Leipzig im Licht mit dunklen Schatten
vor 25 Jahren haben wir laut überlegt: wie wird es wohl in 5, 10 oder 20Jahren sein?
Was werden wir davon haben, daß wir montags um den Ring gelaufen sind, um zu
rufen: WIR SIND DAS VOLK!“
Vielleicht sind wir arbeitslos?, hieß es durchaus. An arbeitslos UND krank, an arbeitslos
UND ausgegrenzt, an arbeitslos UND gedemütigt, hat man da noch nicht gedacht.
Und man wollte nicht denken, was man in der Schule gelernt hat: Diktatur des Kapitalismus in der Demokratie, was diese zunichte macht.
Ich habe mich vor 25 Jahren von der Geschlossenheit um den Ring auch beeindrucken lassen. Es war gewaltig und unfassbar: man horchte auf „Was ist das?“ fragte ich vorm Hauptbahnhof jemanden neben mir. „Na, das sind sie!“
Es war eine ferne noch nie gehörte Geräuschwelle, die Schritt für Schritt lauter und dann
inhaltlich verstanden wurde: WIR SIND DAS VOLK! tönte es aus der Ferne vom Augustusplatz.
In der Kurve zur Paralelle zum Hbf eine skandierende Formation von 10Tausenden, die innen stampften auf der Stelle und die nach außen machten ihre Schritte nach und nach größer bis alle wieder auf Linie standen und in der ersten Reihe Arm in Arm das Tempo nach vorn bestimmten mit ihren Kerzen in den Händen oder den Plakaten.
Ein unglaublicher Zug. Rufe wie aus einem Munde. Um mich herum Polizisten wie vor einem riesigen Schaufenster, in das man nicht hineingreifen kann.
Wir standen staunend und ohne Worte.
Gefeiert habe ich damals nicht und morgen werde ich es auch nicht tun, wenn man Leipzig
wieder ins Licht taucht.
Eins werde ich aber machen: ich gehe ins URLICHT. Das brennt in der alten Hauptpost am Augustusplatz. Dort hat Helge Hommes mit Leipzigern in vielen Wochen Arbeit aus allem, was man Schrauben kann Kunst gezimmert über 2 Stockwerke hinweg. Meine 11 alten Türen sind auch verarbeitet. Ich habe sie schon im Fernsehen wieder erkannt als sie noch nicht weiß gepinselt waren. Als wir sie hin brachten, wurden wir gleich in gesellschaftskritische Diskussionen verwickelt:“ wofür würden wir heute marschieren? Warum demonstrieren wir nicht gegen all das Unrecht? Wo ist die Kraft zum Veränderungswillen? Warum schmeißen wir sie nicht raus aus den Ämtern? Wie kommt es zu dieser Agonie, zu diesen Depressionen, zu dieser Angst? Wo ist die Einigkeit, das Recht, die Freiheit? .....“
Die Lage wurde im Schnelldurchlauf analysiert. Auch dort. Aber nicht genug. Wie iimmer.
Nicht mit dem Willen zur Tat . Nicht mit Hoffnung. Ohne Vision und guten Glauben.
Wer morgen und in den nächsten Wochen dort hin geht, den lädt der Künstler ein zur Besinnung und zum Nachdenken über die Misere. Man kann seine Botschaften aufschreiben und einwerfen in die extra dafür eingerichteten „Astlöcher“ des Riesenbaumstammes bis zum Dach.
Der Künstler will nicht nur Bewunderung fürs Werk, er wills wissen, wem wir heimleuchten
wollen.
Und ich will jetzt wissen, was die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „LASST EUCH NICHT HINTERS LICHT FÜHREN“ ist?
WGM grüßt die Aufstehenden
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Liebe WGM!
