Glaube und Geld
Die Kirchensteuer schadet den Kirchen
Die Kirche erlebt neue Austrittsrekorde, seit die Kirchensteuer auf Kapitalerträge direkt über die Banken eingetrieben wird. Die deutsche Kirchensteuer ist ohnehin ein Unikum. Für das Ansehen der Kirche wäre es besser, wenn sie sich aus eigener Kraft finanziert. Ein Kommentar:
Ist Deutschland wirklich so viel unchristlicher als andere Länder? Bei einem Blick in die Statistik könnte man es glauben. Nur noch 60 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an, Tendenz weiter sinkend. Andernorts liegen die Zahlen angeblich höher. Merkwürdig ist nur: Geben die Leute in Umfragen Auskunft über ihre Religiosität, belegt Deutschland eher einen Mittelplatz. In Frankreich, England oder Skandinavien, auch in einigen osteuropäischen Ländern glauben weniger Menschen an Gott.
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Diese Kluft lässt sich leicht erklären: Es liegt an der Kirchensteuer. Deutschland ist fast das einzige Land auf der Welt, in dem das Bekenntnis zur Religion mit einer Zwangsabgabe belegt ist, die von staatlichen Behörden eingezogen wird. Andernorts müssen die Bürger ihren Glauben gegenüber den Behörden gar nicht offenbaren. Hierzulande werden sie gezwungen, sich beim Gericht oder dem Standesamt von ihrer Kirche in aller Form zu distanzieren – wenn sie mit dem Zuschlag von 8 oder 9 Prozent auf die Einkommensteuer nicht einverstanden sind.
Bislang haben die Kirchen immer behauptet, die Leute zahlten das Geld gern. Jetzt führen sie selbst den Beweis des Gegenteils herbei: Weil sie die Kirchensteuer auf Kapitalerträge nun direkt über die Banken eintreiben, per Datenabgleich mit den staatlichen Stellen, erleben Katholiken und Protestanten neue Austrittsrekorde. Dass sie nun auch die Sparkonten ihrer Mitglieder unter die Lupe nehmen, um noch den letzten Euro einzutreiben, dass sie dabei nicht nur wie eh und je mit dem Staat zusammenarbeiten, sondern auch mit der so gern geschmähten Bankbranche: das lässt auch Leute zweifeln, die von den Skandalen der jüngsten Zeit unbeeindruckt blieben. Mit der Kirchensteuer wird nur das religiöse Kerngeschäft finanziert
Die Briefe von der Bank haben viele Leute überhaupt erst wieder daran erinnert, wie viel sie an Kirchensteuer zahlen – und die berechtigte Frage wieder aufgeworfen, warum sich die Kirchen nicht wie andere Vereine auch durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren können. Die deutsche Kirchensteuer ist ein Unikum, das sich nur historisch erklären lässt – durch das lutherische Staatskirchentum bis 1918 und die weltliche Herrschaft vieler katholischer Bischöfe bis 1803. Viele Pfarrer aus der DDR, die zum Staat Distanz hielten, fanden das nach der Wende erst einmal befremdlich.
Viele Leute glauben, die Kirchen erfüllten mit dem Geld auch öffentliche Aufgaben im Sozialbereich. Das ist aber nicht der Fall. Wenn sie Krankenhäuser betreiben oder Altenheime, Schulen oder Kitas, dann ersetzt ihnen der Staat – wie jedem privaten Betreiber – den größten Teil der Kosten aus allgemeinem Steuergeld. Das ist auch in Ordnung, solange die Kirchen dabei nicht bevorzugt und andere nicht benachteiligt werden. Nicht einmal der Religionsunterricht an den Schulen oder die Ausbildung ihres Stammpersonals werden aus der Kirchensteuer finanziert: Die Kosten für Religionslehrer und Theologieprofessoren übernimmt der Staat, was schon um einiges problematischer ist.
Die Kirchensteuer, die nur ein Drittel der Einnahmen ausmacht, dient folglich in erster Linie dem religiösen Kerngeschäft – also der Bezahlung von Pfarrern und Priestern, dem Unterhalt der Gemeindehäuser und Kirchen (sofern nicht der Staat für den Denkmalschutz etwas dazugibt). Das ist aber kein Fall für eine Steuer, sondern für Beiträge und Spenden – wie bei jedem anderen Verein oder jeder anderen Körperschaft. Welche Vorgaben die Kirchen dabei machen, ob sie die Beiträge staffeln oder stärker auf Spenden setzen, ob sie das System zentral organisieren oder den Gemeinden überlassen, das könnten sie selbst entscheiden.
Für die Kirchen wäre das mit einem Verlust an Bequemlichkeit verbunden. Ihr Ansehen aber würde steigen, wenn sie sich aus eigener Kraft finanzieren und um die Zustimmung ihrer Mitglieder stets aufs Neue werben müssten. Und sie brauchten nicht jedes Jahr aufs Neue zu vermelden, wie viele Austritte wieder zu verzeichnen sind.
Autor: Ralph Bollmann, Jahrgang 1969, Korrespondent für Wirtschaftspolitik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Zur HomepageQuelle: F.A.S. 10.08.2014