Wie geht es Behinderten in Griechenland?

#1 von Wassermann , 09.07.2015 13:20

Gestern war im Fernsehen ein Bericht über einen Mann (Erwin Schrümpf) zu sehen, der alle vier Wochen nach Griechenland fährt und den Ärmsten lebensnotwendige Dinge und Medikamente bringt. Unter anderem besuchte er auch eine kleinere Wohngemeinschaft mit behinderten Kindern. Die Betreuerinnen erzählten, dass sie immer weniger Unterstützung erhielten und nicht wüßten, wie lange sie die Einrichtung noch aufrecht erhalten könnten. Da dachte ich mir, es wäre doch schön wenn die Evangelische Stiftung Neinstedt oder eine andere gleichartige Stiftung eine solche Einrichtung aktiv unterstützen könnte. Bestimmt würden viele Menschen aus unserem Umfeld dafür spenden. Immerhin müssen wir uns um die Ernährung und medizinische Versorgung unserer Bewohner keine Sorgen machen. Und auch sonst ist viel Teilhabe am Leben möglich. Aber diese Kinder wurden vernachlässigt und schon zum Teil von ihren Eltern weggeben. Die Betreuerin sagte, sie sind uns über die Jahre ans Herz gewachsen und sind fast wie unsere eigenen Kinder.

Für die, die sich weiter informieren oder spenden wollen hier die Internetadresse www.griechenlandhilfe.at der betreffenden Organisation.

Es grüßt Euch
Euer Wassermann

Wassermann  
Wassermann
Beiträge: 87
Punkte: 271
Registriert am: 18.11.2014


RE: Wie geht es Behinderten in Griechenland?

#2 von Joringel , 10.07.2015 13:32

Hallo Wassermann,

Danke, dass Du auf die Not in Griechenland hingewiesen hast. Manchmal fällt es uns schwer, sich in die Nöte anderer Menschen hineinzuversetzen. Oder man hat Angst, dass sich andere - die Falschen natürlich - über die gutgläubigen Spender ins Fäustchen lachen. Aber hier sieht man ja, dass Geld- und Sachspenden ankommen. Und man muss ja auch nicht gleich die ganz große Initiative starten, eine Geldspende hilft sicher auch schon ein wenig weiter. Übrigens habe ich auf der Webseite des Vereins gelesen, dass der Initiator Erwin Schrümpf selbst in einem Kinderdorf aufgewachsen ist. Es beeindruckt mich, dass er gerade deswegen anderen helfen will.

Joringel


Joringel  
Joringel
Beiträge: 1.150
Punkte: 3.895
Registriert am: 28.10.2013


RE: Wie geht es Behinderten in Griechenland?

#3 von turmfalke , 28.07.2015 22:35

Lieber Wassermann! Danke, dass du die Not in Griechenland angesprochen hast. Wir müssen auch über den Tellerrand hinausschauen. Ich habe inzwischen für unsere Tageszeitung einen Leserbrief geschrieben zum Thema, den ich nun auch hier ins Netz stelle. Es ist mir sehr ernst mit meiner Wortmeldung, um einen Beitrag zu leisten zu einem längst fälligen Umdenken in der europäischen Finanzszene. Dabei bin ich mir bewußt, dass mir viele Leser nicht zustimmen werden. Aber ich weiß auch, dass ich nicht allein bin mit meiner Einschätzung. Hier der Text des Leserbriefes:

"Ochi oder nai, "nein" oder "Ja", was ist richtig für Griechenland?

Ich bin kein Politiker und kein Wirtschaftsfachmann, sondern nur eine kleiner evangelischer Landpastor. Ich verfolge aber seit Jahren das Zeitgeschehen in den Medien. Aus einem Gefühl der Verantwortung möchte ich mich nun in diesem Artikel oder Leserbrief zu Wort melden:

Man muss den Hut ziehen vor der Ausdauer, mit der die europäischen Finanzminister und Regierungschefs mit der Regierung Griechenlands um die Zukunft von Griechenland und ganz Europa gerungen haben.

Wir sind froh, dass das Schlimmste in letzter Minute abgewendet werden konnte. Ein offener Staatsbankrott hätte in Griechenland zum Zusammenbruch aller Strukturen des öffentlichen Lebens geführt. Dass hätte ein unvorstellbares Elend bedeutet besonders für die Schwachen in der griechischen Gesellschaft, die auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Dennoch kann man mit dem vorläufigen Verhandlungsergebnis noch nicht zufrieden sein.

Grundsätzlich gilt sicherlich: Die große Mehrheit der griechischen Bevölkerung ist nicht schuld an der Krise. Sie muss aber leider die Konsequenzen ausbaden.
Griechenland hat nicht das Problem, dass es zu viel ausgibt, sondern dass es zu wenig einnimmt.
Die Mehrheit der Griechen sind nicht zu faul und auch nicht zu verschwenderisch.

