"Konflikte friedlich schlichten - Mediation statt Eskalation"

#1 von Panama* , 06.09.2021 13:47

Im aktuellen Evangelischen Gemeindeblatt in Württemberg 36/2021 wird auf ein Symposium in einem Kirchenbezirk zum Thema „Mediation statt Eskalation - Konflikte friedlich schlichten“ hingewiesen. Veranstalter sind die Deutsche Stiftung Mediation und das Ev. Bildungswerk.
„Konflikte schlichten – dies leisten Mediatoren, als Vermittler. Mediation als Methode dient dazu, unterschiedliche Haltungen sichtbar zu machen und Streitende auf friedliche Weise miteinander in Kontakt zu bringen“, so in der Einleitung. Und weiter: „Mediation geht von der Erkenntnis aus, dass Menschen fähig sind, andere Perspektiven zu verstehen, Konflikte zu bearbeiten und als Entwicklung wahrzunehmen“. Über Friedensmediation wird bei diesem Symposium der Konfliktforscher Friedrich Glasl sprechen, der „auf 52 Jahre Erfahrung zurückblicken kann“.

Mir ist ein Fall gerade aus dieser Landeskirche bekannt, in dem eine Mediation zwischen den „Streitenden“ von der Kirchenleitung unter Hinzuziehung der Akademie Bad Boll eingefädelt wurde - allerdings erst NACHDEM dienstrechtliche Maßnahmen verfügt worden waren. Das Gesprächskonzept lag allen Beteiligten vor und wurde von ihnen angenommen. Und siehe da: Die Kirchenleitung sagte die Mediation am Vorabend des lang vorher geplanten Termins mit Scheinargumenten per Fax ab.

Hier sieht man: Es war eine pure Vernebelung, eine Täuschung aller, um den Eindruck nach außen zu vermitteln, die Kirchenleitung bemühe sich um eine „friedliche Konfliktlösung“. Das Gegenteil war der Fall. Es stellte sich später heraus, dass die Kirchenleitung „hintenrum“ viel mehr an einer Eskalation interessiert war. Aus dem Grund wurde von Anfang an die ganze Zeit „komplett aneinander vorbeigeredet“, um hier den Landesbischof dieser Landeskirche zu zitieren. Es wurde zwischen den „Streitenden“ keine „Gesprächsbrücke“ gebaut bzw. ihnen kein „Gesprächsraum“ angeboten. Es fand kein einziges Gespräch statt, um die im Raum stehenden, zum Teil sehr konkreten und daher überprüfbaren Vorwürfe zu klären. Was stattdessen stattfand, war Gewaltanwendung, Willkür und Machtmissbrauch.

Mir ist allerdings ein anderer Fall (knappe vier Jahre später) aus dieser Landeskirche bekannt, bei dem eine Mediation an einem ganzen Wochenende ebenfalls unter Mitwirkung von Bad Boll (sogar von derselben Person) stattfand, aber hier noch VOR den dienstrechtlichen Maßnahmen. Zwar führte die Mediation nicht weiter, aber es wurde zumindest der Versuch gemacht.

Ein Jahr davor hatte der damalige Chefredakteur des Ev. Gemeindeblattes in Württemberg einen Artikel zum Thema „Indiz Wartestand“ geschrieben, in dem er monierte: „Wenn der Oberkirchenrat in solchen Konfliktfällen nicht zeitig die gravierenden Punkte benennt, trägt er zur Emotionalisierung statt zur Versachlichung bei und nicht nur sich selbst, sondern die Landeskirche in ein schiefes Licht“. Recht hatte dieser bekannte Kirchenjournalist. Genau diese Kritik wurde auch um dieselbe Zeit von der Pfarrervertretung damals erhoben.

Jetzt meine Frage: Hat der David-Verein in seiner 20jährigen Erfahrung (und etwas mehr) mit Konflikten von solchen gehört, die speziell nach der Methode von Friedrich Glasl (s. auch Wikipedia) „friedlich geschlichtet“ wurden?

