Liebe Azalee!
Du hast den Bericht von Bischof Bohl, Dresden, den er als seinen letzten Bericht (vor dem Ruhestand?) als Bischof vor der sächsischen Landessynode am 15.11.2014 gehalten hat, für uns ins Netz gestellt. Dafür danke ich Dir sehr.
Ich antworte mit einiger Befangenheit, weil ich nicht sicher bin, ob wir uns darüber verständigen können, wie wir diesen Aufsatz verstehen sollen.
Warum hast Du den Artikel für uns ausgewählt? Willst Du sagen: "Hier schreibt mal jemand gegen den Trend etwas Richtiges, das für uns hilfreich sein könnte"?
Oder sagst du eher: "Gut gebrüllt, du frommer Löwe! Deine Worte trösten mich nicht, weil die Schmerzen, die Deine Kirche mir zugefügt hat, so schlimm sind, dass Deine sanften Worte für mich keine Glaubwürdigkeit mehr haben"!
Ich habe den Artikel des Bischofs nun mehrfach gelesen. Vielleicht kann ich das mit einer etwas größeren Unbefangenheit als Du. Mir war der Bischof bisher unbekannt. Ich bin ja Pastor einer anderen Landeskirche ganz im Westen der Republik. Da kann man nicht alle wichtigen Leute in der ganzen weiten EKD im Blick haben. (Zu Robin: Das EKD Papier "Kirche der Freiheit", bei dem er mitgewirkt hat, habe ich leider auch noch nicht gelesen).
Daher mein Fazit: Ich finde gut, was der Bischof uns sagt. Endlich mal jemand, der mutig und einfühlsam beim Namen nennt, dass wir uns in einem schmerzhaften Prozess der Schrumpfung befinden. Auch ich musste einmal eine gesegnete Arbeit in einer Kirchengemeinde aufgeben, weil mir meine Pfarrstelle aufgrund der kleinen Mitgliederzahlen gekürzt wurde. Damals war ich voller Trauer und Wut. Heute weiß ich, dass es keinen Zweck hat, sich gegen die Strukturveränderungen zu wehren, die an allen Ecken und Kanten durchgeführt worden sind. Vielleicht waren sie tatsächlich zum Teil unausweichlich?!
Ich fühle mich verstanden, wenn der Bischof von dem Gefühl der Vergeblichkeit unserer kirchlichen Arbeit spricht. Auch was er zum geistlichen Reichtum der lutherischen Tradition sagt, hat mich sehr bewegt. Eine so gute theologische und spirituelle "Predigt" ist zumindest bei uns in den westlichen Landeskirchen selten geworden.
Ich möchte die Leser unseres Forums deshalb ermutigen, den Text von Bischof Bohl zu lesen. Hier als Anreiz noch mal einige Zitate:
" Ich möchte zu einer Frage sprechen, die mich in den letzten Jahren wie kaum eine andere beschäftigt hat, nämlich der Herausforderung, mit den zurückgehenden
Mitgliedschaftszahlen umgehen zu müssen; ...
Es ist es wohl so, dass die lang andauernde Erfahrung, Verluste zu erleiden und diese Entwicklung auch nicht aufhalten zu können, das Leben unserer Kirche inzwischen bis in Tiefendimensionen hinein prägt. ...
Nach wie vor werden die Gemeinden – von einigen Ausnahmen in den Großstädten
abgesehen – kleiner, und das ist besonders schmerzhaft in einer Gesellschaft, die auf Wachstum gepolt ist und es bewundert. ...
Darüber kann sich ein Schatten auf die Seele legen, zumal es ja unmöglich ist, diese
Prozesse zu ignorieren oder sich von ihrer Wirkmächtigkeit „abzukoppeln“. Man kann einfach nicht übersehen, dass der Gottesdienst „früher“ besser besucht war, dass es mehr Konfirmanden und Christenlehrekinder gegeben hat, Traugottesdienste und Taufen häufiger zu halten waren ... Der Eindruck, das eigene Bemühen sei vergeblich, ist für nicht wenige unter uns stark und belastend. ...
Ein Ende dieses steinigen Weges, den unsere Landeskirche geht, ist nicht in Sicht; ...
...
Es ist der Segen, der dem geistlichen Leben verheißen ist, dass er die Sicht und die Haltung des Menschen verändert und so auch die Kirche, der er angehört. Darauf dürfen wir hoffen gerade in der konkreten Situation unserer Kirche.
...Es ist ganz und gar nicht vergeblich, dass wir Christus bezeugen auf dem Weg der Nachfolge. ...
...
Unsere Aufgabe ist es, die Landeskirche in Verantwortung vor ihrem Herrn und gebunden an Schrift und Bekenntnis zu leiten; und das meint ja, die Entscheidungen zu treffen, die nach dem Maß unserer Erkenntnis und Möglichkeiten nötig sind, damit sie die Frohe Botschaft ausrichten kann an „alles Volk“ (Barmen VI).
Vieles daran ist durchaus weltlicher Natur, so der Umgang mit dem Geld, ... und die angemessenen Strukturen für unseren Dienst in den jeweiligen Arbeitsfeldern. Das braucht Sachkunde, Erfahrung, einen nüchternen Verstand und manches mehr.
Zuerst aber und vor allem geht es um die geistlichen Fragen. Mit Bonhoeffer gesagt – es geht nicht um das Vorletzte, sondern um das Letzte: Gottes Gnade in Jesus Christus."
Ich, Turmfalke, unterscheide in meinem Denken konsequent zwischen der "sichtbaren", also auch "weltlichen" Institution Kirche, der ich angehöre, weil ich noch nicht ausgetreten bin, und der "unsichtbaren" und "geistlichen" Kirche, der wir durch unsere Taufe und durch die Gnade Gottes im Glauben angehören dürfen. Und ich lebe damit, dass beide - in einer unauflösbaren Spannung - zueinander gehören. Bei Bischof Bohl lerne ich, dass gerade diese Spannung zwischen beiden Polen ein typisches Kennzeichen lutherischer Theologie sei. Recht hat er.
Gerade angesichts der schmerzhaften Erfahrungen, die ich mit schlimmen Menschen in der "sichtbaren" Kirche gemachte habe, ist es für mich zum Überleben notwendig, glauben zu können, dass die geistlichen Aussagen der "unsichtbaren" Kirche für mich weiterhin gültig sind.
Viele Grüße! Vom Turmfalken