Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#1 von Joringel , 09.03.2014 12:29

U-Boot-Kommandant und Pazifist
Von Manfred Gerber
JAHRESTAG Vor 30 Jahren starb der Wiesbadener Ehrenbürger Martin Niemöller / Große Trauerfeier in der Lutherkirche
WIESBADEN - Er war eine der schillerndsten Gestalten der jüngeren Geschichte und ein großer Polarisierer der alten Bundesrepublik: Martin Niemöller. Heute vor 30 Jahren, am 6. März 1984, ist der Ehrenbürger in Wiesbaden gestorben.
Mit der Stadt war und ist der 1892 in Lippstadt geborene Pfarrerssohn auf vielfältige Weise verbunden. In der Markt- und Ringkirche hielt er, als Pfarrer in Berlin-Dahlem, am 29. Juni 1937 seinen Vortrag „Zur kirchlichen Lage“, mit einer bitteren Bilanz über das „Trümmerfeld“ Kirche, es war die letzte Rede vor seiner Verhaftung am 1. Juli in Berlin durch die Gestapo wegen „dauernder Kanzelhetze“.
Bis dahin hatte er schon ein turbulentes politisch-militärisches Leben hinter sich: als kaiserlicher U-Boot-Kommandant, als Freikorpskämpfer bei der Niederschlagung eines kommunistischen Aufstands im Ruhrgebiet, als Pfarrer, als Führungsfigur der Bekennenden Kirche.
Hitlers Reichskanzlerschaft begrüßte der bis auf die Knochen nationalkonservativ gesinnte Niemöller aufs Freudigste. Erst die Einführung der Arierparagrafen, mit denen sowohl der Staat als auch einige evangelische Landeskirchen Beamte und Pfarrer jüdischer Herkunft ausschlossen, brachte Niemöller zunehmend in Konflikt mit dem NS-Regime und machte ihn zum erbitterten Gegner der regimetreuen Deutschen Christen. Nach seiner Verhaftung war Niemöller zunächst im Konzentrationslager Sachsenhausen, später in Dachau als „persönlicher Gefangener“ Hitlers inhaftiert.
Nach dem Krieg verschlug es den von den Amerikanern befreiten und gleichzeitig erneut internierten Niemöller durch eine Reihe von Zufällen wieder nach Wiesbaden. Im Pfarrhaus der Bergstraße, wo ihn sein Freund, Bergkirchenpfarrer Franz von Bernus, beherbergte, verbrachte er die erste Nacht in wiedergewonnener Freiheit.
Nach dem Wiederaufbau der nationalsozialistisch kompromittierten Kirche und der Neugründung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) 1947 wählte ihn eine Synode zum Kirchenpräsidenten. Amtssitz war Darmstadt, Wohnsitz eine Villa in der Wiesbadener Brentanostraße.
Strammes Regiment
Martin Niemöller war jetzt Mitglied der Lutherkirchengemeinde, wo er sonntags zum Gottesdienst ging und gelegentlich predigte. Sein Amt als Kirchenpräsident führte er mit straffer Hand, vor allem wenn es darum ging, seine von Karl Barth geprägte Theologie durchzusetzen. In den sechziger Jahren war er einer von sechs Präsidenten des Ökumenischen Rats der Kirchen.
Eine innige Feindschaft pflegte Niemöller nach dem Krieg gegenüber dem Marktkirchenpfarrer und zeitweiligen Nassauer Nazi-Bischof Ernst Ludwig Dietrich, dessen vierjährige Suspendierung nach 1945 er mit betrieb. Weltweit Furore machte Martin Niemöller als Pazifist, in den er sich in den 1950er Jahren angesichts der zunehmenden atomaren Bedrohung verwandelt hatte. Er wurde Präsident zahlreicher, auch internationaler Friedensgesellschaften und ließ sich sowohl mit dem Lenin-Friedenspreis der Sowjetunion als auch mit dem Großkreuz des Bundesverdienstordens dekorieren. Zur Trauerfeier in der Lutherkirche am 25. März 1984 kam internationales Publikum. Polarisiert hat der Kirchenmann noch weit über seinen Tod hinaus. Zwar wurde er in der Amtszeit von Oberbürgermeister Rudi Schmitt (SPD) 1975 fast einvernehmlich zum Ehrenbürger gemacht. Als aber das Oberstufengymnasium am Moltkering 1987 auf Niemöllers Namen getauft werden sollte, gab es heftigen Widerstand aus der rechten Seite des politischen Spektrums und schwere Scharmützel in der Stadtverordnetenversammlung. Ohne Erfolg: Die rot-grüne Mehrheit unter Oberbürgermeister Achim Exner setzte sich durch.