Allerdings ist die Mentalität in Griechenland eine andere als in Deutschland. Das griechische Wort "Philo´thymie" beschreibt vielleicht am besten die Lebensart der Leute: "Freundlichkeit und Gelassenheit". Ist dies nicht gerade der Grund dafür, warum wir Deutschen so gerne nach Griechenland in den Urlaub fahren und so gerne ins griechische Restaurant gehen?
Angesichts der bitteren Armut haben viele Griechen jetzt aber ihre Philo´thymie verloren.

In dem Referendum und nun in der Abstimmung im griechischen Parlament ging es für die Griechen um die Auflagen, die die europäischen Kreditgeber als Voraussetzung für die Bewilligung neuer Mittel gefordert haben. War es richtig, mit "nein" zu stimmen, oder hätten sie besser gleich "ja" sagen sollen? Beides ist richtig, und beides ist falsch zugleich! Ich möchte versuchen, in zwei Bildern zu erklären, was ich meine:

Zunächst ist es natürlich in hohem Masse unvernünftig, "guten Wein in ein Fass ohne Boden zu schütten".
Wie lange soll das mit immer neuen Notkrediten für Griechenland noch weitergehen? Griechenland war vermutlich als Staat schon vor 5 Jahren bankrott. Die Geschichte der vergangenen Jahre ist also die Geschichte einer Insolvenzverschleppung, die das Schuldenproblem Griechenlands nur noch weiter verschärft hat. Damit muss einmal Schluss sein!

Gleichzeitig gilt aber auch die Kehrseite: Es ist ausgesprochen unvernünftig, "einem Handwerker, der Schulden hat, den Hammer aus der Hand zu nehmen und ihn in den Schuldturm zu sperren".
Wenn man den Handwerker daran hindert, zu arbeiten und Geld zu verdienen, dann wird er niemals seine Schulden zurückzahlen können. Es muss vielmehr ein Investitionsprogramm her und neue Arbeitsaufträge.

Immer weiter verschärfte Sparauflagen haben eine Volkswirtschaft noch nie aus einer Wirtschaftskrise heraus geführt.
Niemand kann das besser wissen als wir Deutschen. Wir haben in der Schule gelernt, dass gerade dies in den frühen 30er Jahren das Problem in Deutschland gewesen war. Über Jahre hindurch haben damals immer neue Reichskanzler versucht, mit immer neuen Sparprogrammen die Volkswirtschaft zu sanieren. Und einer nach dem anderen ist daran gescheitert. Das Elend, das daraus folgte, hat zur Radikalisierung der Massen geführt und schließlich direkt zur Machtübernahme Hitlers und in den zweiten Weltkrieg.

Einen vergleichbaren Weg der Radikalisierung kann sich kein Europäer für das Mutterland der europäischen Demokratie wünschen. Und wir alle wären davon mit betroffen.

Als ich meinen Standpunkt vor einigen Tagen in einer Kirchengemeinde in einer Gemeindeveranstaltung bis hierhin vortragen hatte, meldete sich ein Gemeindeglied zu Wort. Er stellte sich vor als ein Insolvenzverwalter, der beruflich damit beschäftigt ist, Firmen zu begleiten, die in eine Insolvenz geraten sind. Er hat mir grundsätzlich recht gegeben: Es hat keinen Zweck, dem Handwerker das Werkzeug aus der Hand zu nehmen, wenn er insolvent ist. Das Ziel muss vielmehr sein, ihm wieder zu neuer Arbeit zu verhelfen, damit er wieder Geld verdienen kann.

Er ergänzte dann aber meine Gedanken aus der Erfahrung seiner Beratertätigkeit: Wir versuchen zusammen mit den Betroffenen herauszubekommen, was die Ursachen der Insolvenz waren. Erst wenn man weiß, woran es gelegen hat, kann man die Probleme abstellen und einen Neuanfang wagen. Wenn man so weiter macht wie bisher, wird es bald eine neue Insolvenz geben.

