Hallo Forumsgemeinde!
Diesen Leserbrief habe ich heute an eine große Tageszeitung geschickt:
"Der große Aufmacher in ihrer Ausgabe vom 16. Februar zu einem zusätzlichen Feiertag fordert mich dazu heraus, meine Meinung beizutragen. Ich bin evangelischer Pfarrer. Dieser Leserbrief ist allerdings keine offizielle Äußerung meiner Landeskirche, sondern mein persönlicher Beitrag.
Im Jahre 2017 haben wir mit viel Freude und großem Aufwand gemeinsam mit allen Kirchen und mit vielen anderen Gruppen in unserer multikulturellen Gesellschaft das 500-jährige Jubiläum der Reformation gefeiert. Da liegt es nahe, dass wir uns als Kirche darüber freuen würden, wenn dieses Großereignis in einem zusätzlichen Feiertag seine Fortsetzung finden könnte.
Dennoch habe ich einige Bedenken: Einen allgemeinen gesetzlichen Feiertag einrichten sollte man nur, wenn eine große Mehrheit der gesamten Bevölkerung diesen Tag einvernehmlich mit Inhalt füllen kann. Die aktuelle Debatte zeigt uns, dass dies leider nicht der Fall.
Das beginnt schon bei der Überschneidung mit dem seit etwa 20 Jahren in Deutschland neu aufgekommenen Brauch Halloween zu feiern. Wir brauchen eigentlich keinen neuen staatlichen Feiertag, um Kindern Gelegenheit zu geben, sich zu verkleiden und Leute zu erschrecken.
Man will der Bevölkerung aber einen weiteren Feiertag schenken, u. a. weil man glaubt, dass wir uns das leisten können. Ist das wirklich so?
Ich erinnere daran, dass uns vor noch gar nicht langer Zeit - etwa im Jahre 1995 - ein gesetzlicher Feiertag gestrichen wurde: Ich denke an den "Buß- und Bet-Tag" jedes Jahr an einem Mittwoch Ende November.
Es wurde einmal ein Feiertag gestrichen! Jetzt soll wieder ein neuer Feiertag eingerichtet werden! Was läge da näher, als den damals gestrichenen Buß- und Bet-Tag als allgemeinen Feiertag wieder zu beleben.
Damals war das Problem allerdings, dass man zur Einrichtung der Pflegeversicherung sehr viel Geld brauchte. Die Arbeitgeberverbände waren aber nicht bereit, im geforderten Maße ihren Arbeitgeberbeitrag dafür zu leisten. So kam man auf den Gedanken, die Bevölkerung einen Tag länger arbeiten zu lassen. Das Geld, das an diesem zusätzlichen Arbeitstag verdient wird, sollte der Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden, um das finanzielle Loch zu stopfen. Leider müssen wir heute feststellen, dass dieser eine zusätzliche Arbeitstag bei weitem nicht ausreicht, um den vorhandenen Pflegenotstand in Deutschland zu überwinden. Da wäre ein "Buß- und Bet-Tag" doch angemessen, um uns jedes Jahr wieder an unsere gemeinsame gesellschaftliche Verpflichtung zu erinnern.
Dann müssten wir allerdings klären, wie die finanzielle Lücke bei der Pflegeversicherung zu stopfen wäre, die neu entstehen würde, wenn wir am Buß-und Bet-Tag wieder zuhause bleiben würden.
Also machen wir doch lieber den Reformationstag zum gesetzlichen Feiertag?
Die Reformation hatte von Anfang an eine allgemeingültige Aussage von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Ich möchte das hier gerne noch einmal in den Mittelpunkt stellen:
Martin Luther fand in der Bibel den Satz des Apostels Paulus aus dem Römerbrief, Kapitel 3 Vers 28. Er übersetzte ihn ins Deutsche mit den heute schwer verständlichen Worten: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben".
Das Wort "gerecht" aus der Sprache Luthers muss man heute übersetzen mit: "Bei Gott angenommen" oder "akzeptabel". Und des Wort "des Gesetzes Werke" meint "Leistungen, die der Mensch erbringen müsste, um das Wohlwollen Gottes zu erreichen". Reformation bedeutet also: Martin Luther hat die "geschenkte Gnade Gottes" wieder entdeckt: Gott schaut auf seine lieben Menschen mit Freundlichkeit und verlangt dafür keine Vorleistung.
Man kann also den Satz von Paulus und Martin Luther heute so übersetzen: "Der Wert eines Menschen wird nicht bestimmt durch seine Leistung. Sondern wertvoll ist ein Mensch, weil Gott ihn liebt. Das darfst du ruhig glauben".
Damit stellt der christliche Glaube nach lutherischer Lesart die brutale Leistungsgesellschaft, in der wir heutzutage gefangen sind, auf fundamentale Weise infrage: Wertvoll sind alle Menschen - unabhängig davon, ob sie große Leistungen vollbringen können oder nicht.
Wer dabei mit dem Gottesbezug unserer christlichen Aussagen Schwierigkeiten hat, der kann ruhig das neutralere Wort einsetzen, dass wir in der Präambel unseres Grundgesetzes finden: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".
Jeder Mensch hat seine Würde! Sie kann und darf ihm nicht genommen werden. Er kann seine Würde auch nicht verlieren, wenn er einmal nicht mehr in der Lage sein sollte, eine Gegenleistung dafür zu erbringen.
Das ist der Kern der Botschaft, wegen der wir evangelischen Christen den Reformationstag feiern.
Ich schlage deshalb vor, dass wir in Zukunft den 31. Oktober als staatlichen Feiertag begehen, ihn aber nicht mehr so missverständlich "Reformationstag" nennen, sondern besser "Tag der Menschenwürde". Das würde uns gut tun."
Ich würde mich freuen, wenn Ihr hier im Forum auch etwas zum Thema schreiben könntet.
Euer Turmfalke