Im Urlaub in einer norddeutschen Kleinstadt habe ich an einer " Nachwächterführung" teilgenommen. Da wurde uns erklärt: Es gab früher keine Strassenbeleuchtung. Das einzige Licht auf der Strasse war die Laterne in der Hand des Nachwächters. Die Leute feierten gerne in der Kneipe und tranken dabei auch mal einen über den Durst. Es war aber um 10 00 Uhr Abends Sperrstunde angesagt. Wer dann nicht nach Hause wollte, dem hat der Nachtwächter "heimgeleuchtet", d.h. er hat ihn mit der Laterne zwangsweise nach hause geführt. Das war nicht beliebt. Deshalb hat man den Nachtwächter wohl auch mal " Du Armleuchter!" genannt. Wer aber schon zu betrunken war, der merkte nicht, wenn der Nachtwächter ihn mit List auf den Weg lockte. Wenn er erst mal auf der Strasse war, blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzukommen, denn es war in der Stadt dunkel und er war wegen seinem Bierkonsum schon so orientierungslos, dass er seinen Weg alleine nicht mehr finden konnte. Dann erst merkte er, dass man ihn "hinters Licht geführt hatte".
Ist es das was Du meinst? Fühlst Du dich hinters Licht geführt durch Leute, die vor 25 Jahren Freiheit, Wohlstand und gutes Leben versprochen haben? Als Wessi kann ich nur sagen, dass wir immer gewußt haben, dass das Leben in der Bundesrepublik nicht das Paradies ist.
Es gab im Westen in den 70 und 80 er Jahren aber auch gerade bei der jüngeren Generation viele Menschen, die aus Überzeugung sozialistisch dachten und glaubten, man könne Freiheit und Gleichheit durch eine " kommunistische" Revolution herstellen. Diese linke Illusion im Westen brach dann zusammen, als man vom Osten her die Mauer einriss.
Wir müssen wohl weiterhin wachsam sein und aufpassen, dass wir nicht hinters Licht geführt werden, von wem auch immer. Es braucht weiterhin wache, mündige und kritische Bürger, die sich gemeinsam für gute Lebensverhältnisse einsetzen.
Dein Turmfalke
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Danke für das Link zur Tageschau! Ich habe das gestern versäumt. Recht hat der Kommentator. Es bleibt aber ungesagt, was die Rolle der Christen als kritische Zeitgenossen in unser so säkularen Gesellschaft sein sollte. Gruß! Turmfalke
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In der Zeitschrift: "Publik - Forum" (letzte Ausgabe) finde ich ein Interview mit einem jungen Mann aus Brandenburg sehr interessant bezüglich der Geschehnisse Oktober /November 1989
"Die Revolution hat sich (noch ) nicht erledigt. Wir brauchen wieder eine Revolution. "
Stimmt. Die Demokratie wird an verschiedenen Stellen langsam ausgehebelt.
Als die HARTZ Gesetze eingeführt werden sollten, ging es wieder hoch her auf den Straßen Leipzig . Es waren tausende damals auf Leipzigs Straßen und demonstrierten- wochenlang, mein Mann und ich waren mit dabei.
Hartz wurde eingeführt!!!
azalee
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Danke liebe Azalee!
Aushebelung der Demokratie ist das Stichwort! Ich habe heute auf der Strasse bei einer Bürgerinitiative unterschrieben: "Stop TTIP" . Sie wollen europaweit 1 Millionen Unterschriften sammeln gegen das im Geheimen verhandelte Abkommen zwischen Europa und den USA, bei dem dann amerikanische Rechte und Gepflogenheiten bei uns Standart werden. Die bei uns immer noch mögliche demokratische Kontrolle würde dann zugunsten der Konzerne ausgehebelt.
www.stop-ttip.org
Wir dürfen uns von der EU-Kommission nicht " hinters Licht führen" lassen.
Hat mit unserem eigentlichen Thema bei David nichts zu tun. Ist mir aber auch wichtig.
Gruß! Turmfalke
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Lieber Turmfalke, liebe Leser,
Deine Beschreibung hat meine Erinnung geweckt: ich habe schon mal einen kleinen Film gesehen, der dieses Sprichwort in Szene gesetzt hat. Läßt sich ja auch gut darstellen.
Ansonsten gehöre ich zu den vielen, die damals den Versprechen von Freiheit, Wohlstand und gutem Leben nicht geglaubt haben.
Schon garnicht Kohls Worte von den blühenden Landschaften. Dafür haben viele Erlebnisse gesorgt von Kindesbeinen an,
aber auch Geschichts- und Stabülehrer Hölzel mit seinen drastischen Schilderungen der Misstände im Kapitalismus.
Woher der das nur wußte? Er muß wohl auch Westfernsehen gehabt haben. Wir konnten durchaus streiten und widersprechen, es wurde diskutiert, aber es dämmerte schon, daß auch was dran ist.
