Liebe Freunde,
in der heutigen Ausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung findet sich folgender Artikel, der mich, nur was Dauer und Intensität des Konflikts betrifft, an unsere Freunde in Bad Fallingbostel erinnert:
"Die Zerreißprobe
In Bothfeld wird eine neue Kirche gebaut, doch der Streit um das Projekt hat die St.-Nathanael-Gemeinde tief gespalten. Jetzt hat sie einen neuen Kirchenvorstand gewählt – und will von vorn beginnen.
Von Simon Benne
„Es ist gelungen, die Gemeinde zu erhalten“: Pastor Stephan Vasel vor der Brachfläche, auf der die neue St.-Nathanael-Kirche entstehen soll. Foto: Kutter
Es gibt das Gebäude noch nicht, doch Pastor Stephan Vasel hat es schon genau vor Augen: „Dort wird die Kirche stehen“, sagt er und lässt die Hand zur Brachfläche an der Einsteinstraße schweifen. Eigentlich sollte die St.-Nathanael-Gemeinde schon bei ihrer Gründung 1961 ein eigenes Gotteshaus bekommen, doch der Bau zerschlug sich damals. Seither feierte die evangelische Gemeinde ihre Gottesdienste im nahen Gemeindezentrum. Ein dauerhaftes Provisorium. Einzig der vor mehr als 50 Jahren errichtete Kirchturm stand als „Campanile von Bothfeld“ ziemlich verloren am Rande der Brachfläche herum.
Jetzt wird der Kirchbau nachgeholt: Wenn alles glattgeht, kann im Mai der Grundstein gelegt werden. Neue Kirchen werden kaum noch gebaut, das Projekt könnte von Aufbruchsstimmung flankiert sein. Doch dem Bau ist ein jahrelanger Streit vorausgegangen, der die Gemeinde tief gespalten hat. Der Zwist wirft ein Schlaglicht darauf, welche Verletzungen ehrenamtlich Engagierte einander auch in der Kirche zufügen können.
„Extrem konfliktbeladen“
Der Neubau soll dem Schrumpfen der Gemeinde Rechnung tragen, die nur noch rund 2500 Seelen zählt. Diese hat dafür einen Teil ihres Grundstücks und zwei alte Pfarrhäuser verkauft, für rund 1,8 Millionen Euro. Der Neubau des Kirchenzentrums soll etwa 1,7 Millionen Euro kosten. Zu diesem gehören ein Kirchsaal mit Empore und Gruppenräume. Das alte Gemeindezentrum ist bereits verkauft. St. Nathanael darf es noch bis Ende 2019 nutzen, dann wird es abgerissen. Auf dem Areal entstehen insgesamt zwölf Reihenhäuser. Das neue Kirchenzentrum wird etwas kleiner ausfallen als das alte Gemeindezentrum: „Wir reagieren damit auf den Schwund an Kirchenmitgliedern“, sagt Pastor Vasel.
Die Pläne gibt es schon lange, doch bei den Wahlen zogen 2012 auch drei Kritiker des Neubauprojekts in den Kirchenvorstand (KV) ein, die dort fünf Befürwortern gegenübersaßen. „Damit begannen Jahre, die man kein zweites Mal erleben möchte“, sagt Ricarda Schweitzer, die seit zwölf Jahren dem KV angehört und den Neubau unterstützt: „Das alles war extrem konfliktbeladen und nervenraubend.“ Teils machten Gegner des Projekts mit Flugblättern Stimmung gegen Befürworter, statt sachlicher Debatten prägten bald persönliche Animositäten das Bild.
„Da wurden Leute gemobbt“, sagt auch Andreas Friedlein, der im Kirchenvorstand vehement gegen den Neubau stritt. Der 53-Jährige wurde im alten Gemeindezentrum getauft, konfirmiert und getraut. „Es ist unsinnig, intakte Bausubstanz abzureißen“, sagt er noch immer. Unterstützer des Bauprojekts pochen darauf, dass der eigenständige Erhalt der kleinen Gemeinde ohne eigene neue Kirche bedroht gewesen sei: „Wir sind eine lebendige Gemeinde und wollten den Standort durch den Neubau sichern“, sagt Schweitzer.