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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#2 von Robin ( gelöscht ) , 09.03.2014 17:08

Ich denke, der Artikel zeichnet ein angemessenes Bild dieses streitbaren Protestanten. Wie oft wäre Niemöller, wenn er Gemeindepfarrer in einer heutigen Landeskirche wäre, wohl schon wegen "Ungedeihlichkeit" abberufen worden?
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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#3 von Joringel , 09.03.2014 17:12

So ganz war ich nicht damit einverstanden, ich habe einen Leserbrief dazu geschreiben, der aber noch nicht abgedruckt wurde. Leider habe ich es während meines Dienstes gemacht, und es fehlt mir ein logisches Verbindungsglied. Außerdem darf man nur 1500 Worte schreiben, ich mußte ihn dann schwer kürzen. Den Text kann ich ja später einstellen, ich habe ihn nicht hier.
Herzlich Joringel


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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#4 von Robin , 10.04.2014 12:52

Liebe Joringel! Womit warst Du nicht ganz einverstanden? Würde mich interessieren.
Gut, dass Du hier wieder dabei bist!
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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#5 von azalee , 10.04.2014 14:30

Stimmt wohl der Satz ganz zu Anfang: "schillernste Persönlichkeit!"
Ein wackerer Streite war N. gewiß, aber selbst beim der wackersten Streiter finden sich dunkle Flecke auf der weißen Weste. Wie war denn seine Zeit als U .- Boot Kämpfer??
Vor Jahren gab es heftige Diskussionen in der Kirchenzeitung der ehemaliogen KPS um die Verdienste von Niemöller
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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#6 von Joringel , 10.04.2014 17:44

Liebe Freunde, ich kann nur kurz antworten, da wir vor einer größeren Reise mit verschiedenen Stationen stehen und einiges noch abzuhaken ist. Aber damit will ich Euch nicht langweilen:
Zitat aus dem Artikel:
"Eine innige Feindschaft pflegte Niemöller nach dem Krieg gegenüber dem Marktkirchenpfarrer und zeitweiligen Nassauer Nazi-Bischof Ernst Ludwig Dietrich, dessen vierjährige Suspendierung nach 1945 er mit betrieb."

Hier klingt es so, als habe Martin Niemöller eine persönliche Feindschaft ausgelebt und die weitere Karriere von Bischof Ernst Ludwig Dietrich betrieben. Ernst Ludwig Dietrich war DC-Pfarrer und war, obwohl wie man hörte, ein hervorragender Alttestamentler, mit Hilfe der Partei in das Bischofsamt gelangt, indem er Bischof Kortheuser vertrieb. Er setzte sich aktiv dafür ein, dass getaufte Juden und Mitarbeiter der Kirche hier keinen Platz mehr hätten. Mit Unterstützung der Gestapo verfolgte BK-Pfarrer und solche, die sich seinem Kurs nicht unterwarfen. Einige verwies er des Landes und entzog ihnen die Existenzgrundlage. Wie man weiß, wurden die BK-Vikare gern an die Front geschickt oder sie entkamen nach Amerika, wie mein Gesprächspartner Pfarrer Erwin Müller aus Wallau, der inzwischen verstorben ist. Er erzählte mir, dass er 1933 als junger Theologe von Dietrich geprüft wurde, Thema: Das Führerprinzip im NT. Ab ca. 1938 war Dietrich für die Nazis uninteressant geworden, sie wollten ja ein Reich ganz ohne Christentum und die Deutschen Christen dienten nur zur Infiltration. 1939 gab es wohl in der Matthäus-Gemeinde in Frankfurt eine Predigt Dietrichs, wo er sich von seiner DC-Rolle distanzierte nach dem Motto: "Wir müssen jetzt alle zusammen halten." Er blieb bis 1945 im Amt und wurde meines Wissens von den Amerikanern abgesetzt. Wahrscheinlich hätte er dann gern so weiter gemacht als wenn nichts gewesen wäre. Deshalb war es richtig, dass Martin Niemöller das verhindert hat. Als Opfer des Naziregimes hatte er ein ganz anderes Bewusstsein. Pfarrer Müller beklagte auch, dass Dietrich sich nie zu seinen Taten bekannt bzw. sich entschuldigt hatte. Die Illegalen hatten später kleine Renten, weil ihnen viele Jahre fehlten, auch das nahm man hin.
Bei einigen wenigen Gelegenheiten versuchte ich 1988 das Thema Bischof Dietrich öffentlich zu machen. Dafür wurde ich öffentlich von Pfr. Geißler (Lutherkirche) gemaßregelt, wie ich dazu käme usw. Dieser Pfarrer Geissler hat jetzt in seiner Pensionszeit eine Biographie Dietrichs geschrieben und als alter Herr damit den Doktorgrad erworben. Ich kann mich nicht entschließen, das Buch zu kaufen, weil ich dem Ganzen nicht traue, aber ein Freund von mir sagte, es sein in Ordnung. Aber dieser Freund ist auch eher von der "Allen wohl und Niemand-weh-Sorte".
In dieser Sache also, dass Niemöller hier mit Recht einen ehemaligen DC-Bischof nicht mehr hochkommen lassen wollte habe ich mich in einem Leserbrief geäußert und betonte, dass dies mehr war als eine persönliche Feindschaft. Obwohl vorher seitenweise Leserbriefe zu dem Thema erschienen waren, dass sich in der Kohlheckgemeinde die Kindergartenkinder nicht als Hexe und Zauberer verkleiden dürfen und auch seitenweise das Thema Tebartz von Eltz in den Leserbriefen auftauchte, schrieb mir die Sekretärin der Chefredaktion, dass für meinen Brief kein Platz sei - leider! Diesen Brief habe ich aber nicht zu Hause gespeichert. Es gibt hier so etwas wie "Das Evangelische Wiesbaden" - eine Art wohlwollendes Establishment, Störungen unerwünscht.
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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#7 von Robin , 11.04.2014 10:09

