Die juristische Sensation ist da

#1 von cezanne , 20.06.2014 23:06

Liebe Juristen, das von einigen von uns sehnlichst erwartete Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend "Zugang zu staatlichen Gerichten für Geistliche" ist da.


Kann bitte ein Jurist dies kommentieren?


http://www.bverwg.de/entscheidungen/ents...70214U2C19.12.0.

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RE: Die juristische Sensation ist da

#2 von cezanne , 21.06.2014 09:13

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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#3 von Achim , 05.09.2014 18:18

Lieber Cezanne, liebe Freunde,

das von mir früher als juristischer Dammbruch empfundene Urteil des OVG Münster vom 18.09. 2012, nämlich dass Pfarrer staatliche Gerichte anrufen dürfen - und nicht nur kirchliche -, stand mittlerweile auf dem juristischen Prüfstand des Bundesverwaltungsgerichts ( BVerwG 2 C 19.12, Entscheidung vom 27.02.2014; Cezanne hat uns dankenswerterweise per Link den Weg gewiesen):

Ihr erinnert Euch bitte:

Unser Pfarrer wurde zweimal für je 5 Jahre befristet auf Zeit zum Pastor im Sonderdienst berufen. Danach klagte er auf weitere befristete Beschäftigung von 5 Jahren und unterlag vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht, worauf er das staatliche Verwaltungsgericht Düsseldorf bemühte, das seine Klage als unzulässig mit der Begründung ablehnte, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten sei nicht eröffnet, - es fühlte sich schlicht nicht für zuständig.

Gegen dieses Urteil legte unser tapferer Pfarrer Berufung zum Oberverwaltungsgericht ein und erzielte dort den von uns bis dahin für unmöglich gehaltenen Erfolg, nämlich den, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ihn nicht mit der Begründung abbügelte, wie zuvor das staatliche Verwaltungsgericht (erster Instanz ), dass seine Klage unzulässig sei, weil die staatlichen Gerichte angeblich nicht zuständig seien.

Das Oberverwaltungsgericht hat dann erfreulicherweise sich als zuständig betrachtet und die Kirche verurteilt, unseren Pfarrer neu - und anders - zu bescheiden. Das war zwar noch kein voller Prozesserfolg unseres Pfarrers, aber schon allein deshalb sensationell, weil sich ein staatliches hohes Gericht überhaupt für zuständig hielt.

Diese Entscheidung gefiel unserer Kirche gar nicht, weshalb sie Revision zum - staatlichen - Bundesverwaltungsgericht einlegte, welches uns am 27.02. 2014 per Urteil wissen ließ
( nachzulesen: BVerwG 2 C 19.12, Entscheidung vom 27.02.2014):

1. Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten steht allen Pfarren auch in dienstrechtlichen Streitigkeiten theoretisch offen ( Rn. 12 des Urteils)
2. Erfolgreich allerdings nur dann, wenn fundamentale Rechtsprinzipien unseres Rechtsstaats durch die Kirche verletzt würden, wofür das Bundesverwaltungsgericht, anders als da Oberverwaltungsgericht, im konkreten Fall nichts erkennen mochte.

Mein Fazit:

Künftige Klagen von Pfarrern gegen Entscheidungen der Kirchengerichte vor staatlichen Verwaltungsgerichten werden dort nicht mehr mangels Zuständigkeit abgebügelt werden können.

Euer

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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#4 von Robin , 06.09.2014 09:13

Lieber Achim!
Aber die KLagen werden nicht mehr gleich und sofort abgebügelt werden können? Die Öffnung zu den staatlichen Gerichten ist doch noch da?
Danke für Deinen Kommentar!
Robin

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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#5 von Joringel , 06.09.2014 19:46

Ja, auch ich moechte mich bei Cezanne und Achim fuer die gute "Zuarbeit" bedanken. Bloss die Logik verstehe ich nicht, dann ist die juristische Sensation doch da...
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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#6 von Achim , 07.09.2014 13:32

Liebe Freunde,

na ja, die juristische Sensation ist insofern schon da, als künftig Pfarrer nach Ausschöpfen des kirchlichen Gerichtswegs von staatlichen Gerichten nicht allein mit der Begründung abgebügelt werden können, ihre Klage sei von vorn herein unzulässig.

Nach dem hier besprochenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts werden künftig staatliche Verwaltungsgerichte Pfarrerklagen jedenfalls nicht mehr als unzulässig abweisen können; jedoch als unbegründet, weshalb mich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht richtig froh macht.

Die Vorinstanz, das OVG Münster, hatte die Kirche dazu verdonnert, unseren tapferen Pfarrer neu zu bescheiden und zwar mit Hinweis auf das staatliche Teilzeit- und Befristungsgesetz. Es hielt dessen Klage also sensationell nicht für unzulässig, vielmehr für zulässig und forderte der Kirche eine neue Entscheidung unter Berücksichtigung des staatlichen Teilzeit- und Befristungsgesetzes ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 27.02.2014 (BVerwG 2 C 19.12) zwar anders als die erste staatliche Instanz (Verwaltungsgericht Düsseldorf) mit dem OVG Münster (Berufungsinstanz) die Klage unseres Pfarrers als zulässig betrachtet, jedoch als unbegründet verworfen.

Und nun wird es ein wenig kompliziert:

1. Das Urteil des OVG Münster, welches unsere Hoffnungen beflügelte, führte u.a. aus, dass es kirchengerichtliche Entscheidungen lediglich auf "verfassungsrechtliche Mindestanforderungen sozialer Sicherung" überprüfen könne und wolle. Als solche hatte das OVG Münster das vorgenannte staatliche Teilzeit-und Befristungsgesetz ausgemacht.

