Liebe Carmen,
wenn ich Deinen Bericht lese, werde ich an die Zeit erinnert als Ähnliches in unserer Gemeinde geschah. Hauptverursacher war eine Familie, die sozusagen eine Dynastie der Kirchenvorstandsvorsitzenden darstellt. Sie, und nur sie allein wissen, wie ein Pfarrer sein soll. Und da ihnen die wenigsten genügen, war es ein Kommen und Gehen in unserer Gemeinde. Das haben wir, mein Mann und ich, aber auch erst nach und nach mitbekommen, da wir erst langsam überhaupt an eine Kirchengemeinde herangewachsen waren.
Als unsere Kinder noch klein waren, wurde mein Mann in den Kirchenvorstand gewählt. Nach einigen Jahren kam es zu einem Konflikt zwischen dem Vorsitzenden des Kirchenvorstandes und dem Gemeindepfarrer. Irgendwann fasste er wohl den zunächst geheim gehaltenen Entschluss, diesen Gemeindepfarrer ebenfalls zu bekämpfen. Er fädelte Situationen ein, die man als "Fallen" bezeichnen könnte, um verwertbare Ereignisse für einen Angriff zu sammeln. Nach und nach wurde sichtbar, dass er gezielt auf eine neue Pfarrervertreibung hin arbeitete. Er hatte gute Kontakte zur Kirchenleitung und kannte den Ungedeihlichkeitsparagraphen, von dem wir damals noch keine Ahnung hatten, in- und auswendig und wusste ihn zu händeln. Einer seiner Sympathisanten schrieb jedes Wort in den Kirchenvorstandssitzungen mit, jedes Wort! Diese Atmosphäre von Dauerbeobachtung und Angriff aus dem Hinterhalt fühlte sich ganz übel an. Einerseits wollte der amtierende Kirchenvorstand die Gemeinde da nicht hineinziehen, andererseits stand alles, was da heimlich geschah, unter Schweigepflicht. Und dann konnte man es wie in einem Lehrstück beobachten - viele sprangen auf das Trittbrett des "Vertreibers" auf, sogar fast alle Ortsvereine der Parteien.
In dieser Situation informierten wir die Kirchenleitung in Darmstadt (EKHN), es fanden auch Gespräche mit einigen Verantwortlichen statt, nicht mit mir, aber mit meinem Mann, der ja ein Amt hatte. Außer jovialen Sprüchen machte sich dann eine glibberige Masse aus Schweigepflicht, Schadenfreude, Vernebelungstaktik, Machtgehabe und gespielter Empörung breit - die heimlichen Strippenzieher präsentierten sich als Opfer. Ich konnte nicht glauben, dass dies das Klima in einer evangelischen Kirchengemeinde sein sollte, und es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass uns niemand helfen und das Schicksal seinen Lauf nehmen würde.
Als Vorsitzende des Wahlausschusses leitete ich genau in dieser Zeit eine Gemeindeversammlung in die die örtlichen Vereine geschlossen einmarschierten. Der Hauptverantwortliche für das Desaster und seine Familie hatten auf allen Ebenen ganze Arbeit geleistet. Einer meiner Nachbarn, zu dem ich sonst ein freundschaftliches Verhältnis hatte, stand auf und sprach eine glatte Lüge über unseren Gemeindepfarrer aus. Ich war entsetzt und stellte ihn zur Rede: "Das können Sie doch nicht im Ernst sagen, Herr W., ich war bei dem Vorfall doch dabei." Man sah im an, dass er nicht daran gedacht hatte, dass es Zeugen gab. Da antwortete er schnell: "Gut, dann steht eben Aussage gegen Aussage." Aus den Vereinen meldeten sich Menschen, die bisher kaum am kirchlichen Leben teilgenommen hatten, für die Wahl zum Kirchenvorstand und kamen, gewählt von den Vereinsmitgliedern, prompt auf die Wahllisten. Die Häme im Saal war greifbar. Der Propst saß im Hintergrund und sagte kein Wort. Wenig später wurde er Bischof in einer anderen Landeskirche!
Die Wahllisten der Kirchenvorstandswahlen wurden dann in den Vereinen systematisch herumgereicht und der alte Kirchenvorstand fast komplett abgewählt.
Das Schicksal nahm seinen Lauf, der betroffene Gemeindepfarrer - zu dieser Zeit von stressbedingten Krankheiten bedroht - ging freiwillig in den Ruhestand. Ich selbst wurde auch schwer krank und führe es auf diese Erfahrung zurück. Das alles und noch mehr führte zur Gründung von D.A.V.I.D.e.V. Geändert hat sich bisher nichts, warum auch? Das Geld kommt ja regelmäßig über Papa Staat und ist nicht an Bedingungen gebunden. Kirchenrecht und Schweigepflicht helfen dabei, die Mauer des Schweigens auch in anderen, vergleichbaren Fällen von sozialem Mord an Menschen zu zementieren. Was bleibt, ist die Aufklärung der Öffentlichtkeit, Solidarität mit den Betroffenen und die Hoffnung, dass eine neue, demokratisch gesinnte Generation nachwächst, die auch bereit ist, ihr Handeln im christlichen Sinn in Frage zu stellen, zu überprüfen und zu verbessern.
Ich selber halte es mit den Worten von Vaclav Havel:
"Hoffnung ist nicht dasselbe wie die Freude darüber, dass sich die Dinge gut entwickeln. Sie ist auch nicht die Bereitschaft, in ein Engagement zu investieren, dessen Erfolg in naher Zukunft absehbar ist.
Hoffnung ist vielmehr die Fähigkeit, für das Gelingen einer Sache zu arbeiten.
Hoffnung ist auch nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas klappen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas seinen guten Sinn hat – egal, wie es am Ende ausgehen wird.
Diese Hoffnung alleine ist es, die uns die Kraft gibt zu leben und immer wieder Neues zu wagen, selbst unter Bedingungen, die uns vollkommen hoffnungslos erscheinen. Das Leben ist viel zu kostbar, als dass wir es entwerten dürften, indem wir es leer und hohl, ohne Sinn, ohne Liebe und letztlich ohne Hoffnung verstreichen lassen."