Was bedeutet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel?
Ein namhafter rechtskundiger Kirchenbeamter wies uns im Gespräch über die Rechtslage darauf hin, dass für Verwaltungsentscheidungen von kirchlichen Behörden zu den §§ 79 u 80 des neuen Pfarrdienstgesetzes der EKD (PfDG-EKD) (genannt nach alter Sprachregelung „Ungedeihlichkeitsparagraf“) auch der § 103 des gleichen Gesetzes gilt:
„Pfarrdienstgesetz der EKD
§ 103 Verwaltungsverfahren
Für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit nach diesem Kirchengesetz gelten ergänzend die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrens- und -zustellungsgesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland,
…
… “
Gemeint ist für das genannte Thema offenkundig der § 27 aus dem
„Verwaltungsverfahrens und Zustellungsgesetz ( VVZG-EKD)
§ 27 Ermessen
Ist die Kirchenbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“
Noch einmal zur Erinnerung der „Ungedeihlichkeitsparagraf“ selber hier in zugespitzter Kurzfassung:
„Pfarrdienstgesetz (PfDG) der EKD vom 10.11.2010
§ 79 Versetzung
…
( 2 ) Pfarrerinnen und Pfarrer können um der Unabhängigkeit der Verkündigung willen nur versetzt werden,
wenn … oder … oder wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht.
Ein besonderes kirchliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn
…
5. in ihrer bisherigen Stelle oder … eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes gemäß § 80 Absatz 1 und 2 festgestellt wird,
…
§ 80 Versetzungsvoraussetzungen und -verfahren
( 1 ) Eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes im Sinne des § 79 … liegt vor,
wenn die Erfüllung der dienstlichen oder der gemeindlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet ist. Das ist insbesondere der Fall,
wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist
oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt.
Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen.
…“
Was mit § 103 PfDG und damit mit § 27 VVZG für den Fall der Verwaltungsentscheidung zur Versetzung einer Pfarrerin oder eines Pfarrers gegen ihren Willen gemeint ist, erkennt man nur aus den dazugehörigen offiziellen, wenn auch nichtamtlichen Begründungen:
„nichtamtliche Begründung zum PfDG
§ 103 Verwaltungsverfahren
Vergleichbare Vorschriften: § 7 DG.EKD
Die Vorschrift verweist ergänzend und subsidiär auf die entsprechende Anwendung des Verwaltungsverfahrens- und zustellungsgesetzes der EKD (VVZG-EKD).
Daraus ergibt sich insbesondere die Verpflichtung, … und … und ein eingeräumtes Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 27 VVZG-EKD).
Da sämtliche Verwaltungsakte nach diesem Gesetz unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen, bedeutet dies, dass, eine Maßnahme nur dann rechtmäßig ist, wenn sie einen legitimen, nachvollziehbaren Zweck verfolgt und geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, und von mehreren möglichen Maßnahmen das mildeste Mittel darstellt.
Ferner muss die Maßnahme angemessen sein. Das heißt, die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, dürfen nicht völlig außer Verhältnis zu den mit ihr bewirkten Vorteilen stehen.
An dieser Stelle spielt die Zumutbarkeit eine wesentliche Rolle, bei deren Prüfung in besonderem Maße die persönlichen Verhältnisse der oder des Betroffenen und der mit betroffenen Familie zu berücksichtigen sind.
… „
Sind Sie mitgekommen? Ich muss zugeben, dass ich nur unvollkommen ahne, was hier ausgesagt sein könnte:
Ein „legitimer, nachvollziehbare Zweck“ einer Verwaltungsentscheidung zu einer Versetzung nach §§ 79 u 80 PfDG kann also nur sein, eine möglicherweise vorliegende „nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ zu überwinden. Die Vertreibung der Pfarrperson aus der ihr einmal zugewiesenen Pfarrstelle selber kann nicht als solches Ziel und Zweck der Übung sein.
Wenn es andere Mittel gibt, um an der Überwindung der Störung zu arbeiten, darf eine Entscheidung zur Versetzung nicht getroffen werden, da sie ein unverhältnismäßig scharfes Mittel wäre. Wenn es eine Alternative gibt, muss immer zuerst das "mildere Mittel" angewandt werden
Erst recht ist Rücksicht zu nehmen auf die legitimen emotionalen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Pfarrers und seiner Familie und ihr Bedürfnis nach Schutz und Unversehrtheit der Person.
Leider bleibt der im Text genannte Begriff „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ sehr unbestimmt. Was sind die „gesetzlichen Grenzen des Ermessens“, die die Verwaltungsbehörde einzuhalten hat?
Aus dem Chemieunterricht weiß ich noch, dass man ein bestimmtes gewolltes Verhältnis verschiedener Chemikalien zueinander präzise in Zahlen ausdrücken konnte. Das war sehr konkret. Wenn man sich nicht an diese Vorgabe hielt, klappte der Versuch nicht.
Aber in welchem Verhältnis die Vorteile einer Versetzung zu dem in kauf genommenen Schaden am Leben der betroffenen Familie stehen dürfen, damit die Entscheidung zur Versetzung als verhältnismäßig und angemessen anerkannt werden kann, das steht nicht im Gesetz und auch nicht in den amtlichen Begründungen.
„Da steh ich nun - ich armer Tor – und bin so klug als wie zuvor“
Vielleicht kann jemand anderes die Angelegenheit besser erklären.
Viele Grüße! Euer Turmfalke