Liebe Sunny!
Erst nach langer Pause finde ich die Spannkraft, Dir zu antworten:
Es ist gut, dass Du geschrieben hast und uns gesagt hast, dass du mitdenkst. Das ist nicht selbstverständlich, gerade ich diesen schwierigen Zeiten.
Ich erlebe in meinem direkten Umfeld beides: Bei den einen besonders große Aufmerksamkeit und Herzlichkeit, aber bei manchen Menschen auch Blockaden, die nur schwer auszuhalten sind. Es scheint mir so, als ob manche Leute von der Fülle der schlechten Nachrichten überrollt werden und deshalb hart und stumpf werden oder auf besondere Weise aufgeregt. Vielleicht ist es nötig, dass wir uns einfach darauf einzustellen.
Sunny! Du erweiterst mein Gebet, das ich auf der ersten Seite vorgeschlagen habe mit diesen Worten:
"... ich denke mit dir an die Corona Kranken und alle, die in ihrer Existenz bedroht sind."
Damit hast Du natürlich Recht! Und je länger die öffentliche "Kontaktsperre" für uns alle geht, wird deutlich, dass es bei aller dringenden Berechtigung für die öffentlich angeordnete Maßnahme auch schwere Nebenwirkungen gibt, die nur schwer erträglich sind.
Deshalb erweitere ich mein Gebet:
"Wir beten für alle, die in diesen Tagen unter Einsamkeit leiden, weil ein persönliches Treffen mit lieben und vertrauten Menschen nicht möglich ist, da die medizinischen Sicherheitsmaßnamen dies erfordern.
Wir beten für alle, die unter der Kontaktsperre besonders leiden, weil sie keine Möglichkeit haben, sich zu schützen, weil sie keine Wohnung haben, oder weil die Hilfestellung, die sei vorher immer bekommen haben, nun wegbricht.
Wir beten für alle, die in Not geraten, weil sie in zu kleinen Wohnungen mit zu vielen Menschen auf zu engem Raum zusammenleben müssen.
Wir beten für alle, die in diesen Tagen und Wochen in unserem Land nicht arbeiten dürfen und die deshalb kein persönliches Einkommen mehr haben.
Wir beten für alle, die in den kleinen und großen Firmen die Verantwortung dafür haben, dass unsere Gesellschaft auch wirtschaftlich stabil bleibt.
Wir beten für die Menschen in ärmeren Ländern, die dort noch härter von der weltweiten Epedemie betroffen sind als wir bei uns.
Besonders denken wir an die Menschen, die schon vorher vor Krieg und Hunger auf der Flucht waren und zu denen nun aufgrund von Sicherheitsbedenken keine Hilfe mehr gelangen kann.
Wir beten dafür, dass wir die Hoffnung und Zuversicht nicht verlieren, die nötig sein wird, damit wir die Schäden, die durch die Kontaktsperre bei uns entstehen, einmal wieder ausgleichen können.
Dies bitten wir im Namen Jesu Christi, von dem wir glauben, dass er durch sein eigenes Leiden und durch seinen Tod am Kreuz den Schmerz der Welt mitgetragen hat, - der aber durch seine Auferstehung von den Toten für uns einen Blick zum Himmel eröffnet hat - und der uns dadurch auch einen neuen zuversichtlichen Blick auf diese Welt hier ermöglichen kann.
Amen!
Sunny! Du schreibst sehr ehrlich: "Auch wenn ich zwar nicht mehr beten kann, weil ich den Glauben verloren habe, denke ich mit dir ... ."
Ich kann dich verstehen. Aber lass mich es einmal anders sagen:
Beten ist nicht so wie Wunschzettel schreiben. Sonst sind wir allzu leicht enttäuscht, wenn wir nicht bekommen, was wir uns gewünscht haben.
Beten ist auch kein heiliger, überirdischer Zustand der Glückseligkeit fern der Realität, die wir täglich erleben.
Ich erlebe Beten vielmehr wie ein Teilstück der inneren Auseinandersetzung, die wir täglich zu bewältigen haben. Da gehören Schmerz, Trauer und Wut mitten ins Gebet hinein. Auch schwierige Empfindungen und bohrende Fragen sind im Gebet "erlaubt".
Der Unterschied zwischen Beten und ernsthaftem Nachdenken ist nur, dass man beim Beten ein Gegenüber hat, jemanden der einem zuhört und der wohl auch versteht.
Als Vorbild und Anleitung zum Beten finde ich eine Hilfestellung bei den Psalmen der Bibel. Dabei ist es mir ein Trost, dass schon seit 3000 Jahren durch alle Generationen hindurch Menschen mit diesen Worten gebetet haben. Hier einige Beispiele, zitiert nach der aktuellen Lutherbibel 2017:
Psalm 61, 2 - 3
2 Höre, Gott, mein Schreien - und merke auf mein Gebet!
3 Vom Ende der Erde rufe ich zu dir, denn mein Herz ist in Angst;
Psalm 42, 10 - 11
10 Ich sage zu Gott, meinem Fels: - Warum hast du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?
11 Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, / wenn mich meine Feinde schmähen
und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?
Psalm 88
5 Ich bin denen gleich geachtet, die in die Grube fahren -
ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat.
6 Ich liege unter den Toten verlassen, - wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen,
derer du nicht mehr gedenkst und die von deiner Hand geschieden sind.
Aber dann gibt es auch Verse wie diese, in denen deutlich wird, dass ein Beter durch den Schmerz hindurch doch wieder zu neuem Lebensmut gefunden hat.
Psalm 34
19 Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind,
und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.
20 Der Gerechte muss viel leiden, - aber aus alledem hilft ihm der HERR.
Psalm 103
8 Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Psalm 139
5 Von allen Seiten umgibst du mich - und hältst deine Hand über mir.
6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, - ich kann sie nicht begreifen.
...
9 Nähme ich Flügel der Morgenröte - und bliebe am äußersten Meer,
10 so würde auch dort deine Hand mich führen - und deine Rechte mich halten.
Psalm 42
12 Was betrübst du dich, meine Seele, - und bist so unruhig in mir?
Warte auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Ob sich die hier beschriebene Richtungsänderung im Herzen bei einem selber einstellt, kann man allerdings nicht vorhersagen. Für mich selber kann ich nur sagen: Ich bleib dran!
Ich wünsche Dir, Sunny, und allen, die hier mitlesen, Bewahrung in unserer großen weltweiten Krise!
Bleibt alle gesund!
Euer Turmfalke