Liebe Leserinnen und Leser des Forums!
Die Tatsache, dass der ehemalige Verfassungsrichter römisch-katholisch ist, erscheint mir in unserem Zusammenhang eine nicht ganz unwichtige Information zu sein.
Ich bin im Ganzen sehr ökumenisch eingestellt. Ich pflege ein gutes Miteinander zu meinen katholischen Amtsbrüdern. Und ich habe in den letzten Jahren immer wieder öffentliche Auftritte gemeinsam mit katholischen Kollegen gehabt. Die Bemühung um die Einheit des Leibes Christi ist mir ein selbstverständliches Anliegen.
Dazu gehört aber auch, dass wir zur Kenntnis nehmen, wie sehr die Römisch–katholische Kirche um ihr eigenes Selbstverständnis ringt und in Deutschland eine sehr schwierige interne Debatte führt um Grundsätze, die jahrhunderte lang als Selbstverständlichkeiten galten.
Deshalb müssen wir wohl festzustellen, dass die offizielle katholische Kirche kein Interesse an einer öffentlichen Debatte über den Artikel 140 unseres Grundgesetzes hat.
Darin ist ja geregelt, dass die Kirchen ihre internen Angelegenheiten selbstständig regeln können. Und das wird leider so verstanden, dass die Kirchen innerbetriebliche Gesetze beschließen und anwenden dürfen, mit denen sie ihren Mitarbeitern elementare Grundrechte wieder aberkennen können, die die Verfassung allen Staatsbürgerinnen und Staatbürgern zugesichert hat.
So wird in den evangelischen Kirchen begründet, dass der sogenannte „Ungedeihlichkeitsparagraf“ nach §§ 79 u 80 PfDG der EKD trotz großer Widersprüche zum Grundgesetz als verfassungsgemäß eingestuft wird. (Wir machen uns Gedanken darüber, ob es Zweck hat, dies noch einmal vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen):
Art 140 GG wird auch von der Römisch-katholischen Kirche herangezogen, um „Grundsätze“ ihres Dienstrechtes zu sichern, die in besonders gravierendem Masse die in den Artikeln 1 – 19 garantierten Grundrechte verletzen.
A) Die Regel, dass Frauen in der katholischen Kirche nicht geweihte Priesterinnen werden können, widerspricht ganz offensichtlich Art. 3 GG:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. …
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. …
B) Sicherlich sind die Grundrechte unserer Verfassung auch verletzt durch den katholischen Grundsatz, dass Männer nur dann einen Dienst als geweihte Priester ausüben dürfen, wenn sie auf Ehe und Familie verzichten. Das Pflicht-Zölibat als Voraussetzung für die Ausübung des Priesteramtes in der römisch-katholischen Kirche ist zumindest eine Nötigung, die Art. 1, Art. 2, Art. 3 Satz 3; und vielleicht auch Art. 12 GG widerspricht. Gewiefte Verfassungsrechtler können das sicherlich noch klarer begründen.
Wenn das Verfassungsgericht für die evangelischen Kirchen beschließen würde, dass § 79 und § 80 PfDG der EKD geändert werden müssen, weil sie den Grundrechten der Verfassung nicht entsprechen, dann könnten kritische Kräfte innerhalb der katholischen Kirche das gleich für die Frauenordination und für das Pflicht-Zölibat einklagen. Auch dagegen wäre dann Art 140 GG kein „Schutz“ mehr.
Ob der damalige Verfassungsrichter Di Fabio sich von solchen Gedanken hat leiten lassen, wissen wir natürlich nicht und wir dürfen das auch nicht unterstellen.
Die Interessenlage ist aber deutlich. Und wir haben inzwischen gemerkt, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung in unserem Lande immer auch von den Kräfteverhältnissen innerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mitbestimmt werden.
Die Wahl von Richter Di Fabio zum Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirates für das Reformationsjubiläum ist in diesem Sinne fatal. Sie entspricht aber vermutlich der vorherrschenden Meinung in unserer Kirche. Man will bei der EKD nicht, dass das anstehende Jubiläum zu einer Verschärfung der konfessionellen Gegensätze zwischen den christlichen Kirchen im Lande führt. Man wünscht sich, dass gelten kann: „Es gibt nur einen Gott. Im Grunde genommen wollen alle Kirchen das Gleiche. Die Christen im Lande halten zusammen, um gemeinsam ihre Position in einer zunehmend entkirchlichten Welt zu wahren.“
Dass uns gleichzeitig wichtige Inhalte der Reformation verloren gegehen, soll vermutlich bewusst nicht so sehr betont werden.
Ich vermute aber, dass die öffentliche Debatte darüber dennoch geführt werden wird, weil die Menschen im Lande kritisch genug sind.
Viele Grüße! Euer Turmfalke