Turmfalke hat mich gebeten, hier seinen folgenden Text einzustellen:
Gleichnisse zum Verständnis des sogenannten „Gedeihlichkeitsparagrafen“
Im früheren Pfarrdienstgesetz gab es das Verfahren zur Feststellung „eines Mangels an gedeihlicher Zusammenarbeit“.
Nach langer Diskussion auf allen Ebenen der Kirche hat die EKD Synode am 10. Nov. 2010 die dafür zugrundeliegenden Paragrafen im neuen Pfarrdienstgesetz neu formuliert:
Pfarrdienstgesetz der EKD (PfDG) (im Auszug)
§ 79 Versetzung
…
( 2 ) Pfarrerinnen und Pfarrer können um der Unabhängigkeit der Verkündigung willen nur versetzt werden, wenn …
oder wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht.
Ein besonderes kirchliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn
…
5. in ihrer bisherigen Stelle oder ihrem bisherigen Auftrag eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes gemäß § 80 Absatz 1 und 2 festgestellt wird,
…
§ 80 Versetzungsvoraussetzungen und -verfahren
( 1 ) Eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes im Sinne des § 79 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 liegt vor, wenn die Erfüllung der dienstlichen oder der gemeindlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet ist.
Das ist insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt.
Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen.
…
Trotz des neuen Pfarrdienstgesetz ist seine Anwendung geblieben wie bisher bei dem alten Gesetz. Die Paragrafen §§ 79 und 80 PfDG haben immer noch die gleiche Wirkung wie der alte „Gedeihlichkeitsparagraf“.
Dazu einige kleine Karikaturen in Form von Gleichnissen:
A) Das Ehescheidungsgleichnis:
Im Landeskirchenamt meiner Landeskirche wurde mir im Jahre 2012 in einem offiziellen Dienstgespräch erklärt:
Es ist wie bei einer Ehescheidung. Eine Ehe kann nur aufrechterhalten werden, wenn beide Ehepartner dies wollen. Wenn ein Partner die Scheidung wünscht, muss die Ehe geschieden werden. Auch wenn der andere Partner lieber an der Ehe festhalten würde, muss er akzeptieren, dass das Miteinander zerrüttet ist.
B) Das Homosexuellengleichnis:
Ein namhafter Kenner des Kirchenrechtes hat mir auf meine Anfrage hin wohlmeinend den „Gedeihlichkeitsparagrafen“ so erklärt: Es ist so wie bei einem homosexuellen Paar mit einer eingetragenen Partnerschaft in einem Pfarrhaus. Seit einigen Jahren gilt in den Evangelischen Kirche, dass Pfarrer oder Pfarrerinnen, die homosexuell leben, offen mit ihrem gleichgeschlechtlichen Partner im Pfarrhaus wohnen dürfen. Auch Gemeindeglieder, die dafür kein Verständnis haben, müssen das akzeptieren. Wenn es aber einen anderen Grund gibt, der zu einem Streit führen kann, dann können sie den homosexuellen Pfarrer oder die Pfarrerin auch mit Hilfe des „Gedeihlichkeitsverfahrens“ wegen einer „Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ aus dem Pfarrhaus und der Gemeinde vertreiben.
C) Ich selber formuliere dementsprechend das Vorgartengleichnis:
Jemand mietet ein Haus mit einem Garten. Im Mietvertrag steht aber die Klausel, dass der Mieter das Haus verlassen muss, wenn er Streit mit einem Nachbarn haben sollte. Da der Mieter keine andere Wahl hat, willigt er trotz Bedenken ein und unterschreibt den Vertrag. Er nimmt sich vor, zu den Nachbarn immer freundlich zu sein. Aber er gefällt den Nachbarn trotzdem nicht. Nun bauen die Nachbarn im Vorgarten des gemieteten Hauses ein Zelt auf und übernachten dort. Der Mieter tut, was verständlich ist: Er spricht die ungebetenen Gäste an und verlangt, dass sie das Zelt abbauen und das Grundstück verlassen. Dabei entsteht eine unschöne und laute Auseinandersetzung. Da geht der Nachbar zum Vermieter und berichtet davon, dass Mieter des Hauses mit ihm Streit hat. Und schon muss der Mieter aus dem gemieteten Haus wieder ausziehen, so wie es im Vertrag steht.
D) Dazu das Gleichnis von der unberechtigten Kritik:
Einem Pfarrer wird vorgeworfen, dass er eine schlechte Arbeit leistet. Wenn er sich nicht verteidigt, gibt er damit zu, dass seine Kritiker Recht haben: Der Pfarrer leistet offensichtlich eine schlechte Arbeit. Das ist eine „Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“. Also muss er weg.
Wenn er sich aber verteidigt, ist das ein Zeichen dafür, dass er uneinsichtig, beratungsresistent und unverbesserlich ist. Deswegen ist er im Streit mit dem Kirchenvorstand. Das ist ein Zeichen dafür, dass eine „Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ vorliegt. Also muss der Pfarrer weg.
Es heißt ja im Gesetzestext ausdrücklich:
„Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen.“
Also wird bei den Erhebungen, die die Landeskirche anstellt um festzustellen, ob eine Störung in der Wahrnehmung des Dienstes vorliegt, auch nicht untersucht, ob die vorgebrachte Kritik berechtigt ist oder nicht. Es wird nur untersucht, ob tatsächlich ein Streit vorhanden ist.
Wenn man als betroffener Pfarrer einmal in diese Situation geraten ist, kann man bei dieser Anwendung der vorliegenden Gesetze nichts mehr richtig machen, um sich aus der Schlinge zu ziehen.
E) Einmal hatte ich einen schlechten Traum:
Zwei Kirchenvorsteher unterhalten sich:
Sagt der eine: „Unser Pastor ist uneinsichtig.“
Sagt der andere: „Ja, aber das sieht er nicht ein.“
Meint wieder der erste: „Da kann man mal sehen, wie uneinsichtig er ist.“
Ich wünsche allen Lesern dieses Forums ein Gesegnetes Neues Jahr.
Vielleicht erleben wir ja im Laufe des Jahres 2014, dass sich bei den Kirchenleitenden Personen eine neue Interpretation und Anwendung der vorliegenden Gesetze durchsetzt, oder vielleicht sogar, dass erste Schritte zur Änderung der Gesetzeslage unternommen werden!
Euer Turmfalke