Und dann hat Mama immer in Richtung Westverwandtschaft erzogen:
Westverwandte sind wichtig, die leugnet man nicht, auch wenn man Nachteile davon hat. Man hatte.
Und später als Studenten im engen und häufigen Kontakt
mit Westlern hat man noch mehr Wahrheiten erfahren als von den Verwandten
und Abgehauenen, die doch ein bißchen mehr ein Interesse hatten mehr rosig darzustellen als es war,
um zu zeigen, daß sie auf die bessere Seite geraten waren. Daß es nicht das Paradies sein konnte und absehbar nicht werden würde, wußten wir auch. Die Dresdner vielleicht nicht so , weil sie doch keine Antennen für den Westempfang hatten . -?
Es ging aber auch den Demonstranten kaum ums Paradies. Es ist vielen gegangen wie mir:
dieses furchtbare marode, diese zerfallenden Städte und Wohnungen. Dieser arge Gestank, die dicke Luft in Weissenfels, Leuna und Bitterfeld...
Ich habe jeden Familienvater verstanden, der verzweifelte, daß er seiner Familie keine anständigen , gesunden Lebensräume erwirtschaften konnte.
Und diese unerträgliche Lügerei , diese penetrante Dummheit in den obersten Reihen.
Es war für alle Augen sichtbar, was da für Gallionsfiguren standen und man hatte sie satt. Die Unfähigkeit ließ sich nicht mehr verstecken. Man fühlte sich selbst unwürdig unter solchen Führern. Es ging schlicht um Besserung.
Die Unterschiede zum Westlichen waren deutlich und in diese Richtung sollte es gehen, ohne allem zu glauben,
was einem da vorgeführt wurde. Mit der 1 zu 1 Übernahme aller Werte und Ordnungen waren viele nicht einverstanden,
aber dann begann der Wagen zu rollen und war nicht mehr zu stoppen.
Es war auch kaum zu verhindern, wer da alles aufsprang und noch heute gemütlich und geschützt mitfährt und steuert.
Was sich seit dem rasant entwickelt ist die Brutalität des Kapitalismus.
Das übersteigt m.E. auch die früheren westlichen Erfahrungen an vielen Stellen.
Ganz gezielt setzt man rechtsstaatliche Instrumente ein, um immer mehr Opfer zu schaffen, mit Gesetzeskonstrukten ruiniert man Bürger.
Selbst, wenn so einigermaßen durchschaut wird, was die Gewählten und ihre Funktionäre da so treiben,
fällt eher die Entscheidung , sich dem zu beugen, weil man ja n o c h mithalten kann.
Das fällt leichter, als diese Lichter auszublasen und sich zu solidarisieren. Es ist immer noch die Feigheit, die regiert. Es ist bequemer, sich blenden zu lassen und Nutznieser bleiben zu können und dabei andere auszugrenzen.
Wachsam sein allein reicht längst nicht mehr. Wir haben Leben zu retten und sofort zu handeln.
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Hallo Turmfalke,
Du sprichst die Rolle der Christen an. Erster Ratgeber ist wohl der Herr selber.
Allerdings führt Franziskus einiges vor an Haltung und von evangelischer Seite hat Nikolaus Schneider
vor einiger Zeit etwas gesagt, was ich unterstreiche und viele Jahre selber mehr und jetzt weniger praktiziert habe:
die Ausgegrenzten, Armgemachten, Kranken, Schwachen, Beladenen suchen und aufsuchen.
Das muß die Rolle der Kirche sein, sagte N. Schneider. Leider wurde diese Botschaft nicht vervielfältigt.
All die Satten konfrontieren sich nicht mit dem Leid, sondern machen einen Bogen darum.
Würden sie dem nahe kommen, wäre ein Richtungswechsel denkbarer.
In Leipzig war man weit davon entfernt, sich der heutigen Ungerechtigkeiten anzunehmen als Aufgabe, sie zu beseitigen.
Als Schlimmstes empfand ich das ausgeprägte Verschweigen heutiger Not und Unterdrückung.
Wie recht er doch hat, der einsame Wanderer mit seinem Plakat.
Herr, keine Lügner mehr in kirchlichen und staatlichen Reihen. Keine Lügner mehr unter Christen.
