Appell eines 80-jährigen Bischofs

#1 von turmfalke , 10.01.2020 23:21

Aus der EZ, von Sonntag 5. Januar 2020 (EZ : "Evangelische Zeitung" für Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg -Vorpommern )

Appell für ein freies kirchliches Leben

Altbischof Christian Krause mahnt

Wolfenbüttel/Braunschweig. Die Gesellschaft und auch die Kirchen werden sich nach Ansicht des Braunschweiger Altbischofs Christian Krause in kurzer Zeit radikal und dramatisch verändern. "In wenigen Jahren wird die Welt völlig anders aussehen", sagte der 79-jährige evangelische Theologe dem Magazin "Evangelische Perspektiven" der Braunschweigischen Landeskirche. Er bezog sich damit vor allem auf die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Ermahnte die Kirchen, nicht nur auf sinkende Mitgliederzahlen zu starren oder ihre Strukturen um- und abzubauen. "Das Christsein ist nicht mehr durch irgendwelche Institutionen einzufangen."

Die Aufgabe der kirchlichen Institutionen sieht Krause vor allem darin, die Infrastruktur für ein freies christliches Leben bereitzuhalten. Für Reformen, wie zum Beispiel geistliche Aufbrüche oder Konzepte für eine Neugestaltung, halte er die Landeskirchen für eher weniger geeignet, sagte er. Es gelte, darüber nachzudenken, was die Institutionen sinnvollerweise leisten und wie die vielfältigen geistlichen Laienbewegungen unterstützt werden könnten. "Wir sollten uns darauf einstellen, dass Menschen sich zunehmend in Gruppierungen zusammen tun und darin geistliche Gemeinschaft finden." Diese Tendenz lasse sich in dem Zuspruch der Freikirchen abgelesen. Diese seien offenbar in der Lage, die Sehnsucht vieler Menschen anzusprechen.

Krause war unter anderem von 1972 - 1985 als Oberkirchenrat im lutherischen Kirchenamt in Hannover für die weltweite Ökumene zuständig. Bis 1994 war er Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentag, von 1994-2002 Braunschweiger Landesbischof. epd

Kommentar:

Aus anderer Quelle wissen wir, dass Altbischof Krause diese Stellungnahme anlässlich seines 80. Geburtstags veröffentlicht hat.

Über sein Statement freue ich mich. Ich frage mich aber auch, ob er genauso frei gesprochen hätte, wenn er noch als Landesbischof der Braunschweigischen Landeskirche im Amt wäre. Meine Erfahrung ist eher, dass Leute, die ausbrechen und neue Wege suchen, um den christlichen Glauben zu leben, von den Funktionären der Kirche kritisch und mit Misstrauen beäugt werden. Und schon gar nicht mag man zugeben, dass die herkömmlichen Mittel des kirchlichen Lebens wie die sonntäglichen Predigtgottesdienste, Beerdigungen oder Geburtstagsbesuche nicht mehr ausreichen, um neue Leute für den christlichen Glauben zu gewinnen. Das Tragische dabei ist, dass die Leute, die mühsam damit beschäftigt sind, die traditionellen Strukturen des kirchlichen Lebens aufrecht zu erhalten, daneben keine Zeit oder Kraft mehr haben, um neue Wege zu gehen.

Was haltet ihr von den Zukunftsvisionen des Landesbischof a.D.?

