U-Boot-Kommandant und Pazifist
Von Manfred Gerber
JAHRESTAG Vor 30 Jahren starb der Wiesbadener Ehrenbürger Martin Niemöller / Große Trauerfeier in der Lutherkirche
WIESBADEN - Er war eine der schillerndsten Gestalten der jüngeren Geschichte und ein großer Polarisierer der alten Bundesrepublik: Martin Niemöller. Heute vor 30 Jahren, am 6. März 1984, ist der Ehrenbürger in Wiesbaden gestorben.
Mit der Stadt war und ist der 1892 in Lippstadt geborene Pfarrerssohn auf vielfältige Weise verbunden. In der Markt- und Ringkirche hielt er, als Pfarrer in Berlin-Dahlem, am 29. Juni 1937 seinen Vortrag „Zur kirchlichen Lage“, mit einer bitteren Bilanz über das „Trümmerfeld“ Kirche, es war die letzte Rede vor seiner Verhaftung am 1. Juli in Berlin durch die Gestapo wegen „dauernder Kanzelhetze“.
Bis dahin hatte er schon ein turbulentes politisch-militärisches Leben hinter sich: als kaiserlicher U-Boot-Kommandant, als Freikorpskämpfer bei der Niederschlagung eines kommunistischen Aufstands im Ruhrgebiet, als Pfarrer, als Führungsfigur der Bekennenden Kirche.
Hitlers Reichskanzlerschaft begrüßte der bis auf die Knochen nationalkonservativ gesinnte Niemöller aufs Freudigste. Erst die Einführung der Arierparagrafen, mit denen sowohl der Staat als auch einige evangelische Landeskirchen Beamte und Pfarrer jüdischer Herkunft ausschlossen, brachte Niemöller zunehmend in Konflikt mit dem NS-Regime und machte ihn zum erbitterten Gegner der regimetreuen Deutschen Christen. Nach seiner Verhaftung war Niemöller zunächst im Konzentrationslager Sachsenhausen, später in Dachau als „persönlicher Gefangener“ Hitlers inhaftiert.
Nach dem Krieg verschlug es den von den Amerikanern befreiten und gleichzeitig erneut internierten Niemöller durch eine Reihe von Zufällen wieder nach Wiesbaden. Im Pfarrhaus der Bergstraße, wo ihn sein Freund, Bergkirchenpfarrer Franz von Bernus, beherbergte, verbrachte er die erste Nacht in wiedergewonnener Freiheit.
Nach dem Wiederaufbau der nationalsozialistisch kompromittierten Kirche und der Neugründung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) 1947 wählte ihn eine Synode zum Kirchenpräsidenten. Amtssitz war Darmstadt, Wohnsitz eine Villa in der Wiesbadener Brentanostraße.
Strammes Regiment
Martin Niemöller war jetzt Mitglied der Lutherkirchengemeinde, wo er sonntags zum Gottesdienst ging und gelegentlich predigte. Sein Amt als Kirchenpräsident führte er mit straffer Hand, vor allem wenn es darum ging, seine von Karl Barth geprägte Theologie durchzusetzen. In den sechziger Jahren war er einer von sechs Präsidenten des Ökumenischen Rats der Kirchen.
Eine innige Feindschaft pflegte Niemöller nach dem Krieg gegenüber dem Marktkirchenpfarrer und zeitweiligen Nassauer Nazi-Bischof Ernst Ludwig Dietrich, dessen vierjährige Suspendierung nach 1945 er mit betrieb. Weltweit Furore machte Martin Niemöller als Pazifist, in den er sich in den 1950er Jahren angesichts der zunehmenden atomaren Bedrohung verwandelt hatte. Er wurde Präsident zahlreicher, auch internationaler Friedensgesellschaften und ließ sich sowohl mit dem Lenin-Friedenspreis der Sowjetunion als auch mit dem Großkreuz des Bundesverdienstordens dekorieren. Zur Trauerfeier in der Lutherkirche am 25. März 1984 kam internationales Publikum. Polarisiert hat der Kirchenmann noch weit über seinen Tod hinaus. Zwar wurde er in der Amtszeit von Oberbürgermeister Rudi Schmitt (SPD) 1975 fast einvernehmlich zum Ehrenbürger gemacht. Als aber das Oberstufengymnasium am Moltkering 1987 auf Niemöllers Namen getauft werden sollte, gab es heftigen Widerstand aus der rechten Seite des politischen Spektrums und schwere Scharmützel in der Stadtverordnetenversammlung. Ohne Erfolg: Die rot-grüne Mehrheit unter Oberbürgermeister Achim Exner setzte sich durch.