Kirchensteuer Artikel aus Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

#1 von Joringel , 12.08.2014 06:54

Glaube und Geld
Die Kirchensteuer schadet den Kirchen
Die Kirche erlebt neue Austrittsrekorde, seit die Kirchensteuer auf Kapitalerträge direkt über die Banken eingetrieben wird. Die deutsche Kirchensteuer ist ohnehin ein Unikum. Für das Ansehen der Kirche wäre es besser, wenn sie sich aus eigener Kraft finanziert. Ein Kommentar:

Ist Deutschland wirklich so viel unchristlicher als andere Länder? Bei einem Blick in die Statistik könnte man es glauben. Nur noch 60 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an, Tendenz weiter sinkend. Andernorts liegen die Zahlen angeblich höher. Merkwürdig ist nur: Geben die Leute in Umfragen Auskunft über ihre Religiosität, belegt Deutschland eher einen Mittelplatz. In Frankreich, England oder Skandinavien, auch in einigen osteuropäischen Ländern glauben weniger Menschen an Gott.
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Diese Kluft lässt sich leicht erklären: Es liegt an der Kirchensteuer. Deutschland ist fast das einzige Land auf der Welt, in dem das Bekenntnis zur Religion mit einer Zwangsabgabe belegt ist, die von staatlichen Behörden eingezogen wird. Andernorts müssen die Bürger ihren Glauben gegenüber den Behörden gar nicht offenbaren. Hierzulande werden sie gezwungen, sich beim Gericht oder dem Standesamt von ihrer Kirche in aller Form zu distanzieren – wenn sie mit dem Zuschlag von 8 oder 9 Prozent auf die Einkommensteuer nicht einverstanden sind.

Bislang haben die Kirchen immer behauptet, die Leute zahlten das Geld gern. Jetzt führen sie selbst den Beweis des Gegenteils herbei: Weil sie die Kirchensteuer auf Kapitalerträge nun direkt über die Banken eintreiben, per Datenabgleich mit den staatlichen Stellen, erleben Katholiken und Protestanten neue Austrittsrekorde. Dass sie nun auch die Sparkonten ihrer Mitglieder unter die Lupe nehmen, um noch den letzten Euro einzutreiben, dass sie dabei nicht nur wie eh und je mit dem Staat zusammenarbeiten, sondern auch mit der so gern geschmähten Bankbranche: das lässt auch Leute zweifeln, die von den Skandalen der jüngsten Zeit unbeeindruckt blieben. Mit der Kirchensteuer wird nur das religiöse Kerngeschäft finanziert

Die Briefe von der Bank haben viele Leute überhaupt erst wieder daran erinnert, wie viel sie an Kirchensteuer zahlen – und die berechtigte Frage wieder aufgeworfen, warum sich die Kirchen nicht wie andere Vereine auch durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren können. Die deutsche Kirchensteuer ist ein Unikum, das sich nur historisch erklären lässt – durch das lutherische Staatskirchentum bis 1918 und die weltliche Herrschaft vieler katholischer Bischöfe bis 1803. Viele Pfarrer aus der DDR, die zum Staat Distanz hielten, fanden das nach der Wende erst einmal befremdlich.

Viele Leute glauben, die Kirchen erfüllten mit dem Geld auch öffentliche Aufgaben im Sozialbereich. Das ist aber nicht der Fall. Wenn sie Krankenhäuser betreiben oder Altenheime, Schulen oder Kitas, dann ersetzt ihnen der Staat – wie jedem privaten Betreiber – den größten Teil der Kosten aus allgemeinem Steuergeld. Das ist auch in Ordnung, solange die Kirchen dabei nicht bevorzugt und andere nicht benachteiligt werden. Nicht einmal der Religionsunterricht an den Schulen oder die Ausbildung ihres Stammpersonals werden aus der Kirchensteuer finanziert: Die Kosten für Religionslehrer und Theologieprofessoren übernimmt der Staat, was schon um einiges problematischer ist.

