Zitat von turmfalke im Beitrag #2
Die Frage heißt also: Was hilft Mobbingopfern, wieder aufzustehen?
Die Diagnose beim Arzt lautet ja nicht auf "Mobbing", "Bossing" oder "Burnout", sondern meistens: "Depression".
Damit muß man sich erst einmal auseinandersetzen.
Ich bat mir bei dieser Diagnose einen Tag Bedenkzeit aus, bevor diese Diagnose aktenkundig wurde.
An diesem Tag beantwortete ich mir die Fragen
- kannst Du mit dieser Diagnose leben (Warum nicht?)
- brauchst Du eine Lebensversicherung (Nein)
- planst Du irgendwann in Deinem restlichen Leben einen Kredit aufzunehmen (Nein)
- kannst Du die Diagnose mit Deinem Beruf vereinbaren (Ja)
Es ist einfach so, daß gewisse Diagnosen den Wert eines Kreditnehmers oder den eines Arbeitnehmers stark reduzieren. Andererseits - was gibt es bei vorliegenden Fakten noch zu überlegen, wenn es fast nur noch um das kursfristige Überleben geht?
Man lernt Menschen in vergleichbarer Situation kennen, bei mir war es während der Reha, wo ich fand, daß es mir - verglichen mit anderen - noch gut ging.
Ich hatte nicht meine Stelle verloren, weil ich etwa beispielsweise ausgerastet war und einen Vorgesetzten geohrfeigt hatte. Nur dieses als einzelnes und harmloses Beispiel für zum Teil schlimme Schicksale, die ich kennenlernte.
Man lernt auch, daß Mobbing erst möglich wird, indem ein Opfer sich zu einem solchen machen lässt.
Man erfährt, daß man von "Gesunden" oft nicht verstanden wird (oder gar fast nie) und lernt, daß es unter "Kranken", Schicksalsgenossinnen oder - genossen viel einfacher ist, Verständnis zu finden.
Gleiches Erleben macht viele Worte, viel Erklären überflüssig; die wenigsten "Unbetroffenen" können verstehen, was in einem Mobbingopfer vorgeht. Es ist wie eine Mauer zwischen "Betroffenen" und "Unbetroffenen".
Der Blick auf andere Menschen in ähnlicher Lage, oft viel schlimmerer Lage, macht demütig und dankbar; es hätte ja auch noch viel schlimmer kommen können.
In der Reha wurde ein kleines Ereignis für mich zentral:
Therapeutin: "Herr W, wir können sie ärgern, so viel wir wollen, sie regen sich ja niemals auf."
Ich: "Woher wollen sie wissen, daß ich mich nicht aufrege, wenn sie mich ärgern?"
Therapeutin: "Aber jedenfalls bemerkt man ihren Ärger nicht."
Ich hatte eine Fassade aufgebaut, wodurch der Angreifer/die Angreiferin nicht bemerkte, wann ich denn endlich "getroffen" war - mit der Folge, daß weitergemacht wurde, bis ich Wirkung zeigte.
Ich mußte mir angewöhnen, wenigstens eine verbale Wirkung oder einen "Theaterdonner" zu äußern, damit mein Gegenüber erfuhr, daß die Botschaft angekommen war und aufhören konnte.
Ich schuf eine gewisse Offenheit im Betrieb und informierte Kolleginnen darüber, wenn ich mit merkwürdigen Dingen konfrontiert wurde.
Ein Mobbingtagebuch ist sehr zu empfehlen, die Dokumentation " wer hat wann was gesagt/getan/geschrieben".
Den Mobbern klarmachen, daß ihr Handeln nicht stillschweigend hingenommen wird, sondern wahrhaftig, ohne Übertreibung öffentlich gemacht wird.
Die Attacken werden dann zwar subtiler, aber aushaltbarer.
Und nicht zuletzt: Lernen, daß zwar Arbeit das halbe Leben ist, aber daß die andere Hälfte auch wichtig ist.
Für mich wurde klar, daß ich in angeschlagenem Zustand auch meine Funktion als Mitarbeitervertreter nicht mehr im von mir selbst erwarteten Sinn würde aussfüllen können. Mit dem Balken im eigenen Auge ist es schwer, den anderen mit dem Splitter beizustehen, um es einmal bilblisch auszudrücken ;-)
Nicht zuletzt hatte ich eine monatelange Auszeit, mir von den Ärzten verordnet, wo ich alles tun sollte, was mir gut tat. Und den Rest lassen.
Die liebe Umwelt sieht natürlich: Da ist jemand, der hinkt nicht, lacht und genießt das Leben; warum arbeitet der nicht?
Seelischen Schmerz sieht man nicht. Die Umwelt reagiert mit Unverständnis. Auch damit muß man lernen, umzugehen.
Lernen, die Frechheit zu haben, die ärztliche Empfehlung den Leuten notfalls vor den Kopf zu schlagen: "Ich soll das Leben genießen."
Wieder ist es nur ein Schlaglicht geworden, ein Versuch einer Antwort.
Und jedem wird es zudem individuell anders gehen, jede Situation braucht ihre eigenen Bewältigungsmechanismen.