Danke, Joringel, für Deinen langen Kommentar! Er ist sehr informativ.
Azalee möchte ich antworten, dass sich Menschen auch wandeln können und dies hat Niemöller in einem langsamen Prozess ab 1933 auch getan. Als U-Boot-Kommandant war er begeisterter Soldat im Dienst des von ihm so verstandenen "Vaterlandes". Übrigens haben er und seine Leute die im Wasser schwimmenden Besatzungen der je anderen angegriffenen U-Boote sehr wohl geborgen. Auch dies soldatische Pflicht und Ehre. Doch schlimmer ist bzw. war, dass Niemöller in den zwanziger Jahren zu den frühen Mitgliedern der NSDAP zählte und zu Beginn der dreißiger Jahre auch noch in Dahlem als nationalsozialistischer Pfarrer galt. Aber Menschen können sich ändern, und gut, wenn sie es rechtzeitig tun. Die Grenze war für Niemöller die Gleichschaltung der Kirche. Hier sollte nur einer "Herr" sein, nämlich Jesus Christus. Und von diesem innerkirchlichen Widerstand aus ging es dann immer weiter nach außen, bis schließlich/endlich auch in die Politik.

Noch eine kleine Randnotiz zum Zeitungsartikel. Niemöller und mit ihm all die Sippenhäftlinge und "besonderen" Gefangenen des Führers sollten, wenn die "Feinde" kämen, von der sie begleitenden SS-Truppe ermordet werden. Eine Abteilung der deutschen Wehrmacht hat sie in Oberitalien (Puster-Tal) befreit und dann den Amerikanern übergeben. Auch Bonhoeffer war in diesem Tross. Doch er wurde unterwegs in Markt Schönberg im Bayrischen Wald herausgeholt und nach Flossenbürg verbracht. Über die "Alpenfestung", in die sich die Nazis zurückziehen und von der her sie erneut ein drittes Reich aufbauen wollten, erzähle ich Euch, wenn Ihr mögt, ein andermal mehr. Die "Geiseln" waren als Unterpfand gedacht, um von den Aliierten das Plazet zur "Alpenfestung" zu erlangen. Ein irriger, völlig illusionärer Plan.

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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#8 von Joringel , 11.04.2014 12:06

Hallo, Robin, Danke, dass Du auf meinen Bericht eingegangen bist. Ich vertrete auch die Meinung, dass Martin Niemöller zu seinen Irrtümern gestanden hat und das ehrt ihn. In dem Bericht stand, dass er seine erste Nacht nach der Entlassung bei Pfarrer von Bernus in der Wiesbadener Bergkirchengemeinde verbracht hat. Pfarrer von Bernus hatte immer eine gepackte Tasche, so wurde mir von seiner Tochter Bettina Mumm erzählt, weil er als BK-Pfarrer nach seinen Predigten mit seiner Verhaftung rechnete. Es waren öfter Gestapo-Leute in der Kirche. Frau Mumm machte mich aber auch auf das Schicksal von Frau Niemöller aufmerksam, sie hatten ja mehrere Kinder und Frau Niemöller sei im 3. Reich wie eine Geächtete gewesen und mußte die Kinder durchbringen. Es ist ein Anliegen von Frau Bettina Mumm auch auf die Leiden und Leistungen dieser Frauen hinzuweisen.
Ich würde mich freuen, wenn wir uns solches Wissen auch von Zeit zu Zeit mitteilen, denn es ist ein Teil der Geschichte unserer Kirche - ebenso wie die DDR-Zeit - die nicht bewusst mit in die Gegenwartsgestaltung hineingenommen wird.
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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#9 von azalee , 12.04.2014 15:12

Ihr Lieben,
Es ist nichts dagegen zu sagen, dass ein Mensch aus seinen Fehlern nicht Lehren ziehen kann und dass sich ein Mensch auch ändern kann. es ist Niemöller zum Guten anzurechnen, dass er zu seinen Irrtümern stand.
Aus Erfahrung weiß ich, dass man großen Leuten mit großen Verdiensten schneller deren"Irrtümmer" verzeiht!


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RE: Martiin Niemöller - Ein Artikel aus dem Wiesbadener Kurier zur Information und Diskussion

#10 von Robin , 12.04.2014 20:35

Noch eine kleine Selbstkorrektur. Ich habe nachgeschlagen. Niemöller war nie NSDAP-Mitglied (er wollte nicht Mitglied irgendeiner Partei sein), aber er hat diese Partei nach Selbstaussage ab 1924 mehrfach gewählt.
Ja, liebe Joringel, wir dürfen die Frauen nicht vergessen. Ich bin da ganz auf Deiner Seite und finde es gut, wenn ihre Schicksale nun auch erforscht werden.
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