Das leuchtete dem Bundesverwaltungsgericht nicht ein, Rn. 30 des Urteils, weil das staatliche Teilzeit-und Befristungsgesetz nicht Mindestanforderungen sozialer Sicherung garantiere.

2. Es betont vielmehr, die Eigenständigkeit kirchlicher Gerichte, wenn es unter Rn. 27, S. 12 ausführt:

"Wird nach Ausschöpfung des kirchlichen Rechtswegs das staatliche Gericht angerufen, so sind Gegenstand seiner Prüfung im Hinblick auf die Verletzung statlichen Rechts sowohl die Verwaltungsentscheidungen der Religionsgesellschaft als auch die Entscheidungen der innerkirchlichen Gerichte."

Mein vorläufiges Resümee:

Künftige Klagen unserer Pfarrer werden künftig von staatlichen Gerichten jedenfalls nicht mehr generell und von vornherein als unzulässig abgewiesen werden können.

Sie können künftig generell vor staatlichen Verwaltungsgerichten - nach Ausschöpfen des innerkirchlichen Rechtswegs - klagen, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Allerdings:

Erfolgreich dürften solche Klagen vor staatlichen Gerichten nur dann sein, wenn das jeweilige Kirchenrecht "fundamentale Prinzipien unseres Rechtsstaats" verletzt. Ihr merkt schon, dass die Hürden unklar und hoch sind.

Aber, liebe Freunde,

einen Hoffnungsschimmer sehe ich schon, wozu ihr wissen müsst, dass Juristen einerseits das materielle und andererseits das formelle Recht kennen. Das materielle Recht ist für Euch/uns im aktuellen Pfarrdienstgesetz verankert, fragwürdig genug. Auf der anderen Seite steht, ob dieses materielle Recht auch rechtskonform/formell richtig angewendet wird
( bspw. Anspruch auf rechtliches Gehör). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich anlässlich seines konkreten Falls nur mit der materiellen Rechtslage beschäftigt, beschäftigen müssen.

Will sagen:

Das Urteil des BVerwG ist schon ein Fortschritt, allerdings nicht der von uns erhoffte Durchbruch.

Euer

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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#7 von Joringel , 07.09.2014 14:27

Danke!
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RE: Die juristische Sensation ist ..nicht mehr...da

#8 von Achim , 08.09.2014 17:18

Na ja, Freunde,

ich lege noch einmal etwas nach:


Es gibt ein relativ junges staatliches (arbeitsrechtliches) Teilzeit- und Befristungsgesetz, mit dem der Gesetzgeber verhindern will, dass das im staatlichen Recht verankerte Kündigungsschutzgesetz von Arbeitgebern dadurch unterlaufen wird, dass Arbeitgeber, um sich möglichen Kündigungsschutzklagen zu entziehen, gar nicht erst unbefristete Arbeitsverträge abschließen, sondern stattdessen nur befristete Arbeitsverträge abschließen, die keiner Kündigung bedürfen und automatisch durch Zeitablauf enden.

Denn viele Arbeitgeber hatten mit ihren Arbeitnehmern nur befristete Verträge geschlossen, um nicht kündigen zu müssen und sich damit Kündigungsschutzklagen und damit häufig verbundene Abfindungszahlungen zu ersparen.

Um diesem Missbrauch befristeter Arbeitsverträge von Arbeitgebern entgegenzuwirken, hat der Staat das Teilzeit- und Befristungsgesetz geschaffen und dort die Möglichkeiten wirksamer Befristungen von Arbeitsverträgen stark eingeschränkt/kanalisiert. Stichwort: Saisonkräfte, für die eine Befristung nach wie vor möglich sein soll, Eisverkäufer. Es gibt dann dort auch noch weitere enge Ausnahmen, deren Darstellung ich mir jetzt erspare.

Das OVG Münster hat Sinn und Zweck dieses Gesetzes betont und gemeint, dass die doppelte/zweifache Befristung unseres Pfarrers mit diesem Gesetz nicht vereinbar sei, was sich hören lässt.

Das Bundesverwaltungsgericht schmettert das OVG Münster jedoch u. a. mit folgender Begründung ab:

Letzteres habe selbst erkannt, dass nur zu prüfen sei, ob kirchengerichtliche Entscheidungen "verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen sozialer Sicherung genügen". Das OVG Münster habe selbst das staatliche Teilzeit- und Befristungsgesetz nur als "Orientierungshilfe" herangezogen, - also nicht als sozialrechtliche Mindestanforderung. Es möge schon sein, lese ich aus dem Urteil, dass unserem Pfarrer zwar i.S.d. Teilzeit-und Befristungsgesetzes Unrecht geschehen sei, dies aber deshalb unerheblich sei, weil die Kirche gleichwohl verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen sozialer Sicherung genügt habe.

Habe meine Urteilsanalyse noch nicht abgeschlossen, kann aber tröstend auf Randnummer 12 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts verweisen, wo es heißt, dass der Senat "seine entgegenstehende Rechtsprechung" aufgibt, nämlich die vom 30.10.2002; BVerwG 2 C 23.01.

Kann nur heißen, dass sich künftig auch staatliche Verwaltungsgerichte mit Pfarrerklagen befassen werden, ohne sie von vornherein mangels Zuständigkeit als unzulässig abzubügeln.

Euer

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