2021

#1 von Panama* , 27.12.2020 09:06

Wie ich sehe, wird 2021 der Verein D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der ev. Kirche ein Jubiläum feiern.

Mir ist in den Tagen vor Weihnachten ein Heftchen aus dem Jahr 1997 wieder in die Hände gefallen:
Die Botschaft von der Rechtfertigung: Eine Einführung in ihr biblisch-reformatorisches Verständnis,
erstellt von Hans Schäfer im Auftrag der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands VELKD - Hannover, September 1997

Ich zitiere aus dem 1. Kapitel: Was es uns angeht (S.10):

Immer wenn gegen jemand Vorwürfe erhoben werden, er oder sie hat sich nicht “recht“ verhalten, werden die Betroffenen genötigt, sich zu „rechtfertigen“. In diesem Zusammenhang treten dann auch kritische Bilder vor unsere Augen:
Wir sehen einen Gerichtssaal. Auf der Anklagebank sitzt ein Mensch, dem tatsächliche oder angebliche Verfehlungen vorgeworfen werden. Er muß sich gegen die Beschuldigungen der Anklage rechtfertigen. Dabei steht ihm ein rechtskundiger Verteidiger zur Seite. Die Verhandlung wird mit einem Urteil abgeschlossen, das Schuld oder Unschuld feststellt und gegebenenfalls eine Strafe verhängt.
Hinter uns liegen Jahrhunderte, in denen die Sache damit abgeschlossen erschien: Das Recht war wiederhergestellt, denn man hatte ein unerschüttertes Vertrauen in Gesetze und Gerichte. Man meinte, es gebe eine unfehlbare Unterscheidung von Gut und Böse. Und je zuversichtlicher man im Verurteilten des Bösen war, um so sicherer konnte man sich zu den Guten rechnen.
Das ist eine Weile her. Inzwischen haben wir unsere Erfahrungen gemacht: Richter sind beeinflußbar; Ankläger erliegen oft einen unguten Verfolgungseifer – und Verteidiger kennen allerlei listenreiche Bemühungen zugunsten ihrer Mandanten. So mögen wir, wenn ein Urteil ergangen ist, nur sehr eingeschränkt von der Wiederherstellung des Rechtes sprechen. Aber immerhin dient es dem Rechtsfrieden. Wenn da nicht der Zweifel wäre, ob das mit „gut und böse“ so stimmt.
…………..

Jetzt legen wir dieses Heft zur Seite und fragen:
Welche Erfahrungen machen betroffene Pfarrer in der Kirche, z.B. gerade in einem „Gerichtssaal“ (oft ein Zimmer im Gebäude der Kirchenverwaltung), wo es nicht einmal um Schuld geht? Wie gehen Juristen ob in der Exekutive (Kirchenbehörde) oder der Judikative („Rechtsinstanz“) mit den Gesetzen um?
Genau ein Jahr bevor das Heft veröffentlicht wurde, meinte pikanterweise ein Verwaltungsrichter, der zeitgleich in der Legislative (Rechtsausschuss der Landessynode) und der „Judikative“ (vorliegend damals ein anderer Ausschuss der Synode namens Landeskirchenausschuss in Beschwerdesachen unter dem Vorsitz eines Mitglieds der Kirchenleitung) ehrenamtlich tätig war:

In der Kirche sei „noch der Wille zu einem fairen Umgang miteinander vorhanden.“ (epd / 1/1996)

Betroffene in seiner Landeskirche haben es aber ganz anders erlebt: davor, um diese Zeit und auch danach…

Nicht ganz zufällig fand im Mai 1999 an der Akademie Bad Boll eine ökumenische Fachtagung statt zum Thema „Rechtschutz und Gewaltenteilung in den Kirchen: Neue Anforderungen an kirchliche Gerichtsbarkeit“. Gastredner waren u.a. diverse ev. Kirchenjuristen bzw. an Kirchengerichten der EKD tätige Verwaltungsriichter, aber auch die württ. Pfarrervertretung und der Verband Deutscher Pfarrvereine waren beteiligt. Einige Betroffene, die mit viel Mut diese Diskussion in der breiten Öffentlichkeit ausgetragen hatten, waren auch anwesend.

Jetzt zitiere ich aus einem Urteil des VGH aus dem Jahr 2007:

Nach ständiger Rechtsprechung der staatlichen Gerichte gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens das Recht auf ein faires Verfahren; es ist gekennzeichnet durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher Waffen-und Chancengleichheit… Diese Grundsätze sind erst recht innerhalb der Kirche anzuwenden“ (Verwaltungsgerichtshof der Union evangelischer Kirchen in der evangelischen Kirche in Deutschland – VGH 08/06, S. 8).