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Hallo, Forum, Nikolaus Schneider war nach meinem Wissenstand Ende der 90-er Jahre in einen der schlimmsten Mobbingfälle in EKiR verwickelt, von dem ich je gehört habe. Zumindest hat er als oberster Chef der EKiR davon gewußt. Der betroffene Pfarrer wurde 11 x psychiatrisch untersucht, zum Teil auf eigene Initiative und eigene Kosten, um die angeordneten Gutachten zu entkräften. Es ging bis Hannover und alle Unterstützer hofften, dass der Betroffene mit dem hervorragend dokumentierten Material nach einem mutmaßlich verlorenem Prozess vor dem obersten Kirchengericht zum Bundesgerichtshof gehen könnte. Doch er entschied sich zur Enttäuschung seiner Unterstützer für einen Vergleich, da er nicht mehr konnte und krank wurde. Wenn ich mich richtig erinnere, dauerte sein Kampf 5 Jahre. Seine halbwüchsigen Kinder lebten bei den Großeltern, denn man drohte ihm: "Entweder holt die Polizei Sie ab oder wir bringen Sie in die Psychiatrie." Und er wollte nicht, dass seine Kinder das erleben mußten. Es wurde ihm verboten, Gottesdienste zu halten. Da er aber Jahre zuvor an Krebs erkrankt war, hielt er einmal im Familien- und Freundeskreis eine Dankandacht in einer Kirche, weil er wieder gesund geworden war. Sofort wurde das von "Spionen" gemeldet und entsprechend gegen ihn verwendet. Das weiß ich zum größten Teil von ihm persönlich und einer Dame, die ihn unterstützt hat. Deshalb der Schritt vom Predigen zum Tun des Gerechten ist schwer, aber nicht nur für Nikolaus Schneider, sondern für uns alle...
Leonhard Cohen singt gerade für mich (im Computer) "But he himself was broken long before the sky was open." Manchmal tut es sehr gut, dass Musik ausdrücken kann, was uns im Inneren bewegt.
Euer Joringel
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Hallo Joringel und Forum,
vielleicht haben der Tod seiner Tochter u.a. schlimme Ereignisse ihn verändert?
Einer meiner Hauptmobber ist in diesem Sommer gestorben. Ich habe erfahren, daß er seit 10 Jahren
im Rollstuhl saß, nicht mehr selber essen und nicht mehr sprechen konnte.
Letzteres wußte ich schon länger und ich habe manchmal sinniert, wie er wohl über all das Böse denken mag.
Ob er manchmal an mich denkt und einen Zusammenhang herstellt zwischen Tun und Ergehen?
Lieber habe ich mir vorgestellt, er möge denken: wie dumm, wie schade um die Lebensqualität,
wie leid tut mir das alles. Hätte ich doch anders agiert.
Angesichts schlimmen Leids mag sich mancher Sinneswandel einstellen. Wenn es einen selber trifft,
kommen Erkenntnis und Mitgefühl. Bei N. Schneider nun noch die Krankheit seiner Frau.
Wenn es so ist, wie du sagst und er seine Möglichkeiten und seine Verantwortung nicht wahrgenommen hat,
dann wäre es gut, er würde etwas in der Sache tun.
Ansonsten: wie hiflos zeigen sich die in den hohen Ämtern oft. Wie sollte das auch anders sein in der Evangelischen Kirche?
Die Struktur und die Gewohnheit können nichts anderes hervorbringen.
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Liebe Leser,
die Protestwelle erreicht mich: es geht mir nicht darum N. Schneider in ein gutes licht zu rücken.
Ich habe den kirchlichen Verlautbarern in den letzten Jahren nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt,
um das tun zu können. Ich weiß ja auch um die schönen Reden von berufswegen und die Diskrepanz zum persönlichen Tun.
Ich habe nur für möglich gehalten, daß einer durch bestimmte schwere Erlebnisse anders denken und fühlen lernt.
Die Rede vom Suchen und Aufsuchen der Leidenden ist ja auch nicht auf seinem Mist gewachsen.
Als er das aber sagte, habe ich ihm abgenommen, daß er das ernst meint. Bezogen war das auf die Einstellung der Kirche,
die gern generös einlädt: "jeder kann kommen, unsere Türen sind offen", was aber nicht so funktioniert und auch oft nicht richtig ist.
