Es geht auch anders …
Bericht über einen Mobbingfall aus der Evangelischen Landeskirche in Baden von Elisabeth Wilkens, Dipl.-Psych.
regionale Ansprechpartnerin von D.A.V.I.D. für die Evangelische Landeskirche in Baden
Hilfesuchend und verzweifelt wendet sich im letzten Jahr (2012) ein betroffener Pfarrer an
mich: „Sie werden mir nicht glauben, was ich Ihnen jetzt erzähle. Ich weiß gar nicht, wie
ich in diese Situation geraten konnte, ich weiß auch gar nicht, was ich getan haben soll.
Zwei Mitglieder meines Ältestenkreises haben sich gegen mich verschworen und wollen
mich vertreiben. Die anderen machen mit. Ich kann niemandem mehr vertrauen. Jetzt bin
ich krank geschrieben, da ich mehrere Nervenzusammenbrüche hatte.“
Soweit die Ausgangslage. Ich rate dem Betroffenen, nichts mehr ohne vorherige Rücksprache
mit mir zu unternehmen (keine Gespräche, keine Telefonate, keine Rechtfertigungsversuche),
da jeder Versuch, aus der missliebigen Situation herauszukommen oder gar die Gerüchte
zu widerlegen und damit zum Schweigen zu bringen, aller Erfahrung nach nur noch
Schlimmeres bewirken könnte.
Mit Zustimmung des Pfarrers wende ich mich an den Prälaten, der mir zusagt, einen gemeinsamen
Gesprächstermin mit dem zuständigen Dekan, dem Betroffenen, mir als Beistand
und seiner Person sobald wie möglich zu vereinbaren.
Dieses Gespräch findet dann auch nach Beendigung der Krankschreibung des Pfarrers
statt.
Zuvor vereinbare ich mit „meinem“ Klienten, dass er nicht versuchen soll, sich zu erklären
oder gar zu rechtfertigen, da dies ja nur bestätigen würde, dass es in der Gemeinde einen
Konflikt gibt, der nach § 79 Pfarrdienstgesetz nicht in der Person der Pfarrers begründet
sein muss und dem nicht nachgegangen wird.
Letztlich geht es darum, den § 79 zu „umgehen“ und eine Lösung zu finden, die keine materiellen
oder sonstigen Einbußen nach sich ziehen würde.
Dies gelingt im Gespräch mit Prälat und Dekan, es wird ein gemeinsames Protokoll vereinbart.
Anfang 2013 findet im Evangelischen Oberkirchenrat ein Gespräch mit dem zuständigen
Personalreferenten statt, der die im o.g. Protokoll gefundenen Lösungsvorschläge akzeptiert
und damit dem Betroffenen einen Weg ermöglicht, der weder für sein Ansehen noch für seine
materielle Existenz von Nachteil ist.
Günstig war, dass der betroffenen Pfarrer sich sehr schnell an mich gewandt hat, so dass
noch keinerlei offizielle Beschlüsse o.ä. vorlagen. Zudem wollte er auf keinen Fall in der
Gemeinde bleiben. Hinzu kommt die badische Regelung des „Verzichts auf eine Pfarrstelle“
(s.u.).
Aber ist, was die Überschrift Es geht auch anders …vermuten lässt, damit wirklich alles
gut: keine Gehaltskürzung, eine weitere volle Beschäftigung (Verwaltungsaufgabe), die die
Möglichkeit für Fort- und Weiterbildungen einschließt, um bessere Bewerbungschancen zu
haben?
Nach außen ist alles geregelt, aber die psychischen Verletzungen bleiben, es wird nichts aufgearbeitet,
die „Täter und Täterinnen“ werden nicht zur Rechenschaft gezogen, es gibt kein
Nachfragen, keine Gegenüberstellung!
Gewiss mag es private Gründe für den „Verzicht auf eine Pfarrstelle“ geben – aber könnte
der oder die Betroffene von der Kirchenleitung nicht gefragt werden, ob er/sie eine Aufarbeitung
des Konflikts wünscht?
Es gibt keinen Versuch, die Gerüchte, die Unterstellungen, die Halb- und Unwahrheiten auszuräumen,
Gemeindeglieder fragen sich, was eigentlich wirklich war, denn ohne Grund geht
ein Pfarrer/eine Pfarrerin doch nicht so schnell … Ein Klima des gegenseitigen Misstrauens
bleibt zurück! Die Erfahrung lehrt, dass Gemeinden sich von solchen Verwerfungen nur
schwer erholen, und es für die nachfolgenden Pfarrerinnen oder Pfarrer oft sehr mühsam
wird, Fuß zu fassen und wieder eine fruchtbare Gemeindearbeit anzustoßen.
„Vertraut den neuen Wegen“ … leider wird dieses Kirchenlied in Verkennung seiner eigentlichen
Intention häufig dazu missbraucht, um alles Vergangene unter den Teppich zu kehren.
Und noch etwas gilt auch hier: Die Opfer erinnern sich immer besser als die Täter! In ihrem
Gedächtnis bleibt das Erlittene lang präsent, aber wer hilft ihnen? Wer nimmt sich ihrer an?
Gibt es nicht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers? Damit, dass Konflikte verschwiegen
werden (Es besteht Schweigepflicht und Gnade demjenigen, der sie in solchen Fällen
bricht!), verschwinden sie doch nicht und werden ungeschehen! Tatsache ist, die Betroffenen
werden mit ihren traumatisierenden Erfahrungen von der Kirchenleitung allein gelassen.
Meine Forderung an alle Verantwortlichen in den Gliedkirchen der EKD ist daher: Schaffen
Sie auch und gerade in der verfassten Kirche ein Verfahren, das Mobbingopfern die Möglichkeit
gibt, sich zu den erhobenen An- und Vorwürfen in einer Gegenüberstellung mit denen,
die sie erheben, zu äußern und damit die Möglichkeit zu eröffnen, Recht und Gerechtigkeit
walten zu lassen.