Panama*  
Panama*
Beiträge: 45
Punkte: 155
Registriert am: 01.02.2020


RE: "Konflikte friedlich schlichten - Mediation statt Eskalation"

#2 von turmfalke , 06.09.2021 16:11

Liebe Panama* !

Danke für den gewichtigen Beitrag.

Beispiele dafür, dass schon an anderen Stellen bei kirchlichen Konfliktlagen die Konfliktbewältigungsmethode von Friedrich Glasl angewendet worden ist, kann ich nicht beisteuern. Dazu bin ich noch nicht lange genug dabei. Vielleicht wissen andere ältere Berater bei D.A.V.I.D. davon aus früheren "Fällen".

Aber ja! Kirchenleitungen können die Entstehung von Konflikten nutzen, vielleicht auch steuern oder sogar bewusst anzetteln, um Pastorinnen oder Pastoren, die bei der Leitung in Ungnade gefallen sind, aus dem Verkehr zu ziehen.

Eine scharfe Waffe in der Hand von Kirchenleitungen im Zusammenwirken mit Kirchenvorständen sind die §§ 79 und 80 des Pfarrdienstgesetzes der EKD (PfDG), das in den meisten Landeskirchen der EKD gilt. (früher Undeihlichkeitsverfahren)

Ich zitiere hier gerne noch mal den Wortlaut in einer Kurzfassung:

---

Auszug aus dem
Pfarrerdienstgesetz der EKD (PfDG) vom 10. Nov. 2010

§ 79 Versetzung

( 1 ) Versetzung ist die Übertragung einer anderen Stelle oder eines anderen Auftrages im Sinne des § 25 unter Verlust der bisherigen Stelle oder des bisherigen Auftrages.
( 2 ) Pfarrerinnen und Pfarrer können um der Unabhängigkeit der Verkündigung willen nur versetzt werden, wenn … oder wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht.

Ein besonderes kirchliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn



5. in ihrer bisherigen Stelle oder ihrem bisherigen Auftrag eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes gemäß § 80 Absatz 1 und 2 festgestellt wird,



§ 80 Versetzungsvoraussetzungen und -verfahren

( 1 ) Eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes im Sinne des § 79 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 liegt vor, wenn die Erfüllung der dienstlichen oder der gemeindlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet ist.

Das ist insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist

und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt.

Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen.

( 2 ) Zur Feststellung der Voraussetzungen des Absatzes 1 werden die erforderlichen Erhebungen durchgeführt. …

Sofern nicht ausnahmsweise etwas anderes angeordnet wird, nehmen Pfarrerinnen und Pfarrer für die Dauer der Erhebungen den Dienst in der ihnen übertragenen Stelle oder in dem ihnen übertragenen Auftrag nicht wahr. …

---

Mein Kommentar aus eigener Erfahrung: Versetzt werden kann die Pfarrperson, wenn das Vorhandensein einer Störung nachgewiesen wird. Wie die Störung zustande gekommen ist, muss bei den dazu erforderlichen "Erhebungen" nicht untersucht werden. Sie kann also auch bewusst angezettelt worden sein. Das ist durchaus möglich, wenn die Gegner der Pfarrperson es geschickt genug anstellen.

Wenn die Erhebungen beginnen, wird der Pfarrperson verboten, weiterhin in der bisherigen Gemeinde dienstlich zu wirken. Der Gemeinde wird das erscheinen wie ein Disziplinarverfahren gegen den Pastor oder die Pastorin. Später wird dieser Moment gewertet werden, als sei das schon die Amtsenthebung gewesen und die dann folgende endgültige Versetzung eine Strafversetzung.

Der Pfarrer oder die Pfarrerin, die davon betroffen ist, kann sich kaum dagegen wehren, weil man böswillige Bemühungen, den Konflikt eskalieren zu lassen, nicht nachweisen kann.

