Am Tag der Europawahl, 26.05.2019 noch vor Schließung der Wahllokale.
Liebe Sunny!
Du hast in deinem Leben schon viele schlimme Dinge erlebt! Wir haben deine Geschichten aufmerksam gelesen und versucht sie zu verstehen. Ich kann mich in Deinen Ekel hinein fühlen.
Damit Du mir glaubst, bringe ich hier eine Geschichte, die ich so bisher noch niemandem erzählt habe:
Vor Jahren war ich Gemeindepastor an einem Ort, an dem ich gut zurecht kam. Nach einer Kirchenvorstandswahl entstand aber aus heiterem Himmel ein Widerstand gegen mich. Wenige Leute, die aber wichtige Funktionen hatten, mein Chef im Kirchenkreis und einige andere Leute in hohen kirchlichen Ämtern der Landeskirche wollten mich aus der Gemeinde vertreiben. Den Grund konnte ich nicht erkennen. Da ich mir nichts zu Schulden kommen lassen hatte und da ich bei den meisten Leuten in der Gemeinde sogar beliebt war, versuchte ich mich zu wehren. Ich musste trotzdem nach einem Kampf von eineinhalb Jahren aufgeben, weil die Gesetze des Pfarrdienstgesetzes mich nicht ausreichend schützten und weil sich im Laufe der Monate die Kräfteverhältnisse immer mehr zu meinen Ungunsten verschoben hatten. Schließlich kam der Tag, an dem ich zum letzten Mal an der Pfarrkonferenz des Kirchenkreises teil nehmen sollte. Der Chef gab mir vor den Kollegen noch einmal das Wort. Ich sagte sinngemäß: "Wir trennen uns unversöhnt. Es ist uns nicht gelungen, den Konflikt durch Gespräche zu bearbeiten, weil die Gegenseite das Gespräch verweigert hat. Durch unsere unselige Geschichte bin nicht nur ich als Person verletzt worden. Es ist das Amt der Verkündigung und die Glaubwürdigkeit der Kirche vor Ort beschädigt worden." Der Chef antwortet mit einigen scheinheiligen Worten, so als ob es eine Verabschiedung wie alle andern wäre. Dann schenkte er mir vor den Kollegen zum Abschied ein Glas Honig. Ich war leider nicht geistesgegenwärtig genug, um noch einmal darauf zu antworten. Zum Schluss gaben mir die meisten der Kollegen die Hand und einige sagten mir dabei gute Worte. Zum Schluss stand ich da mit meinem Glas Honig in der Hand. Ich nahm es mit und machte mich auf den Weg. Auf der Autobahn überkam mich aber der Gedanke: "Diesen Honig kriegst du niemals runter." Ich hielt auf dem nächsten Parkplatz an und warf das noch geschlossene Glas mit gutem Honig im hohen Bogen in die Mülltonne. So groß kann der Ekel werden, wenn man schlimme Dinge erlebt.
Ich habe mich dann aber räumlich vom Ort des Geschehens getrennt und in einem andern Kirchenkreis versucht neu anzufangen. Das gelingt nicht ohne innere Verletzungen. Die Narben bleiben. Aber ich habe mir gesagt: "Du darfst die Anderen, die mit deiner Geschichte nichts zu tun haben, nicht dafür bestrafen, dass du so schlimme Dinge erlebt hast."
Das erbitte ich auch von Dir, liebe Sunny! Nicht alle, die in der Kirche Ämter haben, sind böse. Und auch nicht alle Menschen, die sich für ein verantwortliches Amt im Staate zur Verfügung stellen, werden ihre Macht missbrauchen.
In einem gut besuchten Gottesdienst haben wir heute Morgen folgendes Glaubensbekenntnis gesprochen, dass 1990 für die Ökumenische Vollversammlung in Seoul formuliert worden ist:
Ich glaube an Gott, der die Liebe ist und der die Erde allen Menschen geschenkt hat. Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, an die Stärke der Waffen, an die Macht der Unterdrückung.
Ich glaube an Jesus Christus, der gekommen ist, uns zu heilen, und der uns aus allen tödlichen Abhängigkeiten befreit. Ich glaube nicht, dass Kriege unvermeidbar sind, dass Frieden unerreichbar ist. Ich glaube nicht, dass Leiden umsonst sein muss, dass der Tod das Ende ist, dass Gott die Zerstörung der Erde gewollt hat.
Ich glaube, dass Gott für die Welt eine Ordnung will, die auf Gerechtigkeit und Liebe gründet, und dass alle Männer und Frauen gleichberechtigte Menschen sind. Ich glaube an Gottes Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen. Ich glaube an die Schönheit des Einfachen, an die Liebe mit offenen Händen, an den Frieden auf Erden.
Amen
Viele Grüße!
Dein Turmfalke