"Wie weit der Wertefall in unserer Gesellschaft bereits fortgeschritten und eine Ellenbogenmentalität bereits zur Normalität bereits geworden ist, wurde mir in den vergangenen WOche so richtig bewusst. In einem Amtsgericht verfolgte ich einen Zivilprozess. Was ich dabei erlebt habe, hätte ich vorher kaum für möglich gehalten. Selbst für mich als Außenstehenden wurde es schnell ersichtlich, dass hier widersprüchliche Sachverhalte behauptet, Tatsachen beschritten, völlig überzogene Schadensersatzforderungen gestellt wurden, gefeilscht und getrickst wurde. Am meisten war ich darüber erstaunt, dass auch Anwälte sich für dieses Hauen und Stechen nicht zu schade waren. Eigentlich habe ich immer gedacht, bei den Juristen sei das Unrechtsbewusstsein besonders ausgeprägt. Doch scheinen tatsächlich mittlerweile andere Normen und Werte zu gelten, bei denen Wahrheit und Wahrhaftigkeit nur noch einen geringeren Stellenwert haben.
Was können wir als Christen dieser Entwicklung entgegensetzen? Das treibt mich nach diesem Erlebnis um. Ich denke, wir haben es zu lange versäumt, energisch für mehr Wahrhaftigkeit in unserer Gesellschaft, im Alltag und auch in der Kirche einzutreten. Wie sonst hätte es soweit kommen können, dass Lügen, Desinformation und Intrigen heutzutage fast selbstverständlich zum Gesellschaftspiel geworden sind?
Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben, wenn wir von Gott her in unserem Gewissen zur Wahrhaft verpflichtet sind. Es muss möglich sein, sich dem Leitgedanken der Wahrhaftigkeit immer mehr anzunähern."
Aus der Rubrik: Persönlich gemeint
Bernd Reyher (Redaktionsmitglied / Ev. Gemeindeblatt fürWürttemberg)
13. Juni 1999 (gerade kurz davor wurden 50 Jahre GG gefeiert)
Die Beobachtung des Verfassers kann man natürlich 1 zu 1 auf Verfahren innerhalb der einzelnen Landeskirchen übertragen.