Leserbrief von Edmund Käbisch ist im "Sonntag" erschienen

#1 von Joringel , 01.09.2015 14:39

Dr. Edmund Käbisch 08056 Zwickau, 3.8.15
Hölderlinstr. 8
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Redaktion „Der Sonntag“
Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische-Landeskirche Sachsens
Blumenstr. 76
04155 Leipzig

Leserbrief zum Artikel „Trend gegen Glauben“ im „Der Sonntag“ Nr. 31
vom 2. August 2015, S. 3

Lieber Herr Roth,
mit großem Interesse las ich Ihr Interview mit dem Kirchensoziologen Prof. Detlef Pollack. Darin wird anschaulich der „Sinkflug“ unserer sächsischen Landeskirche dargestellt, thematisiert und sogar mit einige aktuelle Konfliktpunkten angereichert. Mit diesem Leserbrief wage ich es, weitere Aspekte zu benennen und sie zur Diskussion zu stellen. Ich bin der Meinung, dass nicht nur von außen ein „Gegenwind“ gegen den Glauben besteht und den „Prozess des Bedeutungsrückgangs von Religion und Kirche“ auslöst. Sondern es geschieht in gleicher Weise auch von innen heraus. Christen können mit ihrem frömmelnden Verhalten Denken, Reden und Handeln oft wie Brandbeschleuniger im Prozess der Entchristlichung wirken.
Es sollte zur christlichen Tugenden dazu gehören, Schuld und Ursachen nicht nur bei den anderen auszumachen, sondern sie zuerst bei sich zu suchen. „Gott hat keine anderen Hände als die der Menschen“, wie es Prof. Pollack im Interview formulierte. Es ist schwer, meine Sichtweise dieser Entwicklung mit wenigen Worten in einem Leserbrief auf den Punkt zu bringen. Bereits während meines aktiven Pfarrerlebens versuchte ich stets, diesen Sinkflug, den ich mit dem physikalischen Begriff „Implosion“ beschrieben habe, zu thematisieren. Ich wage es trotzdem! Es ist keine Kritik, sondern ich betrachte meine Gedanken als Impulse zum Dialog. Vielleicht können Sie einige Überlegungen im „Der Sonntag“ aufgreifen.
1.) Zur DDR-Zeit wollte ich diesem irreversiblen Prozess der Gemeindeschrumpfung nicht tatenlos und resigniert zuzusehen. Ich setzte eine „situativ-missionarischen Verkündigung“ entgegen, die ich in meiner Gemeinde selbst praktizierte und auch schriftlich festhielt. Gottes Wort ist keine sterile Größe, sondern wird lebendig und die Verheißungen werden wahr, wenn es den Menschen in die konkrete Situation verkündigt wird und begonnen wird, diese Worte umzusetzen.
So beteiligte ich mich 1987 am so genannten Hugo-Hahn-Wettbewerb. Die gestellte Preisaufgabe war das Thema: „Welche Zielvorstellungen für die Gemeindearbeit ergeben sich für mich aus der zunehmenden Säkularisierung unseres Landes“. Für meine Ausarbeitung erhielt ich keinen Preis, aber aus den dargelegten Erkenntnissen, die ich nicht nur den Gemeindegliedern vorlegte, sondern auch kirchlichen Mitarbeitern und besonders landeskirchlichen Entscheidungsträgern, entwickelten sich zunehmend innerkirchliche Spannungen. Ich musste beobachten, meine Zielvorstellungen wurden weder öffentlich thematisiert noch darüber ehrlich diskutiert. Hingegen galt ich als Nestbeschmutzer! Jedoch die Stasi hat dieses innerkirchliche Verhalten konspirativ für einen Differenzierungs- und Zersetzungsprozess benutzt. Eine Folge dieser Bearbeitung war, als es die DDR bereits nicht mehr gab, dass ich in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Diese Methode der Nachhaltigkeit war bereits so in den Stasi- Maßnahmenplänen festgelegt.

