Liebe Sunny!
Du hast vor einigen Tagen das Stichwort "Verzeihen" gebracht. Darauf möchte ich gerne noch einmal zurückkommen.
Ich unterscheide: Verzeihen - Vergeben - Versöhnen - Verheilen
"Verzeihen" bedeutet: "Eine Bezichtigung aufgeben" (Das ist ein ziemlich altmodisches Wort), will sagen: Die Kindergartenleitung hat dir vorgeworfen, du habest sie angerufen und sie mit Mord bedroht. Das konnte sie nicht beweisen. Deshalb wurdest du freigesprochen. Aber die Klägerin hat dann ihren Vorwurf dir gegenüber nicht wieder zurückgenommen. Verzeihen kann also nur sie: Sie müsste öffentlich aussprechen: "Ich behaupte nicht mehr, dass Sunny mich umbringen wollte". Glaubst du, dass sie das freiwillig tun würde?
"Vergeben" bedeutet: "Eine Schuld nicht mehr anrechnen". Die Voraussetzung dafür ist nach unserem christlichen Verständnis, dass der Schuldige seine Schuld einsieht und um "Entschuldigung" bittet. Streng genommen kann es ohne Schuldbekenntnis keine Vergebung geben. Deine Gegnerin muss um "Vergebung bitten". "Schwamm drüber" ist zu wenig. Du brauchst und du kannst also gar nicht vergeben, was die Gegenseite nicht vorher als Schuld bekannt hat.
"Versöhnen", darin steckt das Wort "Sühne", also eine konkrete Handlung zur "Wiedergutmachung". Die Schuldigen müssten im Grunde genommen den Schaden, den sie angerichtet haben, ausgleichen. Das ist leider immer nur zum Teil möglich. Ein Mörder kann sein Mordopfer nicht wieder lebendig machen. Aber er kann manches tun, das stellvertretend zum Ausgleich beiträgt. Das ist schwer. Die Verletzung, die du in deiner Seele erlitten hast, wird vielleicht noch lange schmerzhaft Teil deines Lebens bleiben.
Du sprachst mal von Entschädigung. Wie hoch sollte die denn ausfallen? Welche Geldzahlung könnte den entstandenen Schaden wieder gutmachen? Versteh mich nicht falsch: Ich möchte Dir nicht ausreden, eine Zahlung anzunehmen, wenn sie dir angeboten werden sollte. Aber es darf kein Feigenblatt sein, kein "Schweigegeld", um dich für die Zukunft ruhig zu stellen.
Versöhnung im vollen Sinne wäre erst dann gegeben, wenn die Mobbingtäter dir auf angemessene Weise die Möglichkeit geben würden, deine Verletzungen auszuheilen. Dann müssten sie dich wieder einsetzten in die Rechte, die du vorher gehabt hattest. Das wäre ein langsamer, mühsamer Prozess. Und es gäbe auch nur die Chance auf eine "Versöhnung" in diesem Sinne, wenn vorher zwischen den Mobbingtätern und dir "Verzeihung" und "Vergebung" stattgefunden hätte. Dazu müssten die anderen aber aktiv ihren Beitrag leisten.
Könntest du dir vorstellen, dass Du von Dir aus die Anderen dazu einlädst, diesen Weg mit Dir zu gehen? Würdest Du ihnen ein Angebot machen und versuchen zu beschreiben, wie für dich Versöhnung, also Wiedergutmachung des Schadens, aussehen müsste. Könntest du dir vorstellen, deinem Gegenüber in diesem Sinne eine "goldene Brücke zu bauen"? Und könntest du dir vorstellen, dass deine Gegner darauf in angemessener Weise eingehen würden? Es wäre ein Traum, wenn das passieren würde. Ich bin aber skeptisch.
Oder die Personen, die dir Böses angetan haben, müssten ihre Positionen räumen, und die Kirche als Arbeitgeber müsste stellvertretend Versöhnung zwischen dir und der Institution Kirche ermöglichen, indem sie andere unbelastete Leute an die Stelle der Täter setzt. Aber glaubst du noch daran?
Oder geht es Dir um "Rache"? Willst du die Anderen bestraft sehen um der Strafe willen. Das wäre vielleicht gerecht, aber es würde dir nicht helfen. An Rache glaube ich nicht. Sie schafft nur immer neues Leid.
Es gibt aber noch einen anderen Weg. Es muss für dich einen Ausweg geben, wenn Dir all die anderen Wege, die ich beschrieben habe, versagt bleiben:
"Verheilung". Vielleicht kann deine Wunde doch einmal "heilen". Die Frage ist doch: Wie kann es weitergehen für jemanden, dem Versöhnung verwehrt bleibt? Wenn man alles versucht hat und die Hoffnung aufgeben muss, dass man mit dem Gegner Frieden finden kann, dann muss "Heilung" auch auf andere Weise möglich werden können. Dafür gibt es mehrere Voraussetzungen:
Ruhe: Eine Wunde braucht Ruhe, um zu heilen. Wenn man sie immer wieder anrührt, wenn man sie nicht zur Ruhe kommen lässt, dann bricht sie wieder auf und blutet von neuem.
Abstand: Auch deine bisherigen Gegner dürfen nicht immer neu die Chance bekommen, den Schmerz in dir wieder neu aufzurühren. Wie es dir gelingen kann, dich davor zu schützen, musst du ausprobieren.
Geduld: Eine Heilung ist ein Prozess. Es dauert eine Zeitlang bis die Wunde verheilt ist. Dafür ist es nötig, Geduld zu lernen.
Innere Unabhängigkeit: Mobbing ist ein Angriff auf das Selbstwertgefühl eines Menschen. Die Täter versuchen, ihrem Opfer die Selbstachtung zu nehmen. Das dürfen sie nicht. Du darfst ihnen aber auch nicht mehr die Gelegenheit dazu bieten. Also glaube den Angreifern nicht, wenn sie behaupten: "Du bist nichts wert!" Sie lügen! Als Christ kann ich sagen: "Ich glaube, dass Gott zu mir gesagt hat: `Du bist mein geliebtes Kind´. Ich halte deshalb für mich fest: `Niemand darf mir absprechen, dass ich von Gott geliebt bin´. Wenn Dir diese Formulierung zu fromm ist, dann kannst du es auch mit den Worten des Grundgesetzes sagen: Für dich gilt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Niemand darf behaupten, dass es anders sei! Trotz oder gerade wegen der Geschichte, die Dir passiert ist, darfst du mit aufrechtem Gang weiter durchs Leben gehen.
Eine neue Gemeinschaft: Niemand kann sich diese gute Botschaft selber sagen. Du brauchst Menschen, die dich bestätigen, damit du ein neues Selbstwertgefühl wieder lernen kannst.
Einen neuen Lebensinhalt: Man braucht einen Grund, für den es sich lohnt, jeden Morgen aus dem Bett aufzustehen. Man muss wissen, wofür es sich lohnt zu leben. Und da wir Menschen von Gott viele verschiedene Fähigkeiten mitbekommen haben, brauchen wir Gelegenheit, um diese Gaben auszuprobieren und zu üben. Es ist die schönste Bestätigung, wenn du dir dann anschaust, was du gemacht hast, und sagen kannst: "Das habe ich hinbekommen!"
Liebe Sunny! Ich glaube, Heilung ist möglich! Was ich hier aufgeschrieben habe, ist vielleicht so etwas wie ein Wegweiser. Den Weg gehen, musst Du aber selber!
Viele Grüße!
Turmfalke