Das gilt vermutlich auch für Griechenland. Die Krise liegt sicherlich nicht daran, dass die Griechen zu viel Geld ausgeben. Renten- und Krankenkassen, Gehälter für die Staatsbediensteten für die notwendigen öffentlichen Dienste, Straßen und Infrastruktur; alle brauchen ein Mindestmaß an Geld, um funktionieren zu können. Der Staat und die Systeme des Sozialstaates haben aber offensichtlich nicht ausreichende Strukturen, um dafür genügend Einnahmen zu erwirtschaften. Steuern und Sozialabgaben werden nicht mit ausreichender Klarheit eingezogen von denen, die Abgaben leisten können.
Das mag einerseits an mangelnden Verwaltungsstrukturen liegen. Es liegt aber wohl auch daran, dass es in Griechenland - und anderswo - einer reichen und superreichen "Oberschicht" möglich ist, durch Steuerflucht und scheinbar legale Steuervermeidungsstrategien ihre sozialen Verpflichtungen zu vernachlässigen. Und es scheint, dass die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Europa und weltweit dieses unsoziale Verhalten begünstigen. Wenn das so ist, dann sind auch die reichen Länder Europas mit schuld an der griechischen Krise, solange wir die internationale Steuerflucht weiterhin tolerieren.

In der Gemeinde sprach ich schließlich davon, dass auch ein Schuldenschnitt für Griechenland notwendig sei. Und ich verwies wieder auf unsere deutsche Geschichte: Als wir nach dem Krieg ausgeblutet am Boden waren, hat man uns geholfen. Ohne den Marschallplan und ohne den Schuldenschnitt von 1953 wäre unser eigenes "Wirtschaftswunder" nicht möglich gewesen. Gerade wir hätten also in wirtschaftlichen Dingen Anlass, dem Grundgedanken der fünften Bitte zum "Vater Unser" zu folgen: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Uns ist vergeben worden, also sollten wir auch bereit sein, Schulden zu vergeben.

Da meldete sich der Insolvenzverwalter noch einmal zu Wort: Ein Schuldenschnitt ist für die Überwindung einer Insolvenz meistens notwendig. Das wird aber nicht gleich zu Anfang vollzogen. Sondern zunächst werden die Schulden gestundet: Auf Rückzahlung wir vorübergehend verzichtet. Erst wenn die Firma wieder auf die Beine gekommen ist und das Sanierungskonzept sich bewährt hat, kann man einen Teil der alten Schulden dann tatsächlich vergeben. Als Theologe wünsche ich mir, dass Vergebung ohne Vorbedingung möglich ist, aber als Pädagoge muss ich wahrscheinlich zustimmen.

Griechenland braucht also nicht vor allem ein Sparprogramm. Sondern es braucht einen starken Staat, der ein Sanierungskonzept bei den eigenen Leuten durchsetzt. Und dazu braucht es eine europäische Gemeinschaft, die einer griechischen Regierung dazu den Rücken stärkt. Vor allem braucht es aber eine vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit, um das vorhandene Problem Griechenlands und Europas gemeinsam zu lösen.

... Ev.-luth. Theologe, 35 Jahre Erfahrung als Gemeindepastor, darunter 6 Jahre in Brasilien, damals in schwerer Wirtschaftskrise. "

Ich weiß, dass dieser Beitrag nicht eigentlich zur Kernkompetenz unseres Forums gehört. Vielleicht habt ihr ihn trotzdem mit einigem Interesse gelesen.

Viele Grüße! Turmfalke


turmfalke  
turmfalke
Beiträge: 610
Punkte: 1.980
Registriert am: 28.12.2013


RE: Wie geht es Behinderten in Griechenland?

#4 von Joringel , 29.07.2015 11:02

Lieber Turmfalke,

ich kann Dir versichern, dass ich Deine Ausführungen mit großem Interesse gelesen habe. Erst einmal habe ich es als hilfreich empfunden, dass Du die Grundtheorien und Gedanken vorsortiert hast. Nach jeder Nachricht, nach jeder Talkshow fragt man sich doch, was stimmt denn nun? Die Gemeinschaft gibt Milliarden und trotzdem sind wir für die Griechen die Bösen. Inhaltlich komme ich vielleicht später noch einmal darauf zurück. Grundsätzlich denke ich, Ethik ist universal. Ob es um Mobbing geht oder darum die Erinnerung an Völkermorde und das Leid der Betroffenen im Gedächtnis zu behalten oder um die Probleme, mit denen Griechenland zu kämpfen hat, es gehört alles zusammen und berührt den Kern unserer menschlichen Verantwortung, auch wenn wir nicht alle Probleme lösen können. Ich glaube, erst einmal ist die Haltung dazu wichtig.
Wie die Besuche auf der Seite Diskutieren und Plaudern zeigen, sind das keine "Bestseller". Für das Thema Behinderte in Griechenland haben sich nur sehr wenige interessiert. Aber einige doch schon. Und so liegt es bei den Besuchern dieses Forums, welchem Thema sie sich öffnen möchten.
Vielen Dank für Deine Ausführungen
Joringel


Joringel  
Joringel
Beiträge: 1.150
Punkte: 3.895
Registriert am: 28.10.2013


   

Eine Stimme der Menschlichkeit
Jesus sagt es besonders treffend

Xobor Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen
Datenschutz