Mutter H. spricht jetzt vier deutsche Worte: Ja, Nein, Danke, Dankeschön. Es klingt wie aus einem Automaten. Sie bemüht sich zu lächeln. Aber ihre Augen sind oft leer. Sie kann sich nichts merken und die Orientierung in den Straßen fällt ihr schwer, so schwer, dass sie keinen Schritt allein tun kann. Sie hat viele Kopfschmerzen. Sie sagt, erst kommt laute Musik, schreckliche Musik in ihren Kopf und dann laute Menschen, die schreien und dann kommen die Kopfschmerzen. Eine CT brachte keinen Befund. "Spannungskopfschmerzen" sagt der Neurologe. Joringel versucht ihn auf diese Zusammenhänge von halbbewußten Erinnerungen und Schmerzen hinzuweisen. Eine abwehrende Handbewegung des Arztes beendet die Sätze. Alles Spannungen, man weiß nicht woher es kommt. Es könnten auch Muskelverspannungen im Nacken sein. Er verschreibt Schmerzmittel und sehr starke Antidepressiva. Die Familie macht sich große Sorgen. Nach Jahren der Trennung endlich zusammen und nun - die Mutter ein hilfloses Häufchen Elend. Joringel gewinnt seine Jorinde für die Idee eines Familienausfluges. Sie brauchen zwei Autos für 6 Gäste und einen Rollstuhl. In einem großen Rosengarten verfliegen die Ängste - wenigstens für kurze Zeit. Der Duft des Gartens und die betörende Schönheit der Blütenvielfalt zaubert Lächeln hervor. Auch die anderen Besucher sind verzaubert. Etwas neugierig blicken sie auf den exotischen Familientross, aber es ist auch Wohlwollen dabei.
Hoffentlich hält der Zauber noch etwas an, denkt Joringel, als er die Familie nach vielen schönen Stunden wieder in die kleine Flüchtlingsunterkunft zurückbringen.
Um es ganz klar zu sagen, der Ausflug war kein Opfer, denn auch Joringel und Jorinde haben ihn sehr genossen.
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Sehr beeindruckend und nachdenklich machend,lieber Joringel.
LG
Achim
Gemeinsam sind wir stark!
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Lieber Joringel!
Dein beeindruckender Beitrag zeigt nebenbei auch, dass es in Deutschland sehr viel zu tun gibt.
Vielleicht sind Flüchtlingsbegleitung, therapeutische Bemühungen an traumatisierten Menschen und qualifizierter Deutschunterricht ein alternatives Betätigungsfeld auch für Manchen, der es mit dem Arbeitgeberverhalten seiner verfassten Kirche schwer hat und der am Liebsten aus ihr ausbrechen möchte.
Herzlichen Dank dafür!
Turmfalke
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Liebe Freunde,
ich möchte eigentlich unterstreichen, was Turmfalke geschrieben hat und noch erweitern: Wir, die wir solche Kontakte pflegen und aufbauen, wir sind das Fenster von Deutschland für sie. Durch uns erfahren sie, wie wir ticken, was in Deutschland wichtig ist usw. und was, was bedeutet. Ganz abgesehen davon, dass sie die Sprache ja auch anwenden müssen, die sie lernen. Und noch etwas - die Betroffenen verstehen die amtlichen Schreiben nicht, sind verunsichert. Können auch trotz der perfektesten Rechtshilfebelehrung keinen Widerspruch formulieren. Und noch schwieriger sind die Arztbesuche. In größeren Städten gibt es Freiwillige, die übersetzen. Aber nicht immer und nicht überall und zu jederzeit. 'Das führt auch zu Arztbesuchen, die nicht viel bringen.
Ich bin jetzt so einer schwierigen Situation in Bezug auf Mutter H. auf die Spur gekommen. Sie hat Tabletten gegen Epilepsie bekommen, glaubt aber, es sind Kopfschmerztabletten und nimmt sie nur bei akuten Kopfschmerz-Anfällen. Dabei müßten sie regelmäßig genommen werden. Es gibt aber auch keinen Anwendungsplan des Neurologen für insgesamt drei verschiedene Tabletten, die große Nebenwirkungen haben können. Durch verschiedene Telefonate weiß ich jetzt, dass der Neurologe sehr oberflächlich gehandelt hat. ERST braucht man ein EEG und muss klären, um welche FORM der Epilepsie es sich handelt und DANN wird der Patient mit Tabletten eingestellt.
Herzliche Grüße
Joringel
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