Streit zog sich Jahre hin
Andreas Friedlein hingegen hält den Neubau für zu groß und befürchtet, dass die Gemeinde mit der Unterhaltung finanziell auf Dauer überfordert sei. Er rechnet vor, dass die Kirche der Gemeinde nur für maximal 280 Quadratmeter Zuschüsse gewähre, während der Neubau 405 Quadratmeter groß sei. Nachdem eine eigens eingesetzte Expertenkommission diesen auch wirtschaftlich für sinnvoll erklärt hatte, votierte der Kirchenvorstand dennoch mehrheitlich für den Neubau.
„Es gab danach viel böses Blut“, sagt Pastor Vasel, der seine Worte wägt, wenn er darüber spricht. Einige Gemeindemitglieder sprechen von „Verleumdungen“, von „Rufmord“ und „Diffamierungen“ seitens der Baugegner, die ihre Kontrahenten immer wieder in Flugblättern angingen. Bald prägte Misstrauen das Klima in der Gemeinde.
Andreas Friedlein, selbst Jurist, sagt, vor der entscheidenden Abstimmung habe der Stadtkirchenverband „mit Intransparenz und Manipulation“ Stimmung für den Neubau gemacht. Den Befürwortern attestiert er „Eitelkeit und Unsicherheit im Umgang mit Immobilienangelegenheiten“. Das Landeskirchenamt beschuldigt er, seine Aufsichtspflicht bewusst verletzt zu haben. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde von Baugegnern gegen den zuständigen Superintendenten Thomas Höflich wurde niedergeschlagen. Doch über dem Streit gingen Jahre ins Land.
„Wir blicken nach vorn“
Man kann in dieser Geschichte ein Musterbeispiel dafür sehen, wie ein kleines Häuflein uneinsichtiger Querulanten demokratische Prozesse in der Kirche fast zum Stillstand bringen kann. Man kann in ihr auch ein Musterbeispiel dafür sehen, wie die Amtskirche eine Minderheit unter den Ehrenamtlichen abbügelt, deren Position nicht ins Konzept passt. Das ist in Nathanael beinahe eine Glaubensfrage.
Friedlein kämpfte mit harten Bandagen. Auch zu kleinsten Verästelungen des Baukonflikts verfasste der 53-Jährige lange E-Mails, die er an alle Beteiligten schickte. Mit der Entscheidung für den Bau mochte er sich nicht abfinden. Nach langen Querelen suspendierte der Stadtkirchenvorstand ihn als Kirchenvorsteher – ein Vorgang mit Seltenheitswert. Friedlein beschwerte sich, und als das Landeskirchenamt nicht reagierte, verklagte er es wegen Untätigkeit. Am Ende kam es zu einem Vergleich: Bei einer öffentlichen Kirchenvorstandssitzung wurde er jetzt mit Dank und Applaus und versöhnlichen Worten verabschiedet. Er versprach seinerseits, bei den KV-Wahlen, die am Sonntag über die Bühne gingen, nicht wieder zu kandidieren.
„Der Streit ist zu Ende, und es ist gelungen, die Gemeinde zu erhalten“, sagt Pastor Vasel. Für den neuen Kirchenvorstand hatten sich neun Kandidaten gefunden: „Allesamt nette, kompetente Leute, die der Gemeinde positiv verbunden sind.“ Im Kirchenfoyer hängen inzwischen Baupläne, die Kindergottesdienstgruppe hat dort mit Playmobil ein Modell der Baustelle nachgestaltet. Doch die Querelen haben Spuren hinterlassen. Binnen fünf Jahren hat St. Nathanael etwa 400 Mitglieder verloren, viele ließen sich entnervt in andere Gemeinden umpfarren oder traten gleich ganz aus der Kirche aus.
Die Verletzungen sitzen tief. Kirchenvorsteherin Schweitzer gibt sich dennoch positiv: „Wir blicken jetzt nach vorn“, sagt sie. Es klingt ein wenig, als wollte sie sich selbst Mut machen."
Euer
Achim