Einige Erkenntnisse aus dem Hugo-Hahn-Wettbewerb möchte ich benennen, weil sie bis heute relevant sind:
1.) 1868 entstand eine neue sächsische Kirchenorganisation synchron zur königlichen Behörde. Die feudalistischen Strukturen wurden im Freistaat überwunden, aber in der Landeskirche blieben sie erhalten und werden gepflegt (z.B. Oberlandeskirchenrat, Superintendent, Parochialsystem, Dimissoriale). Die einstige Machtstruktur hat sich zur Ohnmachtsstruktur entwickelt.
2.) Der Traum der Volkskirche ist noch nicht ausgeträumt und die Sehnsucht nach dem landesherrlichen Kirchenregiment besteht noch.
3.) Die Polarisierungen der Landeskirche (damals beschrieben als Ökumeniker – Evangelikale oder Liberale – Fundamentalisten oder Schwachstromchristen – Starkstromchristen) konnten bis heute nicht überwunden werden. Folgende Ergebnisse einer empirischen Untersuchungen führte ich u.a. auf,
- dass die kirchlichen Mitarbeiter im Prozess der Implosion allein gelassen werden;
- dass die Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen zu enormen Kräfteverschleiß führen und man sich gegenseitig fertig macht;
- dass eine Andersartigkeit im Glauben selten toleriert wird;
- dass weder Gemeindeglieder noch kirchliche Angestellte in diesem Konfliktfeld kaum seelsorgerlich Begleitung erfahren;
- dass hier Ursachen für psycho-somatische Störungen zu suchen sind;
- dass die angebotenen kirchlichen Themen weder gesellschaftsrelevant noch geerdet sind (es wird dort gekratzt, wo es nicht juckt);
- dass menschliche und gemeinschafsfördernde Kontakte (z.B. Besuche) kaum gepflegt werden.
4.) Als Vision stellte ich drei Fragen, mit denen sich eine situativ-missionarische Verkündigung auch auseinanderzusetzen sollte:
- Wie kann Verkündigung in der nach-konstantinischen Ära konkret werden?
- Wie könnte eine nach-parochiale Gemeinde aussehen?
- Wird es eine nach-konfessionelle Kirche geben?

2.) Für mich sind das doppelzüngige Verhalten einiger DDR-Pfarrer und die unsachgemäße Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit durch die Landeskirche ebenfalls Brandbeschleuniger. Vertrauen zur Kirche, eine Voraussetzung der Gemeindearbeit, wurde nach der Friedlichen Revolution verspielt. Vor 1989 waren es wenige engagierte Christen und mutige Bürger, die sich unter den Themen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung versammelten und gemeinsame Aktionen planten. Vorwiegend in Räumen der ev. Kirchgemeinden fanden diese Akteure ein juristisches Dach, falls der Kirchenvorstand dem zustimmt (s. meine Materialiensammlung „Akteure der Friedlichen Revolution“). Z.B. in der Region Zwickau wurden über 35 Kirchgemeinden angesprochen, ehe in der Versöhnungskirchgemeinde Zwickau ein ca. 13 m² großer Raum für diese Arbeit zur Verfügung gestellt wurde. Besonders Pfarrer hatten etwas gegen die unruhigen Geister, die angeblich das so genannte gute Staat-Kirche-Verhältnis störten. Aber während der Friedlichen Revolution standen sie sofort auf der Kanzel. Für mich waren ihre Verkündigungen einfach nicht stimmig. Das Gesagte war mit dem eigenen Leben nicht abgedeckt. Ohne Bedenken haben sie sich selbst schnell mit zu den maßgeblichen Wendeträgern erhoben. So ähnlich wendeten sich rasch SED-Funktionäre oder Systemträger und wurden Kirchenmitglieder. Kirchenzugehörigkeit gehörte damals auch als Art Karrieresprung dazu. Dagegen die eigentlichen Akteure wurden peu à peu aus den Kirchgemeinden gedrängt bzw. vergrault.

Besonders legt bis heute die Landeskirche eine Decke des Schweigens darüber, wie damals „progressive (auch loyale) kirchliche Würdenträger“ (SED-Jargon) heimlich staatliche Geschenke, Geldzuwendungen, Vergünstigungen, Auszeichnungen, kostenlose Reisen erhielten und sogar für sie Hauskaufe möglich wurden, um sie über Vergünstigungen staatshörig werden zu lassen. Genauso wurde mit den Verstrickungen und Verpflichtungen kirchlicher Mitarbeiter mit der Stasi verfahren. Die Aufarbeitung unterlag nicht rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien und wurde auch nicht öffentlich zur Diskussion gestellt.

