Vertuschung

#1 von Achim , 28.01.2018 13:24

Liebe Freunde,

im Rahmen diverser Recherchen bin ich auf folgenden Zufallsfund gestoßen,

https://www.focus.de/politik/deutschland...aid_164066.html

Es handelt sich um einen Beitrag im Internet von Focus Online aus dem Jahr 1997, liest sich aber auch heute nach mehr als zwanzig Jahren noch spannend, insbesondere weil viele von uns zwar K. persönlich kennen, nicht jedoch diese Vorgeschichte, weshalb ich sie hier einstelle:

"Die Vertuscher

Gerhard Besier
Montag, 13.01.1997, 00:00
Wer bei Stasi-Aufklärung nicht lockerläßt, der riskiert kirchenamtliche Verfolgung

Pfarrer Edmund Käbisch aus Chemnitz war so frei: Aus den Akten der Stasi-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt dokumentierte er, wie der DDR-Staatssicherheitsdienst einst die evangelische Kirche in der Nachbarstadt Zwickau „bearbeitet“ und willfährig gemacht hat. Über die Entdeckungen hielt er Vorträge.

So frei ist der Christenmensch nicht mehr. Käbischs vorgesetzter Superintendent Eberhard Dittrich forderte den „lieben Bruder . . . in aller Form auf, mir die . . . vorgetragenen Manuskript- und projizierten Folienblätter vollständig zu übergeben“. Die Zwickauer Bezirkssynode im November 1996 empfand Käbisch als „Lynchsynode“ – er wurde der Nestbeschmutzung angeklagt.

Im achten Jahr nach der friedlichen Revolution hat für eine Handvoll evangelischer Pfarrer und Mitarbeiter, die sich dem amtlichen Schweigen über Stasi-Belastungen der DDR-Landeskirchen nicht fügen, bloß der Unterdrücker gewechselt. Beinhart vollziehen die Kirchenleitungen an den Widerspenstigen das Pfarrerdienst- und Disziplinarrecht.

Strafversetzt in die Bibliothek: Pfarrer Hans-Martin Kohlmann aus Jerichow gab öffentlich bekannt, wer in seiner Kirchenprovinz Sachsen für die Stasi gespitzelt hat. Jetzt darf er die frommen Bücher der Kirchenleitung in Magdeburg hüten. Kohlmann überging ein Anzeigeverbot seines Landesbischofs Christoph Demke – der schon 1990 mit SED-Ministerpräsident Hans Modrow den Dauerverschluß der Stasi-Akten forderte.

Die Säuberung trifft nicht nur Pastoren. Förster Kurt Matthey aus Neuermark interessierte sich neben den anvertrauten kirchlichen Wäldern für die Stasi-Verstrickung eines Pfarrers. Plötzlich galt sein Posten als überflüssig, der Kirchenbezirk Tangermünde suchte ihn loszuwerden. Drei interne Schiedsverfahren hat Matthey schon hinter sich, ein viertes steht aus.

Rechtsanwälte sind unerwünscht. Die Magdeburger Kirchenleitung berief sich auf das Hausrecht und wies Kohlmanns Berliner Anwalt die Tür. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt die Kirche Grund- und Bürgerrechte von Mitarbeitern zur internen Angelegenheit. Ein Staat im Staate....."

Das wollte und konnte ich Euch nicht vorenthalten.

Euer

Achim


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RE: Vertuschung

#2 von Joringel , 29.01.2018 11:21

Lieber Achim,

ja, das sind "alte Fälle", wenn man so will. Aber mir waren sie persönlich bekannt. Auch das Schicksal von Kurt Matthey. Aber es war bei ihm wohl nicht nur die Aufdeckung von Stasi-Verstrickungen. Die Kirche in der DDR konnte durch ihre Wälder Geld erzielen. Nach dem Fall der Mauer rechnete sich das nicht mehr und flugs sollten alle Förster entlassen werden. Kurt Mathhey rief zu arbeitsrechtlichem Widerstand auf. Das wurde mit aktivem Mobbing bestraft. So musste er zum Beispiel in Magdeburg morgens in aller Frühe seinen Dienst am Schreibtisch antreten und seine Zeit absitzen. Aufgaben hatte er nicht. Das war auch nicht die Schikane eines Einzelnen, sondern das System wehrte sich. Mattheys hatten auch engen Kontakt zu Martin Kohlmann und schilderten mir wie er schon von der Stasi drangsaliert wurde. Und dann ging das weiter...durch seine eigene Kirche. Was das mit Menschen macht, kann man sich vorstellen. Und immer wieder dieses Schweigen, kein das eigene Handeln in Frage stellen. Das sehen wir doch nun auch schon seit Jahrzehnten in der Evangelischen Stiftung Neinstedt.

Mir fällt dazu nichts mehr ein!
Joringel


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RE: Vertuschung

#3 von Achim , 29.01.2018 12:12

Natürlich, lieber Joringel,

waren Dir und den anderen Gründungsmitgliedern unseres Vereins diese "Altfälle" bekannt, den im Lauf der Jahre neu hinzugekommenen Mitgliedern, wie mir, aber nicht unbedingt. Vielleicht können wir hier künftig noch weitere Altfälle vorstellen?

