Als Mitglied von D.A.V.I.D.e.V. war ich einmal in einen ähnlichen, aber nicht vergleichbaren Fall involviert. Es ging um einen betagten Pfarrer, der lange nach dem Eintreten in den Ruhestand von einem alkoholkranken Menschen solcher Taten beschuldigt wurde. Auf mich zugekommen war aber kein Betroffener, sondern dem Pfarrer wohlwollend verbundene Menschen, die das Ganze schlicht für die Infamie eines Taugenichts hielten. Andererseits war es auch möglich, dass der "Taugenichts", der wohl schon früh auf einem leicht kriminellen Weg war, durch solche Erfahrungen völlig aus der Bahn geworfen wurde. Ich nahm also Kontakt mit dem Betroffenen auf, der sich bitter beklagte und in seiner früheren Jugendarbeit sehr erfolgreiche und von vielen Jugendlichen geschätzte Aktivitäten vorweisen konnte. Als Folge der Gerüchte, durfte der alte Herr nicht mehr bei der Hausaufgabenbetreuung von Kindern in sozialen Brennpunkten mitwirken. Das erlebte er als extrem ungerecht.
Ich konnte sogar mit einem Ehemaligen sprechen, der jetzt Sozialarbeiter war. Dieser sagte:" Ich kann für mich nur das Beste über die damalige Zeit sagen. Wir Jugendlichen konnten uns da treffen, etwas unternehmen und Spaß haben. Ich kann nichts Negatives sagen, weiß aber nicht, ober er sich anderen gegenüber anders verhalten hat als bei mir. Ich kann nur für mich sprechen." Des weiteren konnte ich mit einem Mann sprechen, der sogar als Jugendlicher vorübergehend bei dem allein stehenden Pfarrer gewohnt hatte. Weder hatte er Übergriffe erlebt, noch hatte den Verdacht, das so etwas geschehen sein könnte, da er in der fraglichen Zeit im Pfarrhaus lebte, wo viele Jugendliche ein- und ausgingen. Nach den Erzählungen des Alkoholkranken hätte er es aber wegen der Zeit- und Ortsangaben "des Opfers" bemerken müssen. Andererseits, warum sollte jemand in der mehrmonatigen Therapie ein Buch über Missbrauch schreiben, wenn er nicht davon betroffen war?
Ich versuchte also, den Betroffenen im Gespräch zu stützen. In diesen Gesprächen gab es aber immer sich wiederholende Sequenzen, die an sich harmlose, aber in ihrer Penetranz doch verdächtige "Spielchen" beschrieben, die eine große körperliche Nähe zu Jungen ermöglichten. Ich war sehr irritiert, fragte auch nach:...Und kamen auch Mädchen zu Ihnen, zu Ihren Spielen im Freien?" "Ja, ja...es gab auch Mädchen (aber ganz deutlich zu spüren unter ..."ferner liefen.") Auch das Verbot, den Kindern bei der Hausaufgaben-Betreuung zu helfen, rief nicht nur eine Kränkung, sondern Leid hervor. "Wissen Sie, ich bin doch so gern mit Kindern zusammen... ich kann ohne sie gar nicht leben."
Ein ungutes Gefühl blieb und ich verwies meinen Gesprächspartner weiter an eine Therapeutin, die bei uns in einem lokalen Rahmen sehr engagiert ist, schilderte ihr mein Unbehagen. Ich bat sie die Gespräche zu führen, da mein Unbehagen mich trotz der guten Zeugnisse ehemaliger Jugendlicher blockierte. Einige Wochen oder Monate später - ich weiß es nicht mehr genau - rief sie mich an und teilte mir mit, dass ihr das Gleiche aufgefallen war wie mir. Unsere Wahrnehmungen und Gefühle waren geradezu identisch. Sie sagte, "Der alte Herr kann einem leid tun, aber ich werde diese Gespräche abbrechen. Ich kann das auch nicht mehr."
Ich meine, man sieht aus meinem Beitrag wie schwer es ist, in einer solchen Situation richtig zu reagieren. Denn schon ein ausgesprochener Verdacht kann auch das Leben eines Menschen völlig zerstören. Es gibt traurige Beispiele dafür. In diesem Fall gab es nun das kinderpornografische Material, also Beweismittel. Von diesem Zeitpunkt an, hätte der Erzieher sicher abgezogen werden müssen. Aber gibt es dafür eine Rechtsgrundlage? Und wenn die Eltern informiert worden wären, hätte das nicht möglicherweise zu einer Hexenjagd geführt? Einer Vorverurteilung? Einer Hysterie?
Joringel