Stimmt nicht die Betonung: „…erst recht innerhalb der Kirche…“ nachdenklich? Wurden dienstrechtliche Maßnahmen durch Kollegialbeschlüsse der Kirchenleitung verfügt, so machte mancher Pfarrer die Erfahrung, dass gerade in der Kirche die beteiligten Juristen, „allerlei listenreiche Bemühungen“ zu ihren eigenen Gunsten angewandten hatten, und dass die einzige Rechtsinstanz der Landeskirche, die er anrufen konnte, um sein Beschwerderecht in Anspruch zu nehmen, lediglich der verlängerte Arm der Kirchenleitung war. Er machte die Erfahrung, dass sein im Gesetz verankertes Recht auf ein faires Verfahren (s.o.) mit den Füssen getreten wurde… Manch ein Betroffener hat seinen eigenen Fall erst Jahre später umfassend verstehen können und er erlebt seine Landeskirche als eine geschlossene Gesellschaft, in der Gemeinschaft wichtiger ist als Wahrheit oder zumindest die Suche danach.
………….
Jetzt zum Jubiläum: Der Verein D.A.V.I D. gegen Mobbing in der ev. Kirche wurde zwar erst im März 2001 (so auf der Homepage angegeben) gegründet, er entstand aber schon vorher als „Unabhängige Dokumentationsstelle für Mobbingfälle in der Ev. Kirche“ aufgrund eines akuten Falles in Wiesbaden zwischen November 1996 bis Mai 1998 (!). Als ich, eine betroffene und kämpferische „Pfarrfrau“ aus einer anderen Landeskirche, über einen Pressebericht von diesem damals ganz frischen Fall und der Dokumentation dazu hörte, habe ich sofort Verbindung mit dem Gründungsmitglied Frau Uhlmann aufgenommen und mir die Doku schicken lassen.
Gerade deshalb habe ich ihren Beitrag in den Evangelischen Aspekten 3/2004 aufmerksam gelesen: Wenn es offen nicht klappt, geht man eben hinten rum“, aber auch die Antwort darauf vom badischen Kirchenjurist Dr. Jörg Winter: ‘Hintenrum‘ geht gar nichts (1/2005).
Ich selbst habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass „hintenrum“ sehr wohl alles geht.

Ich erlaube mir an dieser Stelle den Text aus dem Flyer zu der im November geplanten, aber aufgrund von Corona verschobenen Jahrestagung des Vereins zu übernehmen. Das Thema: Die herrschaftliche Kirche und ihre krankmachenden Strukturen.

So soll es nicht sein unter Euch! (Matthäus 20, 25 und 26)
Nein, so soll es nicht sein unter denen, die Jesus nachfolgen wollen! Es soll nicht so sein, wie es unter den Mächtigen in dieser Welt zugeht, die ihre Völker niederhalten und mit Gewalt gegen sie vorgehen. Nicht so in der Jüngerschar Jesu! Nicht so in der Kirche Jesu Christi! Nicht so in christlichen Gemeinden! Und erst recht nicht so in kirchlichen Einrichtungen, die für sich in Anspruch nehmen, in christlichem Geist geführt zu werden! Es soll nicht so sein, wie es sich damals zwei der Jünger Jesu wünschten: In Jesu Reich ganz oben und über allen anderen thronen dürfen.
Aber warum ist es trotzdem immer wieder so?
Warum gibt es in der Kirche so viel Zank und Streit, Ehrsucht, Hinterhältigkeit, Rufmord, eskalierende Konflikte, die mit der Zerstörung menschlicher Existenzen, der Ausgrenzung anderer, dem Niedertreten von Würde und Ehre des christlichen Bruders, der christlichen Schwester enden? Und das offenbar mehr und schlimmer als in anderen Vereinen und Gruppen der Gesellschaft? Sind Christen boshafter als andere Menschen oder liegt es an bestimmten Strukturen? Wir vom Verein D.A.V.I.D. meinen, dass die heutigen kirchlichen Strukturen zu einem Verhalten führen, das diametral all den schönen Worten, wie sie offiziell verlautbart werden und wie sie in den Präambeln kirchlicher Verfassungen stehen, widerspricht. Kann sich die Kirche ändern?

In diesem Sinne allen ein gesundes neues Jahr!

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RE: 2021

#2 von Sunny , 27.12.2020 10:39

Ein toller Beitrag, der viele Wahrheiten enthält und die Vorgehensweise in der Kirche und den Seilschaften in Justiz beschreibt.

Erst zu Weihnachten haben mehrere Personen in unserem Regionalfernsehsender Weihnachtsgrüße übermittelt. Eine Dame... Rechtsanwältin und Mitglied in der Landessynode.... Musste schwer schlucken. Kein Wunder, dass sich macht besessen Pfarrer immer wieder trauen Grenzen zu überschreiten. Die manipulierenden und schweigenden Seilschaften sind überall. Kirchengerichte/Weltgerichte.

Gestern habe ich einen Film gesehen. Spät abends über Hexenverfolgung. Wie hemmungslose und brutal Menschen gequält worden sind. Erwachsene und Kinder. Leider stand hier nur die katholische Kirche im Mittelpunkt. Die evangelische Kirche ist auch nicht besser. Bis heute treiben wahrscheinlich psychopatische Geistliche ihr Unwesen nur sind die Taten andere und die Methoden der Vertuschung. Leider versteckt sich die ev. Kirche hinter der kath. aber Austrittzahlen beider Kirchen zeigen, dass Menschen verstehen.
Es ist traurig, dass kirchliche Schandtaten durch Kirche sowieso, aber auch Justiz und Politik gedeckt wird.
Erst kürzlich hat Laschet Stellungnahme zum Missbrauch der katholischen Kirche bezogen. Ich war platt.
Ich hoffe, dass sich Zeiten ändern werden und immer mehr Leute durchschauen und aufstehen werden. Vielleicht auch angeregt durch Beiträge wie deine Panama.

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RE: 2021

#3 von Achim , 16.01.2021 20:24

Liebe, liebe Panama,

ganz herzlichen Dank für die Erinnerung an das DAVID-Jubiläum, das dem Vereinsvorstand im Tagesgeschäft fast verborgen geblieben wäre.

LG

Achim


Gemeinsam sind wir stark!

 
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RE: 2021

#4 von Panama* , 01.03.2021 15:40

Ich schiebe kommentarlos meinen eigenen Beitrag vom 27. Dezember 2020 wieder nach oben.

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