Eine Kirchenleitung, die es darauf anlegt, kann diese Entwicklung durchaus fördern und für eigene Zwecke nutzen.

Am Ende wird amtlicherseits festgestellt: Sie streiten sich - der Pfarrer muss weg!

Viele Grüße!

Turmfalke


turmfalke  
turmfalke
Beiträge: 610
Punkte: 1.980
Registriert am: 28.12.2013

zuletzt bearbeitet 07.09.2021 | Top

RE: "Konflikte friedlich schlichten - Mediation statt Eskalation"

#3 von turmfalke , 20.09.2021 19:58

Liebe Forumsgemeinde!

Ich möchte noch weitere Überlegungen zum Thema nachschieben:

Zum Verständnis des „Ungedeihlichkeits“- Verfahrens nach den Paragrafen §§ 79 /80 PfDG der EKD:

Aus Sicht der Gesetzgeber handelt es sich bei einem Versetzungsverfahren nach den Paragrafen §§ 79 / 8o Pfarrdienstgesetz (PfDG) nicht um ein Verfahren gegen den betroffenen Pfarrer oder die Pfarrerin, sondern um eine Maßnahme, um in schwieriger Situation die Handlungsfähigkeit der Gemeinde wieder herzustellen.

Sprich: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich bei einem Konflikt die Schuldfrage nicht klären lässt. Deshalb glaubt man, dass es eine Lösung nur geben kann, wenn die streitenden Parteien getrennt werden. Und da man einen gewählten Kirchenvorstand nur sehr schwer seines Amtes entheben kann; man die Kirchenvorsteher oder andere streitende Gemeindeglieder mit Ihren Familien auch nicht zwingen kann, ihren Wohnort aufzugeben; der Pastor oder die Pastorin aber im Beamtenstatus steht und damit Verfügungsmasse für die verantwortliche Kirchenleitung ist, sieht das Gesetz vor, dass die Pfarrperson dienstlich versetzt wird, auch wenn sie persönlich nicht schuld am Konflikt ist. So steht es ausdrücklich im Gesetz.


Die Paragrafen §§ 79 und 80 des PfDG der EKD können aber missbraucht werden. Für die Betroffenen und auch für die unbeteiligte Gemeinde kann das Ganze leicht so aussehen wie ein undurchsichtiges und völlig willkürliches Verfahren gegen die Pfarrperson, das quasi einem Disziplinarverfahren ähnelt, bei dem es nur keine echten rechtsstaatlichen Regeln gibt.

Die Betroffenen empfinden das als große Ungerechtigkeit. Leider kann man aber als Betroffener das Kirchengesetz nicht ändern, nach dem im Verfahren entschieden wird. Es bleibt also nur, sich sanft den Gegebenheiten anzupassen und im Prozess so zu argumentieren, wie es dem Gesetz entspricht.


Manche betroffene Pfarrperson klagt z.B. darüber, dass sie von Mitgliedern des Kirchenvorstandes oder auch von Leuten aus der Kirchenleitung schlecht behandelt worden ist. Da ist es verständlich, wenn man auf den Gedanken kommt, den Prozessakten zur eigenen Verteidigung eine lange Liste von bösen Taten der Gegenseite quasi als Gegenklage beizufügen. Das Fatale dabei ist nur, dass man damit Wasser auf die Mühlen der Gegner laufen lässt. Im Sinne des Gesetzgebers des „Ungedeihlichkeits-Verfahrens“ zeigt man damit gleichzeitig, dass eine „Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ tatsächlich vorhanden ist. Daraus kann die Kirchenleitung und auch das Gericht dann umso deutlicher schließen: „Sie streiten sich - also muss der Pastor versetzt werden!“


Gewonnen hätte man, wenn man nachweisen könnte, dass eine Störung im Dienst gar nicht vorhanden ist. Aber das ist wohl meistens eine Illusion.