Menschen in echter Not und Ausgrenzung können nur wieder Vertrauen gewinnen, wenn man sich um sie bemüht, sie sucht, aufsucht und dann auch zur Seite steht.
Und das ist ja gerade im Gemeindeleben wie auch sonst drastisch zurückgegangen.
Ich bin immer noch ein bißchen erschüttert, was Ihr da zu sagen habt zu dieser Führungspersönlichkeit in der Evangelsichen.
Wer ist schon ohne Schuld? Aber das es so böse war, hätte ich nicht gedacht.
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„HERR, ICH BITTE DICH, KEINE LÜGNER MEHR IN HOHEN POLITISCHEN
POSITIONEN“
Das war die Aufschrift auf dem einzigsten Plakat eines einzelnen Protestanten
auf dem Lichtfest in Leipzig.
Ich bin unbeabsichtigt doch hingeraten. Vor dem Kunstwerk des Herrn Hommes in der alten Hauptpost stand die Sicherheit. Einlaß nur dann und dann. So mußte ich mich trollen. Der Augustusplatz war noch gut überquerbar. An der Niklolaikirche drängte es sich schon erheblich. Die Schlange am Eingang hunderte Meter und schon viele Honorationen, die man so kennt. Alle sehr ordentlich, geduldig.
Der OB fragte dort in eine Runde: „Wer ist denn nicht aus Leipzig?“ Es war ihm nicht ganz recht, daß so viele Hände hoch schossen. Seine Bemerkung ließ es auch erkennen. Er nutzte die Gelegenheit sogleich, die Gäste wärmstens zu begrüßen.
Mir waren die Fremden auch schon aufgefallen. Es glitzerte einem in der Grimmaischen nur so entgegen von Geschmeide, Uhren , Brillen und allem, was Gutbetuchte so ausmacht. Beim Horchen und Gucken offenbarten sich die Touristen aus den vielen Bundesländern. Manche Dialoge beim Warten auf den Kollegen Jochem und die anderen peinlich anzuhören: „Wir waren im Sommer in Bautzen. In der Kirche war auch der
Stansilaw Tillich. Er hat die Lesung gelesen, in sorbisch! Er ist doch Sorbe. Das geht einem schon durch und durch, wenn so ein Mann die Lesung liest in sorbisch!“
„Aha.“, kommentierte der so informierte Niedersachse.
Ein bißchen Enttäuschung als der Herr Genscher sogar nicht mal einen Blick in die wartende Menge warf. Auch andere nicht. Nur unser Jochem verließ den schwarzen Bus wie der Herr selber und riß die Arme hoch angesichts seiner Leipziger Christen.
Er nahm sich Zeit für 5 Hände zum Drücken und verschwand im Gotteshaus. Dann drehte sich die Menge geschlossen und blitzartig um und schritt zur Leinwand.
Ich geriet neben den Plakatträger. „Na, hilft es denn?“ fragte ich mit Blick auf das Plakat.
Er zuckte die Schultern: „Ich hab gehofft, daß noch mehr auf die Idee gekommen wären und nicht nur ich.“ „Immerhin sind sie mutig. Aber , wenn heutzutage alle oder wenigstens viele demonstrieren sollen, dann muß man das vorbereiten. Mut und laute Meinung brauchen Vorbereitung. Damals gab es ja auch eine gewissen Organisation mit Ermutigung. Es gab Aufrufe und Vorangänger als Vorbild und Beispiel. Das macht heute keiner. Im Gegenteil, es wird demoralisiert. Die Hürden sind hoch.“ Wir bestätigten uns noch, daß es viele Gründe gibt und viele Gründe hätten, allein, der Glaube fehlt.
Ich wollte gerade fragen, welchen speziellen Anlaß er hat für sein Plakat, da tippte es uns von hinten an: „Nehmen sie ihr Plakat runter, wir können nichts sehen.“
Hinter den vielen Säulen in der Kirche kann man auch nichts sehen, fiel mir ein.
Er verweigerte sich erst und verwies auf den freien Platz vor uns. Nein, hieß es, runternehmen.
Er zeigte nochmal vor sich: hier, alles frei. „Das ist rücksichtslos!“, kam es zurück.
RÜCK -SICHT- LOS . ließ ich mir so durch den Kopf gehen und er ging zur Seite und drehte das Plakat wiedermal um: Stansilaw auf der Rücksicht.
