilnahme am Widerstandgegen das Naziregime hingerichtet.
Antje Vollmer holt weit aus, um dem Leser die Entwicklung der Familie von Lehndorff und auch die charakterliche Entwicklung von Heinrich und Gottliebe von Lehndorf nahe zu bringen. Heute würde man sie als "Promis" bezeichnen und ihrem Lebensstil "Glamour" zuordnen.
Antje Vollmer berichtet uns, dass Heinrich als durchschnittlicher Schüler das Evangelische Internat Roßleben besucht hatte. In den Widerstandskreisen waren etliche "Rosslebener" verwickelt , ohne dass noch eine Verbindung aus Schülerzeiten bestanden hätte. Man kann daraus eine gewisse ethische Prägung durch einen entsprechenden Hintergrund erkennen.
Nur 14 km von Steinort entfernt, lag Hitlers Wolfsschanze. Das Oberkommando des Heeres verbarg sich auf dem Besitz der von Lehndorffs im Mauerwald. Außerdem richtete sich Außenminister von Ribbentrop in dem repräsentativen Gebäude wegen der räumlichen Nähe zu Hitler in dem Gutshof ein.

Heinrich von Lehndorff war eigentlich ein Mensch der Tat, ein Pragmatiker, sogar Parteimitglied, aber als er die ganze Brutalität des Naziregimes erlebte, schloss er sich den Widerstandskreisen an. Fast schon in der Höhle des Löwen gelang es ihm, konspirative Informationen zu sammeln, weiterzuleiten und sich auf einen Schlag gegen die Nazi-Verbrecher vorzubereiten. Das Paar hatte zwei Töchter, eine dritte Tochter kam erst nach dem gewaltsamen Tod des Vaters zur Welt. Seine Frau Gottliebe von Lehndorff war in diese Pläne und besonders in die Risiken eingeweiht. Ab irgendeinem Punkt war durch Sondierungen klar, dass die Widerständler nach der erhofften Niederschlagung der Nazis nicht an eine Anerkennung als Verhandlungspartner durch die Verbündeten Großbritannien, USA und UDSSR hoffen durften. Dennoch versuchten sie immer wieder, solche Pläne umzusetzen um den Namen Deutschlands von diesen Verbrechen abzusetzen. Sie bezahlten dafür mit ihrem Leben und der nicht mehr kalkulierbaren Zukunft ihrer Kinder. Man darf schon sagen, dass sie bewußt in den Tod gingen und sich bewußt waren, ihre Familien schutzlos in einer schrecklichen Welt zurückzulassen. Daher habe ich den Abschiedsbrief des Grafen von Lehndorff an seine Frau mit tiefem Respekt gelesen. Er ist ein wundervolles Selbstzeugnis eines Menschen, der wußte, was er tat. Er ist ein wundervolles Beispiel für die tiefe Verbundenheit zwischen den Eheleuten und auch ein wundervolles Gottesbekenntnis. Ich glaube, Zitate helfen hier nicht. Wenn Euch meine Beschreibung interessiert hat, besorgt Euch einfach das Buch. Wenn man es gelesen hat, kann man nur sehr schwer verstehen, dass diese Persönlichkeiten erst so spät nach dem Krieg und auch oft nur sehr schemenhaft als Heroen an Gedenktagen in unserer Welt angekommen sind. Man denkt aber auch darüber nach, wie all die vielen Überlebenden des Krieges mit ihren Schmerzen allein gelassen wurden. Gottliebe von Lehndorff litt jahrelang unter schweren Depressionen. Ja, was wünsche ich mir denn stattdessen? Ich glaube, ich wünschte mir, dass der Geist und das Vermächtnis der Widerstandskämpfer unmittelbarer in unsere Gegenwart hinein wirken sollte.
Es grüßt Euch
Joringel


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zuletzt bearbeitet 04.02.2016 | Top

RE: Urlaubslektüre, die mich bewegt hat

#2 von turmfalke , 21.06.2015 15:03

Lieber Joringel!

Eine wirklich beeindruckende Geschichte. Den Namen von Lehndorf kannte ich, den weiteren Hintergrund noch nicht.

Wie kann man Widerstand leisten, wenn die Gefahr für Leib und Leben so groß ist? Oder wie kann man es lassen, Widerstand zu leisten, wenn man begriffen hat, wie sehr schlimme Entwicklungen die Menschheit bedrohen?

Da ist unser Mobbingthema gering dagegen.

Danke für deinen Hinweis!

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