LG

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RE: Vertuschung

#4 von Wespe , 29.01.2018 14:16

In den 90iger Jahren war tatsächlich Gerhard Besier, damals Professor am Institut für vergleichende Religionswissenschaften in Dresden, einer der ganz wenigen, die sich mit der Stasi-Verstrickung der evangelischen Landeskirchen in der DDR öffentlich auseinandergesetzt hatten. Das kam uns damaligem Vorstand Anfang der 2000er Jahre sehr recht und wir haben ihn zu uns eingeladen. Doch seine Religionskritik nahm merkwürdige Wege, zum Beispiel ging er u.a auf Schulterschluss mit einer militanten indischen Sekte, die in Deutschland Fuß fassen wollte. Er verbündete sich u.a. mit einem Professor für prakt. Theologie an der UNI Frankfurt/Main, der u.a. einen öffentlichen Privatfeldzug gegen die "Herrschaft der Kirchen" in Deutschland sowie "weltweit" mit Hilfe seiner 5 oder wenig mehr Theologiestudenten mit "Kundgebungen auf dem Römer" führte. Dort rief er u. a. zu atheistischer Haltung auf, um nicht unter die Räder von Kirchenherrschaft zu geraten. Dieser Theologe neigte ebenfalls seit 1968 zu militanten Maßnahme, wenn er sich nicht angenommen fühlte und suchte schließlich sein Heil bei Besiers weltweiten "Aktionen".
Das wiederum wollten wir als Vereinsvorstand, gerade neu auf die kirchliche Bühne getreten, uns nicht anhängen lassen. Wir einigten uns damals, nach längerer Debatte im Vorstand, auf den Verzicht Besiers und ich musste ihn wieder ausladen. Ich gebe zu, das ist mir nicht leicht gefallen, weil ich gehofft hatte, dass es möglich sein müsste, das eine vom anderen zu trennen. Doch realistischer war, dass "die Kirche" hier keineswegs differenzieren wird und wir sofort in dem kruden Topf landen würden.
Ich erzähle Euch das, weil mir wieder mal zu Bewusstsein kam, welch bewegte Vergangenheit wir doch hatten. Und ich bewundere Dich, Achim, was Du alles ausgräbst. Dieses Dokument ist wirklich Archiv-verdächtig. Wobei ich wieder bei meinem "Lieblings-Thema" bin.

Nix für ungut,
Wespe

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RE: Vertuschung

#5 von Achim , 29.01.2018 16:58

Liebe, liebe Wespe,

herzlichen Dank für Deine vorangegangene Reaktion! Wir hatten schon ein wenig befürchtet, dass Du Dich als Urgestein unseres Vereins doch ein wenig von unseren Belangen abkoppeln wolltest. Wir/ich sind jetzt vom Gegenteil überzeugt! Und ich hoffe, dass wir uns Deinem "Lieblingsthema" auch noch ausreichend widmen können und freue mich auf unser Wiedersehen in Halberstadt.

LG

Achim


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RE: Vertuschung

#6 von turmfalke , 29.01.2018 17:32

Liebe Wespe, lieber Achim!

Wenn ich die Geschichten der Vergangenheit des Vereins so höre, dann muss ich der Wespe recht geben. Ich hätte damals wahrscheinlich genauso entschieden.

Wenn wir im Verein heute die bei Vorstand und Mitgliedern vorhandenen theologischen Grundüberzeugungen mit einander vergleichen würde, dann würden wir wahrscheinlich feststellen, dass es da sehr große Unterschiede gibt. Das macht aber nichts.

Man erkennt daran vielmehr, dass sich die Mobbingmethoden, die an den verschiedenen Schauplätzen in unseren Kirchen angewendet werden, nicht nur gegen eine einzige theologische Grupierung richten.

Deshalb ist es gut, wenn der Verein sich diese großer Spannweite bewahrt.

Dennoch ist es notwendig, dabei Grenzen zu kennen und auch einzuhalten. Das ergibt sich auch aus der Notwendigkeit, mit Institutionen der Kirche im Gespräch bleiben zu können. Wenn wir uns mit unserer Kritik gänzlich von dem verabschieden würden, was in unsere Kirche konsenzfähig ist, dann könnten wir den Verein auch gleich auflösen.

Nur wenn ein Fünkchen von Hoffnung weiter besteht, positiv in die Kirche hineinwirken zu können, macht es Sinn, einen Verein D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche weiter zu betreiben.

Schöne Grüße!

Turmfalke


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RE: Vertuschung

#7 von Wespe , 31.01.2018 11:30

Ja, Ihr Lieben,
dem Urgestein springen immer wieder so manche Erlebnisse entgegen! Wollte ich auf alles reagieren, würde ich Euch unsäglich langweilen... Außerdem zählt ja die Gegenwart. In dieser bin ich nicht immer präsent aus 2 Gründen: Einmal weil ich meine 75 Jahre mit ihren Kerben unterschiedlich kräftig auf dem Buckel spüre, und zum anderen (noch) dabei bin, die Herausforderungen dieses Altwerdens aktiv anzunehmen. Körperlich wie seelisch. Mir selbst geht es ja wirklich noch gut, allerdings das Erleben an und mit so vielen Weggefährten kostet nun auch Kraft bis hin zur aktiven Begleitung in schweren Situationen, auch bei großen räumlichen Entfernungen.
Es ist also nicht "Desinteresse", es ist kurz und bündig meine Unzulänglichkeit. Doch auf eines könnt Ihr Euch verlassen, ich tauche immer wieder auf. Und wenn ich präsent bin, dann so konzentriert, wie möglich. Allerdings nicht mehr bei allen Themen, die dankenswerter Weise z. B. hier im Forum und bei den Beratungen verhandelt werden. Ich bin Euch allen im Herzen dankbar, dass Ihr Euch dem stellt. Wirklich! Und das gilt allen, auch den Vorstandsmitgliedern. Ich weiß, wovon ich spreche.
Alles, alles Gute! Möge der erhoffte Segen darauf liegen.
Eure Wespe

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