Die Kirchensteuer, die nur ein Drittel der Einnahmen ausmacht, dient folglich in erster Linie dem religiösen Kerngeschäft – also der Bezahlung von Pfarrern und Priestern, dem Unterhalt der Gemeindehäuser und Kirchen (sofern nicht der Staat für den Denkmalschutz etwas dazugibt). Das ist aber kein Fall für eine Steuer, sondern für Beiträge und Spenden – wie bei jedem anderen Verein oder jeder anderen Körperschaft. Welche Vorgaben die Kirchen dabei machen, ob sie die Beiträge staffeln oder stärker auf Spenden setzen, ob sie das System zentral organisieren oder den Gemeinden überlassen, das könnten sie selbst entscheiden.

Für die Kirchen wäre das mit einem Verlust an Bequemlichkeit verbunden. Ihr Ansehen aber würde steigen, wenn sie sich aus eigener Kraft finanzieren und um die Zustimmung ihrer Mitglieder stets aufs Neue werben müssten. Und sie brauchten nicht jedes Jahr aufs Neue zu vermelden, wie viele Austritte wieder zu verzeichnen sind.
Autor: Ralph Bollmann, Jahrgang 1969, Korrespondent für Wirtschaftspolitik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Zur HomepageQuelle: F.A.S. 10.08.2014


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zuletzt bearbeitet 12.08.2014 | Top

Was die Kirchensteuer über unsere Kirche aussagt

#2 von Joringel , 13.08.2014 09:32

Ich wundere mich, dass dieser Artikel aus der FAS nicht mehr Interessenten findet. Kurz und schlüssig ohne die große Moralkeule wird die Fragwürdigkeit des Systems dargestellt. Wir haben uns alle so brav daran gewöhnt und außerdem möchte man doch christlich beerdigt werden. Also, tapfer durchhalten bis zum Schluß. Irgendwie und irgendwo wird uns das hoffentlich hoch angerechnet.
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Kirchenaustritte in Hessen

#3 von Joringel , 20.08.2014 09:54

Heute ist dies Thema im Hessischen Rundfunk. Die Austritte sind überproportional und noch höher in der Evangelischen Kirche als in der katholischen. Allein in Darmstadt sind in diesem Jahr schon über 1000 Menschen ausgetreten. In Frankfurt ist die Austrittsrate um 40% gestiegen. Man spricht vom Tebartz-Effekt. In Statements sagen die Ausgetretenen, dass ihnen die Kirche so fern ist, und sie auch nicht wissen, was mit ihrer Kirchensteuer gemacht wird, es fehle die Transparenz. Die "Offiziellen" vermuten eine mangelnde Aufklärung bezüglich der Kapitalertragssteuer, das System der Kirchensteuer sei damit nicht in Frage gestellt.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass allein die Infragestellung der Kirchensteuer als ein Tabubruch geahndet wurde. Aber es wird der Tag kommen, doch vermutlich ist er noch sehr fern, wo die Kirche noch auf den letzten Wagen dieses Zuges aufspringen und verkünden wird, man habe doch schon seit Jahren beobachtet, dass diese Form der staatlich eingetriebenen Kirchensteuer nicht mehr zeitgemäß sei und man arbeite an anderen Modellen. Und dann wird man in die Vorschäge der "Abweichler" schauen und stillschweigend "modernere" Formen anbieten. Aber bis dahin stehen vielleicht nur noch die Mauern der Kirchen und der Verwaltungsgebäude und die Menschen sind alle schon weg...
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RE: Kirchensteuer Artikel aus Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

#4 von Nemo , 21.08.2014 08:45

Ich denke, da ist an einer Stellschraube für Kirchensteuer gedreht worden und jetzt merken viele Menschen, dass sie da was zahlen und sparen könnten.
Mehrheitlich sind es wohl unverändert finanzielle Gründe für den Austritt.
Allerdings: wenn ich inhaltlich überzeugt bin, frage ich nicht unbedingt nach dem Geld. Also hat Kirche ein inhaltliches Problem.
Den von Joringel genannten "Tebartzeffekt" kenne ich nicht. Vielleicht ist es wirklich zu kurz, Vorgänge in der katholischen Kirche hier heranzuziehen.
Allerdings: es bleibt völlig unklar, warum hier das steuerliche Einzugsverfahren geändert wurde und wer da was aus welchen Gründen gemacht hat.
Zu der inhaltlichen Frage, wie sich christlicher Glaube im 21. Jahrhundert gestalten kann kommt es leider nicht. Allzu mächtig ist das weiter so!


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