Viel Grüße!
Turmfalke


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RE: Appell eines 80-jährigen Bischofs

#2 von Klabautermann , 11.01.2020 13:45

Lieber Turmfalke, danke, dass Du uns den Beitrag weitergeleitet hast. Bischof Krause hat ja wirklich verschiedene Machtpositionen innegehabt. Um in alle diese Ämter zu kommen, muss man gegenüber denen, die diese Posten vergeben, ein Garant sein, dass man die bisherige Linie fortführt bzw. in deren Sinn handelt. Oder man muss eine solche Ausstrahlung bzw. Charisma besitzen bzw. durch seine bisherige vita so überzeugen, dass die Posten-Vergebenden gar nicht anders können, als einen diese Position zu verleihen. Die Erfahrung lehrt, dass Abweichungen vom etablierten theologischen Diskurs nicht freundlich aufgenommen werden (vgl. Jesu Verhältnis zu den Schriftgelehrten und Pharisäern, Jan Hus, Luther u.v.a.m.). Gehen wir mal von Möglichkeit eins aus. Man bekommt nach der Wahl/ Übertragung eines solchen Amtes natürlich noch mehr Hintergrundwissen als man vorher schon hatte. Und in allererster Linie wird Verschwiegenheit erwartet. Eine Person, die öffentlich sagt: "In wenigen Jahren wird die Welt völlig anders aussehen", hat dieses "Spezialwissen" anderen voraus und könnte sonst ein solche Äußerung nicht machen. Inwieweit man, durch das eigene Gewissen getrieben, daraus Konsequenzen zu eigentlich notwendigen Änderungen zieht, wenn man der Institution nicht mehr in höchsten Ämtern dient, aber dennoch durch die erworbene Reputation und das Ansehen die Macht hätte, wirklich sinnvolle Reformen anzuschieben, das hängt sicher vom eigenen Umkehrwillen (μετάνοια) und vom eigenen Charakter ab. Die Wandlung des Saulus zum Paulus ist hier ein Positivbeispiel. In Phil. 3,8 schreibt er, dass er um der "...überschwänglichen Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herren..." alles andere für "Kot" erachtet, "...auf dass ich Christus gewinne...". Wer hat denn schon die Größe, von seinem bisherigen Leben und Wirken zu behaupten, es sei bisher alles Sch.... gewesen? Wer gibt zu, dass er trotz seiner Möglichkeiten z. B. gemobbten kirchlichen Bediensteten nicht geholfen hat, sondern das Gegenteil getan hat? Wer gibt auf Anhieb zu, dass die eigene Doktorarbeit gefälscht war? In welchen Parteien werden Spendernamen transparent gemacht? Das Einfachste ist doch immer, die bisherige Linie beizubehalten und nicht auszusteigen. Bringt nur Probleme. Der Franzose A. Loisy prägte den Satz: "Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche." Stellt sich die Frage, inwieweit wir - ein jeder mit seiner individuellen Vergangenheit - damit ungehen können, dass es in Offb. 21,5 heißt: "Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!" Und was bedeutet das für Institutionen? Sind sie nicht per se der Garant für Beharrungsvermögen bis zum Gehtnichtmehr?
Beachtlich finde ich, wenn Krause den Zulauf der Freikirchen anerkennt und ihnen zuschreibt, dass "...diese... offenbar in der Lage (seien), die Sehnsucht vieler Menschen anzusprechen...". Ekklesiologisch stellt sich die Frage, wie wir die Einheit von Kirche bzw. von Einzelgemeinden leben können, wenn wir zugeben müssen, dass neben dem klassischen Gottesdienst auch in jeder lebendigen Gemeinde ein Gottesdienst vonnöten wäre nach der Art, wie er bei Freikirchen gestaltet wird und wie er vor allem jüngere Menschen (englische Texte, kein Gesangbuch, sondern Beamertexte usw.) anspricht. Einheit trotz Vielfalt? Gemeinschaft der Glaubenden? Großeltern gehen in den Gottesdienst nach Agende 1 der Landeskirche und die Enkel gehen in den Freikirchen-Gottesdienst?
