lass dich nicht verhärten

#1 von turmfalke , 10.10.2019 18:46

Hallo Forumsgemeinde!

Diese Tage, als ich wieder einmal eine Mobbing-Atacke von meinem Arbeitgeber abgekriegt hatte und es mir nicht gut ging, da fand ich dieses Gedicht von Wolf Biermann wieder. Der alte Bürgerrechtler macht mir neuen Mut, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Und dann sehe ich aus dem Fenster die junge Birke die vor meinem Haus gewachsen ist, ohne dass sie dort jemand hingepflanzt hätte. Sie biegt sich im Wind- aber sie bricht nicht und steht wieder auf sobald der Sturm nachlässt: Sie macht es mir vor:

1) Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich, und brechen ab sogleich.

2) Du, lass dich nicht verbittern in dieser bittern Zeit.
Die Herrschenden erzittern – sitzt du erst hinter Gittern –
doch nicht vor deinem Leid, doch nicht vor deinem Leid.

3) Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit.
Das wollen sie doch bezwecken, dass wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit, schon vor dem großen Streit.

4) Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen, du brauchst uns und wir brauchen
g´rad deine Heiterkeit, g´rad deine Heiterkeit.

5) Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweige-Zeit:
Das Grün bricht aus den Zweigen, wir woll´n das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid, dann wissen sie Bescheid.

T.+ M. Wolf Biermann, 1974,
Liedermacher und Bürgerrechtler in der DDR, ausgewiesen in die BRD 1976.


Hörenswert ist auch der Originalmitschnitt bei you tube von einem Konzert, in dem Biermann selbst zur Gitarre sein Lied singt unter dem Titel: Ermutigung

Würd´ mich interessieren, was ihr für Erfahrungen mit diesem Lied habt. Und was euch sonst noch den Mut gibt, um wieder aufzustehen.

Grüße vom Turmfalken


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RE: lass dich nicht verhärten

#2 von turmfalke , 15.10.2019 19:57

Liebe Leserinnen und Leser des Forums!

Jemand fragte mich diese Tage, ob ich beschreiben könnte, was es mit der neuen Mobbing-Atacke auf sich hat. Leider kann ich nicht so offen schreiben, wie ich es wollte, weil dann meine Gegener erkennen können, wer sich hinter dem Forumsnamen Turmfalke verbirgt. Das wäre ungünstig.

Aber nur soviel. Man kann dem nicht entfliehen, wenn Vorgesetzte einmal ein Urteil über einen gefällt haben. Es kommt auch nach jahren wieder durch. Es spielt dabei keine Rolle, ob sie sich eigentlich richtig informiert haben oder nicht. Besonders schlecht ist es, wenn Leute aus den oberen Etagen einer Kirchenleitung sich erst einmal einem gegenüber ins Unrecht gesetzt haben. Sie müssen weiter mobben und versuchen einzuschüchtern, damit nicht bekannt wird, was sie getan haben. Leider gibt es in einem Dienstverhältnis immer Leute, die haben die Macht, und andere, die sind von ihnen abhängig.

So bleibt einem nichts anderes übrig, als sich innerlich unabhängig zu machen.

Eine liebe Freundin schrieb mir neulich und wies mich hin auf ein Zitat aus Psalm 92. Das möchte ich gerne an euch weitergeben:


Psalm 92 (Lutherbibel)

12 Mit Freude sieht mein Auge auf meine Feinde herab und hört mein Ohr von den Boshaften, die sich gegen mich erheben.
13 Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon.
14 Die gepflanzt sind im Hause des HERRN, werden in den Vorhöfen unsres Gottes grünen.
15 Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein,
16 dass sie verkündigen, dass der HERR gerecht ist; er ist mein Fels und kein Unrecht ist an ihm.

Herabsehen möchte ich eigentlich auf niemanden. Das wäre auch nicht gerade vorbildlich.

Aber meine Freude möchte ich trotz allem behalten, Freude darüber, dass der HERR mich ansieht wie einen Gerechten. ( Auch dann immer noch, wenn mein Leben nicht ohne Fehler war. Man nennt es in der Bibel auch Gnade oder Freundlichkeit Gottes)

Mit dieser Freude brauche ich mir vielleicht die Mobbingatacken nicht so zu Herzen zu nehmen.

Viele Grüße!