Ob er ein spezielles Tänzchen mit ihm hat oder meint er die allgemeine Gesamtverantwortung für alles? Ich konnte ihn nicht mehr fragen, zwischen uns viele
Gucker und Horcher.
Zu Beginn des Gottesdienstes laute Zwischenrufe einer Frau. Aus der Ferne konnten wir
Bewegung am Haupteingang bemerken. Vermutlich hat man sie hinausgeleitet. Den späteren Pfeifer bei der Rede des amerikanischen Ministers ließ man sitzen.
Ich trollte wegen der zu vielen zu langen Reden zurück zum Augustusplatz. Dorthin wurde auch übertragen. Wenn mal ein Zitat von den Demos 89 kam, sprangen ein paar Männer vom Pflaster auf und schrien „Wir sind das Volk, Wir sind das Volk!“ Die Promille konnte man anhand der leeren Bierflaschen ahnen.
Der Sup. predigte von der Hoffnung, die damals unter die Angst gefahren war. Viele Leute hörten schon zu. Hier und da meinte ich Hoffnungslosigkeit und manchmal Rührung oder Aufregung (?) in einigen Gesichtern erkennen zu können. Besonders in den Augen von einzelnen Frauen um mich herum.
Was bewirkt so eine Predigt heute? Wozu ist die Erinnerung gut? Mir fallen so viele Hoffnungslose ein. Worauf hoffen, wenn die Realität sagt: für dich ist Schluß mit lustig.
Wenn diese allgemeine Unzuständigkeit, diese Erstarrung angesichts von Unrecht und regelrechten Verbrechen der Behörden und Politiker so vorherrscht wie jetzt?
Wenn in angeblicher Freiheit sich kein Wille zur Befreiung regt.
Was heute dringend unter die Angst fahren muß, sind Mut und Zivilcourage
Es wurde dunkel und die Menschenmassen schoben sich so dicht zusammen, daß ich zusah, noch über eine Seitenstraße entwischen zu können. Es wurde beklemmend .Jetzt strömten wohl auch die Leipziger ins Zentrum. Viele Kinder trugen die kleinen Kerzen und an manche Fassade wurden Leuchtbilder geworfen, die die die Heldendemos 1989 zeigten.
Damals hatten die Kerzen eine andere Funktion und sie haben auch etwas anderes bewirkt. Sie waren Waffen gegen die akute Bedrohung , gegen die Machhaber ,die Lügner gegen das System mit diesen Misständen.
WGM
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Liebe WGM!
Herzlichen Dank für die anschauliche Schilderung. Ich wäre auch gerne dabeigewesen. Im Westen der Republik wird an das große Ereignis vor 25 Jahren kaum noch gedacht. Das ist sehr schade und irgendwie selbstgefällig von uns Wessis! Man kann daran erkennnen, dass der Westen schon damals nicht wirklich mit betroffen gewesen war.
Ich kann auch die Enttäuschung verstehen, die zwischen deinen Zeilen durchleuchtet. Aber ist es nicht so wie bei dem Glas das "halb voll" ist un zugleich eben auch "halb leer".
Ihr habt damals eine sehr große gesellschaftliche Veränderung hervorgerufen. Ich denke, heute sind wieder so viele Menschen auf der Strasse, weil sie ihren Dank und ihren Stolz darüber zum Ausdruck bringen wollen. Gleichzeitig wird aber deutlich, was alles noch nicht erreicht ist. Große Anerkennung für den tapferen Träger des Plakates und dafür das er nicht kleinbei gegeben hat. Es gilt noch viel zu tun. Aber das können wir am besten, wenn wir nicht glauben, dass es unsere Sache wäre, den Himmel auf Erden herzustellen.
Für Nikolaus Schneider gilt natürlich, was für uns alle gilt: Er ist auch nur ein Mensch. Und wenn er im Sinne Jesu etwas gutes sagt, dann wird das nicht dadurch falsch, weil er an anderer Stelle anders handelt.
Gruß! Turmfalke
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Hallo Turmfalke,
zum Lobe der Westler: ich habe bei einer Demo sehr interessierte und engagierte NRWer kennengelernt.