Gewinnen könnte man auch, wenn man nachweisen könnte, dass die Gegner in der Gemeinde, den Konflikt bewusst haben entstehen lassen, um dann die einschlägigen Paragrafen anwenden zu können. Es ist aber sehr schwer, das gerichtsfest nachzuweisen.

Gewinnen könnte man eventuell auch, wenn man zeigen könnte, dass die eigentliche Motivation der Gegner eine ganz andere ist, als sie im Verfahren angegeben haben. Ein Beispiel: Fromme Kirchenleute ertragen nicht, dass eine Pfarrperson homosexuell lebt. Sie wissen, dass sie nach heutigen Maßstäben keine Chance haben, dagegen vorzugehen. Sie hätten aber mit den §§ 79 und 80 die Möglichkeit, andere Konflikte zu „veranstalten“, wegen denen sie dann die Versetzung beantragen können.

Gewinnen könnte man auch, wenn man der Kirchenleitung, die das Verfahren durchgeführt hat, grobe Verfahrensfehler nachweisen kann, wie z.B. die Weigerung, die betroffene Person anzuhören oder auch die Verweigerung einer vollständigen Akteneinsicht.

Gewinnen könnte man, wenn man nachweist, dass die Kirchenleitung ihre Fürsorgepflicht verletzt hat, die auch im PfDG niedergelegt ist. Es ist die Verantwortung der Kirchenleitung, dafür zu sorgen, dass alle Möglichkeiten zur Vermeidung eines Konfliktes ausgeschöpft werden, wie sachgerechtes Konfliktmanagement, Supervision und Mediation. Wenn Die Kirchenleitung z.B. eine Mediation verhindert, weil sie die für den Kirchenvorstand für unzumutbar hält, kann das Gericht möglicherweise zu Gunsten der Pfarrperson entscheiden und den Versetzungsentscheid aufheben.

Man könnte sich auch denken, dass man gewinnen könnte, wenn man bei Gericht nachweist, dass die eigentlichen Betreiber des Konfliktes Leute in der Kirchenleitung selber sind, die sich mit den Gegnern der Pfarrperson in der Gemeinde für das Versetzungsverfahren insgeheim strategisch abgesprochen haben. Dann wäre nachgewiesen, dass die Kirchenleitung die einschlägigen Paragrafen als scharfe Waffe gegen die Pfarrperson nutzt, z.B. um Kritiker mundtot zu machen. Aber auch das ist sehr schwer nachzuweisen. Man müsste dazu Leute in den Zeugenstand bitten, die dadurch vielleicht sich selber schwer belasten würden.


Bei all diesen Überlegungen bleibt unter dem Strich die Erkenntnis, dass eine Pfarrperson sich nur sehr schwer dagegen wehren kann, wenn ein Versetzungsverfahren nach den §§ 79 und 80 PfDG erst einmal angeschoben worden ist.

Hinzu kommt, dass ein Prozess vor einem kirchlichen Gerichtshof sich oftmals auf unerträgliche Weise über Jahre in die Länge zieht. Das gilt vor allem, wenn die Kirche den Prozess in erster Instanz verliert und dann in Revision geht. Im Zweifel arbeitet die Zeit gegen die betroffene Pfarrerin oder den betroffenen Pfarrer.

Man kann deshalb immer wieder beobachten, dass mit einem Versetzungsverfahren gedroht wird in der Erwartung, dass die missliebige Pfarrperson dann die Konsequenzen zieht und sich in eine andere Pfarrstelle vermitteln lässt.

Bei allem ist deshalb zu fordern, dass die Rechtslage von den kirchlichen Gesetzgebern so geändert wird, dass weiterer Missbrauch in Zukunft erschwert wird.

Euer Turmfalke


turmfalke  
turmfalke
Beiträge: 610
Punkte: 1.980
Registriert am: 28.12.2013

zuletzt bearbeitet 15.10.2021 | Top

   

ein Gruß zum Advent
Kirche will wieder verbinden - alte und neue Gräben überwinden

  • Ähnliche Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag
Xobor Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen
Datenschutz