Du fassest, lieber Turmfalke, das Dilemma gut zusammen in dem Satz: "Das Tragische dabei ist, dass die Leute, die mühsam damit beschäftigt sind, die traditionellen Strukturen des kirchlichen Lebens aufrecht zu erhalten, daneben keine Zeit oder Kraft mehr haben, um neue Wege zu gehen." Beachtlich finde ich die Mahnung des Altbischofs an die Kirchen, "...nicht nur... ihre Strukturen um- und abzubauen." Aber seine Erkenntnis, "...das Christsein ist nicht mehr durch irgendwelche Institutionen einzufangen...", ist ja nicht neu, sondern wir wissen ja, dass der Geist weht, wo er will (vgl. Joh. 3,8). Stellt sich für mich die Frage, ob es geistlich überhaupt zu verantworten ist, so viel Energie und zeitliche und materielle Ressourcen aufzuwenden für alle möglichen und fragwürdigen Strukturreformen, die zum einen bisher immer damit begründet wurden, die Finanzen würden nicht mehr ausreichen, was sich als falsch erwiesen hat und zum anderen, es würden sich jede Menge Synergie-Effekte ergeben, was sich bisher als Trugschluss erwiesen hat. Und nicht zuletzt: Wieviel kostbare Zeit wird in Konferenzen (Kirchenleitung, Dekanat, Presbyterium u.a.), Synoden, Dienstbesprechungen usw. dafür verschwendet, um solche Beschlüsse umzusetzen? Vom bedruckten Papier und den geschriebenen Mails ganz schweigen. Was hätten wir für das Reich Gottes alles tun können, wenn diese Ressourcen in diese Richtungen gegangen wären? Wie viel Zeit geht kirchlichen MitarbeiterInnen (nicht nur PfarrerInnen) durch einen solchen Unfug verloren? Kirche beschäftigt sich überwiegend mit sich selber (als Organisation) und weniger mit ihrer eigentlichen Aufgabe, der Verkündung des Evangeliums. Das betrifft auch das DAVID-Anliegen: Wie viel Zeit geht in Presbyteriumssitzungen, Kirchenleitungskonferenzen usw. verloren dadurch, dass Mobbing nicht adäquat bearbeitet und Konflikte nicht gelöst werden, sondern der schöne Schein aufrecht erhalten werden soll, es gäbe bei Kirchens kein Mobbing? Und damit sind wir bei der wichtigen Erkenntnis Luthers, der Mensch sei ein "homo incurvatus in se": Der in sich gekrümmte Mensch schaut, weil er gekrümmt ist, nur auf seinen eigenen Bauchnabel. Das ist nach Luther eine wichtige Beschreibung von Sünde. Wenn unsere Kirchenleitungen, kirchlichen Organe und die Mitarbeiter sich nur mit sich selber beschäftigen, dann ist das das Paradebeispiel für Sünde. Erheben wir den Blick auf zu unserem Schöpfer und erbitten wir Gnade um Jesu willen! Wir sollen Kirchen sein, die den Bedrängten helfen und sie nicht ignorieren und sogar bekämpfen sollen. Das hatten wir vor mehr als 500 Jahren, dass mit Angsterzeugung und Einschüchterung gearbeitet wurde. Leider geschieht das aber immer noch heute. Wie würde man heute mit Luther umgehen? Lehrzuchtverfahren, Disziplinarverfahren, Versetzung nach § 80 ?
Immerhin schreibt Krause, "...es gelte, darüber nachzudenken, was die Institutionen sinnvollerweise leisten und wie die vielfältigen geistlichen Laienbewegungen unterstützt werden könnten." Das ist ein guter Ansatz. Ob da wohl was passiert? Es liegt auch am "Kirchenvolk", inwieweit wir das einfordern,
meint Euer
Klabautermann

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RE: Appell eines 80-jährigen Bischofs

#3 von Achim , 22.01.2020 16:57

Lieber Turmfalke, liebe Freunde,

"Diese Tendenz lasse sich in dem Zuspruch der Freikirchen abgelesen. Diese seien offenbar in der Lage, die Sehnsucht vieler Menschen anzusprechen."

Dem stimme ich sofort zu. Ich meine, dass unsere Amtskirchen zu sehr dem Zeitgeist hinterher laufen.

LG

Achim


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