Sie sind auch interessiert geblieben, leider aber war damals das Mobbing so massiv, daß ich die Verbindung nicht aufrecht erhalten konnte. Ich habe sie besucht und sie waren bei mir, sogar ihr wunderbarer Sohn, der dann früh sterben mußte, war ideenreich und tatkräftig, daß er unbedingt Farben und was weiß ich herbringen wollte, um diese unsäglichen Wohnungszustände zu beseitigen! Das war schon sehr herzerwärmend. Ich denke immer wieder gern an sie.
Als sie als Demo-Touristen kamen waren die Plakate schon nicht mehr individuell. Die Organisationen des Westens verteilten ihre zum Hochhalten und es fanden sich viele, die sie trugen. Das große Abfischen von Wählern für die jeweilige Partei.
Da große Ereignis muß man immer als groß ansehen, weil es für die Leipziger wirklich gefährlich war und nicht nur am 9.10. Aber es geht auch nicht ohne die Vorarbeit der Polen, Ungarn usw. Die haben den Weg bereitet. Ich glaube nicht, daß es ohne sie zu so konsequentem
Durchmarschieren gekommen wäre. Es lag von allen Seiten in der Luft und man konnte es riechen wie den Gestank von der Kohle.
Und jetzt muß ich ablehnend kritisch auf Deine Formulierungen eingehen, damit etwas richtig verstanden und eingeordnet wird: es geht nicht darum, ob die Sicht auf die Dinge die Gläser halb voll oder halb leer erscheinen lassen. Es geht um die Realität, daß sie für Leute leer sind und sie aus dem Grundgesetz unter die Menschenrechtsverletzungen fallen und sie ihrer Selbstbestimmung und Persönlichkeitsrechte beraubt sind. Sie werden vom System wie Leibeigene gehalten und sie dürfen Almosen entgegennehmen. Ich zitiere Prof. Götz Werner (jüngst ausgezeichnet): Es kommt mir vor als würde sich die BRD offenen Strafvollzug leisten."
Die Rede vom Glas trifft es nicht, weil sie meint, es ginge nur um die Sicht auf die Verhältnisse und nicht um das tatsächlich Erlebte und
weil sie impliziert, daß dem Betroffenen die rechte Einschätzungskraft fehlt und er nicht das rechte Empfinden hat. Unter Mobbingsgesichtspunkten ist das unzulässige Bagatellisierung.
Im Sozialismus wurde übrigens auch oft gesagt: "es ist NOCH nicht so weit". Das zieht sich nun durch für so manchen.
Wenn "noch nicht alles erreicht ist" so wissen viele, daß für ihr Leben sich keiner mehr stark macht und sie ausgegrenzt bleiben.
Das ist mehr als Enttäuschung, das ist gesundheitsschädlich und entrechtend.
Es ist auch rückschrittlich und eigentlich wollte doch jeder erleben wie das ist, wenn man Gleicher unter Gleichen und Nutznieser ist.
Das wollen auch viele ausgegrenzte Westdeutsche.
Und was den Himmel auf Erden angeht , so verstehe ich Jesus so, daß er sich unter den Brüdern und Schwestern welche ausgeguckt hat, denen er das zutraut. Hat er nicht sogar beauftragt? Es geht darum, daß dieses Land sich leistet, OPFER zu fabrizieren und vielen das so sehr egal ist, sie es als gottgewollt hinnehmen. DAS IST SO !, hört man immer öfter als festgefügte Glaubenssätze. Die Zuständigen fühlen sich nicht zuständig und verrohen immer mehr. Sie vergiften die Athmosphäre und werden zu unerträglichen Belastung. So sieht die große gesellschaftliche Veränderung aus, wenn man sie sehen will und das heißt wieder: sich mit dem Leid konfrontieren, sich dahin begeben,
um zu erkennen, was zwingend zu tun ist für den Himmel auf Erden…...
WGM
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Die Stadt Leipzig- AHA!- deshalb stand der Sicherheitsdienst vor der Tür. Und als gegen 19.00 Uhr für kurze Zeit Einlass war,
war es drinnen nicht so wie versprochen. Es wirkte alles ein bißchen halbherzig und nicht zu Ende gebracht.
Das war dann offenbar ab 22.00 Uhr so wie der Künstler Helge Hommes es angekündigt hatte: mit viel licht und Leben.
Schade ist, daß alles nur so kurze Zeit stehen bleiben wird.
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