Turmfalke


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RE: lass dich nicht verhärten

#3 von Klabautermann , 27.10.2019 19:31

Lieber Turmfalke!
Du schreibst: "Man kann dem nicht entfliehen, wenn Vorgesetzte einmal ein Urteil über einen gefällt haben." Das ist sicher richtig so. Das ist wohl die heutige protestantische Variante des Unfehlbarkeitsdogmas der kath. Kirche. Roma locuta, res finita. Wenn eine Entscheidung einmal gefällt ist (im Kolosseum der vom Imperator nach unten zeigende Daumen), dann wird sie mit allen nachfolgenden Konsequenzen durchgezogen. Da bleibt dann nur, wie Du ganz richtig schreibst, die Notwendigkeit, sich nicht verhärten zu lassen, nicht Schaden an der eigenen Seele zu nehmen. Ethisch bedeutsam finde auch ich es, "wenn Leute aus den oberen Etagen einer Kirchenleitung sich erst einmal einem gegenüber ins Unrecht gesetzt haben. Sie müssen weiter mobben und versuchen einzuschüchtern, damit nicht bekannt wird, was sie getan haben." Gut formuliert! Der Glaubenssatz "Er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten!" schreckt einige Leute, die in diesen Etagen arbeiten, offensichtlich gar nicht ab: Die oberste Maxime ist eben nicht (wie bei Luther) die Frage: "Wie bekommme ich einen gnädigen Gott?", sondern vielmehr der allzumenschliche Wunsch und das letztlich armselige Unterfangen, vor den jetzt lebenden Zeitgenossen als aufrecht, als treu der bisherigen Einschätzung dazustehen frei nach dem Motto: Je mehr Verantwortung ich trage, umso mehr muss ich bereit sein, auch unangenehme Entscheidungen zu fällen. Da ist dann kein Raum, die eigene Entscheidung zu revidieren; eben nicht "variatio delectat". Es gibt keine Variationen und keine Veränderungen. Wenn ein hochedles Gremium eine Entscheidung gefällt hat, dann kann sie nicht verkehrt sein. Auch nicht, wenn es eine juristisch ganz schwache Beschlussvorlage des juristischen Referates gegeben hat. O.k.; nach 50 Jahren kann man dann so was ablassen wie vielleicht ein "Stuttgarter Schuldbekennntnis". Da gibt es dann eine - wieder von oben - verordnete General-Reue und ein paar Krokodilstränen. Aber so etwas versucht man natürlich erst einmal versuchen zu vermeiden: durch Mobbing nun auch von oben und durch Einschüchterung, damit der gute Ruf des edlen Gremiums nicht leidet. Schließliich muss es doch so bleiben: Je höher der Rang, umso höher muss auch das Ansehen sein. Das ist auch so etwas wie ein Dogma, was sakrosankt ist: Die kleine Angestellte oder der Pfarrer, das kann doch nur einer/eine sein, der was falsch gemacht hat. Oben wird natürlich immer richtig gehandelt, weil die Oberen ja den vorgeblichen Überblick haben und gar nicht falsch handeln können. Es sind die Gutmenschen, die qua Amt und Ansehen immer richtig liegen. Whistleblower, also Menschen, die auf Mißstände hinweisen, sind zu eliminieren. Sie stören das System. Womit wir bei der nicht neuen Erkenntnis angelangt wären, dass ein jedes System starke Selbsterhaltungskräfte hat, die den status quo beibehalten wollen. Ein Luther kann also nur stören und muss dransaliert werden. Doch, lieber Turmfalke, Du zitierst ja zu Recht auch die letzte Strophe von Biermanns Lied: "Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweige-Zeit: Das Grün bricht aus den Zweigen, wir woll´n das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid, dann wissen sie Bescheid." Ein jedes System, was sich aufrecht erhält durch Machtmißbrauch, durch Mobbing und seelische (ganz zu schweigen von körperlicher) Mißhandlung von Mitarbeitern, wird irgendwann zusammenbrechen. Das sagt uns auch Jesus im Matthäus-Evangelium, Kapitel 23: "Auf des Mose Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer...aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun....Alle ihre Werke tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden....Sie sitzen gerne obenan bei Tisch und in den Synagogen und haben's gerne, dass sie gegrüßt werden auf dem Markt.....Euch Schriftgelehrten und Pharisäern wird es schlimm ergehen. Ihr Heuchler! Ihr seid wie weiß getünchte Gräber: mit einer sauberen, ordentlichen Außenseite, doch innen voller Gebeine und Schmutz. Ihr gebt euch den Anschein rechtschaffener Leute, doch euer Herz ist voller Heuchelei und Gesetzesverachtung (Schluss aus der "Neues Leben"-Übersetzung). Gottes Wille gegenüber dem Zusammenleben der Menschen (und das bedeutet natürlich auch das Funktionieren von System, die doch den Menschen dienen sollen) ist nicht neu, muss aber immer wieder gesagt werden: "Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach!" (Amos 5,24). Daran müssen wir alle uns messen lassen, denn "er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten!"

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