Liebe Joringel! Luther hat als junger Reformator auch ganz anders über die Juden geurteilt. Dass sie nämlich von den Christen so schlecht behandelt worden seien, dass auch er selber, so behandelt, niemals den christlichen Glauben angenommen hätte. (1523 Schrift: "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei"). Die Verhärtungen dann des alten Luther nicht nur gegenüber den Juden, sondern ebenso auch gegenüber den Papisten und Türken, hat fair und sachlich Albrecht Beutel, Kirchenhistoriker an der Uni Münster, in seinem Büchlein "Martin Luther", Becksche Reihe 621, München 1991, beschrieben (siehe Anhang). Auch evangelische Christen wurden im 16. und 17. Jahrhundert aus ihren katholischen Heimatländern vertrieben, weil sie als Ketzer galten (die Hugenotten aus Frankreich; Salzburger Protestanten aus Österreich). Und es war noch eine Gnade, wenn die Alternative: Widerruf oder Ausweisung hieß, und nicht: Widerruf oder Scheiterhaufen. Denn man konnte sich noch bis in die frühe Neuzeit hinein nicht vorstellen, dass ein Land im Frieden und friedlicher Ordnung regiert werden könne, in dem Menschen unterschiedlichen Glaubens lebten. Trotzdem widersprechen die schlimmen Attacken des alten Luther völlig seinem reformatorischen Ansatz, gemäß dem er immer wieder betonte, dass der Glaube Gottes Werk im Menschen sei, ein Geschenk des heiligen Geistes, und dass daher niemand einen anderen zum Glauben zwingen könne. "Summa summarum: predigen will ich's, sagen will ich's, schreiben will ich's. Aber zwingen, dringen mit Gewalt will ich niemand. Denn der Glaube will willig und ungenötigt angezogen werden." (Aus den Predigten während der Wittenberger Unruhen 1522). Es ist schlimm, dass der alte Luther in einen solchen Starrsinn verfiel und seine Ausgangserkenntnis vergaß. Schlimm finde ich aber auch, dass wir heute nach 500 Jahren Luther nur noch auf die Entgleisungen seiner letzten Lebensjahre festlegen und uns damit den Anfragen seiner theologischen Erkenntnisse entziehen.
Robin