Gnade in der Rechtssprechung

#1 von Joringel , 24.01.2018 09:29

Im Feuilleton der SDZ vom 21./22.01. finden sich zwei konträre Meinungen zu der Frage, ober der sechsundneunzigjährige Naziverbrecher Oskar Gröning noch ins Gefängnis soll oder ob das Gericht seinem Gnadengesuch hätte stattgeben sollen. Im Rahmen seiner Argumentation hat sich der Journalist Heribert Prantl intensiv mit der Gnade in der Rechtssprechung beschäftigt. Ich zitiere das Wesentliche:

"Gröning ist milde bestraft worden, vier Jahre Haft. Eigentlich wäre schon bei einem einzelnen Mord lebenslange Strafe geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber bei außergewönlichen Umständen mildere Strafen zugelassen; wenn ungeheur lange zeit zwischen Tat und Ahndung liegen, ist das so ein Umstand. Es handelt sich dann um die gnade des späten Urteils - die es aber nur geben kann, wenn die Schuld festgestellt ist. Gnade gibt es nicht auf Vorrat, nicht auf Verdacht, nicht über den Daumen gepeilt. Gnade ist kein Schwamm drüber. Gnade kann und darf einem Beschuldigten nicht quasi für Nichts angeboten werden - also nicht ohne Geständnis , nicht ohne Reue. Gnade ist kein Blankoscheck, der ohne Ansehen der Person und Tat einfach des Zeitablaufs wegen ausgestellt werden kann. Gnade ist gnädig, aber nicht blind. Das milde Urteil gegen Gröning war ein Akt der Gnade im Rahmen des Rechts, im Rahmen der Rationalität.
Ein Verzicht auf Strafvollstreckung allein des hohen Alters des Täters wegen hätte mit Rationalität nichts mehr zu tun. Gnade steht außerhalb der Ratio, sie kommt aus einer Zeit, in der keine rechtsstaatlichen Strukturen existierten und die Macht angeblich von Gottes Gnaden verliehen war. Sie war ein Akt autoritärer Willkür. Dieser Wurzel wegen das "Gnadenrecht" bisweilen als Fremdkörper im Rechtsstaat. Es gibt aber in Rechtsstaaten Gesetze und Kriterien für die Ausübung der Gnade. Sie geht hier nicht vor Recht, sondern nach Recht - es gibt Gnade nur nach den Urteilen. Gnade ist dann nicht ein Widerruf der Schuldfeststellung und der Strafe, sondern ein Akt der Menschlichkeit von Staats wegen. Sie befreit von dem Zwang, nach dem A auch unbedingt B sagen zu müssen. Sie ist in Ihrem Wesen Souveranität, nicht Schwäche. Es wäre ein Akt der Menschlichkeit, an einem Greis kein strafvollstreckendes Exempel zu statuieren - auch dann nicht, wenn dieser Greis Täter oder Helfer b ei einem Menschheitsverbrechen war.
Gnade ist Verschonung, nicht Vergebung. Die Macht der Vergebung ist keiner Behörde, sie ist keinem Gericht gegeben. Vergebung ist kein staatlicher Akt, sie kann ein tief innerliches Geschehen zwischen Opfer und Täter sein. Die Zeugin Eva Mozes Kor, Überlebende von Auschwitz, hat im Strafprozess dem Angeklagten Gröning die Hand gereicht. Der Staat kann das nicht. Er kann nur gnädig sein.
Gnade ist staatliche Barmherzigkeit. Das Recht braucht solche Gnade. Recht ohne Gnade wird tödlich. Gnade ohne Rec
ht wird gleichgültig. Der Tod eines Verbrechers beendet jedes Strafverfahren, so gebietet es das Recht. Die Gnade ruft leise danach, im Angesicht des todes auf Strafvollstreckung zu verzichten."

Sein Beitrag ist insgesamt ein abwägender Beitrag für die Gewährung der Gnade nach diesem Prozess. Wir wissen aber, dass das Gericht das Gnadengesuch abgelehnt hat.


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