3.) Ich gehöre mit zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche“ (s. http://www.david-gegen-mobbing.de), weil ich selbst als Pfarrer Mobbing erlebt habe. Die Mitglieder unseres Vereins begleiten und beraten bisher über 600 Schwester und Brüder aus allen Landeskirchen in diesem nicht rechtsstaatlichen Verfahren (es ist nur die Spitze des Eisberges). Auch unsere Landeskirche hält immer noch an der Gesetzgebung aus der Nazi-Zeit fest. Damit ist Mobbing zu einem galoppierenden Brandbeschleuniger geworden, weil Gemeindezersetzung von innen geschieht und betrieben wird. Die Auswirkungen gehen nicht statistisch zu erfassen, weil jeder Fall Kollateralschäden auslöst. Sicherlich deswegen werden Mobbingfälle als Verschlusssache und als Top Secret behandelt. Trotzdem wird das Image der Kirche langfristig geschädigt. Mobbing verursacht psycho-somatische Schädigungen, löst Glaubenskrisen aus, nimmt Kirchenaustritte oder Konfessionswechsel in Kauf und wird für Nichtchristen ein sichtbaren Beleg dafür, der ´Verein Kirche´ ist für meine Persönlichkeitsentwicklung nur schädlich. Andere Religionen werden bestimmt derartiges Verhalten von der “Kirche der Reformation” als total unchristlich erachten. Mobbing ist schlicht und einfach missionshemmend!

4.) Ein Lebensbeispiele vom kirchlichen Trend gegen Glauben: 1999 wurde ich ohne Recht und Ordnung mit 55 Jahren in den Ruhestand versetzt. Meine Pfarrwohnung musste ich räumen und zog in eine Privatwohnung der Zwickauer Moritzkirchgemeinde. Ich nahm mir innerlich vor, mich zu der Gemeinde zu halten, die meine Familie und mich zuerst in der neuen Wohnung besucht. Aber der erste Besuch waren zwei Zeugen Jehovas. Mein inneres Vorhaben habe ich sofort revidiert. So halte ich mich bis heute zu den Kirchgemeinden, die mich zu Diensten als Pfarrer rufen. Von der Moritzkirchgemeinde steckte zuerst der Kirchgeldbescheid im Briefkasten. Darüber habe ich mich natürlich gefreut, weil es ein sichtbarer Beweis war, ich bin im Pfarramt registriert und mein Geld wird gebraucht. Erst nach Jahren fand ich dann den vierteljährigen Kirchenboten im Briefkasten. Und nach 15 Jahren kam ein Moritzpfarrer zu mir und gratulierte mir zum 70. Geburtstag. - Ich bin gewiss, diese Erfahrungen machen viele Kirchensteuer zahlende evangelische Christen.


Mit freundlichen Grüßen
Edmund Käbisch


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zuletzt bearbeitet 01.09.2015 | Top

RE: Leserbrief von Edmund Käbisch ist im "Sonntag" erschienen

#2 von turmfalke , 01.09.2015 21:31

Ein beeindurckender Leserbrief! Erfreulich auch, dass der " Sonntag" ihn in diesem Umfang abgedruckt hat!

Ja, wie werden den Sinkflug der Volkskirche nicht aufhalten. Die Gründe, die in der Struktur der Volkskirche liegen, werden wir nicht verändern können. Für die Gründe, die im Verhalten von Kirchenleuten liegen, sind wir aber verantwortlich. Schade , dass man bei den Kirchenleitungen so große angst hat vor Nestbeschmutzern. Vielleicht liegt es daran, dass sie die Wahrheit sagen

Wir erhalten hier einen detailierten Einblick in die Eigendynamik der Kirche im Osten, die immer noch unter den Folgen der damaligen Gängelung unter dem DDR-Staat leidet. Im Westen der Nation liegen die Probleme ein klein wenig anders, sie sind aber nicht weniger gravierend. Da gehören die Opfer der Situation wir sicherlich zusammen.

Ein Dank an Edmund Käbisch!

Viele Grüße! Turmfalke


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