Mein Superintendent hat ein Buch geschrieben. Wie es heißt und was da drin vorkommt, tut hier nichts zu Sache. Ich hab‘s noch nicht gelesen. Aber ein Satz aus der Werbung für dieses Buch ist mir ins Auge gesprungen: Mein Superintendent „tut das, was viele inzwischen verlernt haben: zuhören und ins Gespräch kommen.“
Dieser Satz hat mich überrascht und gefreut. Vor etlichen Jahren nämlich, in der Zeit, als er mein Superintendent war, da hätte er mich auf diese Weise vor der Mobbing-Spirale bewahren können. Hätte er ein einziges Mal mit mir gesprochen und mir wirklich mal zugehört, dessen bin ich mir sicher, dann wäre mir erspart geblieben, was mir damals widerfahren ist. Ich müsste heute niemandem meine Mobbing-Geschichte erzählen. Aber offensichtlich hat mein Superintendent von damals das inzwischen begriffen. Es ist ihm heute klar, wie wichtig das Gespräch, das Zuhören ist, unvoreingenommen, ohne verborgene Absichten und auf der vertrauensvollen Ebene gegenseitiger Wertschätzung. Es scheint ihm sogar so wichtig zu sein, dass er ein Buch schreibt, in dem diese Erkenntnis - so die Werbung jedenfalls - eine zentrale Rolle spielt. Das lässt hoffen!
Beim Lesen einer Zeitschrift habe ich diese Buch-Werbung im IC von Düsseldorf nach Kassel-Wilhelmshöhe entdeckt, auf der Fahrt ins thüringische Sondershausen, um als Gast auf der Jahrestagung von D.A.V.I.D teilzunehmen, dem Verein gegen Mobbing in der evangelischen Kirche. Wenn Superintendenten also doch lernfähig sind und wenn man, wie ich, den Eindruck hat, dass meine Landeskirche nach dem Skandal um das berüchtigte Auswahlverfahren im Umgang mit ihrem Pfarrpersonal weit sensibler geworden ist, dann fragt man sich, ob es einen Verein wie D.A.V.I.D noch lange geben muss.
In Sondershausen sollte ich dann erleben, wie aktuell die Arbeit des Vereins ist - und dass sich daran aller Voraussicht nach erst mal nichts ändern wird. Knapp 40 Personen aus dem gesamten Gebiet der EKD waren da. Viele Betroffene waren darunter, kirchliche Mitarbeitende, die Mobbing am eigenen Leibe erlebt haben. Man muss sich klar machen, dass es sich nur um einen Bruchteil handelt - wie viele sind daran zerbrochen, wie viele haben sich tief verletzt zurückgezogen, sind ganz aus der Kirche raus, wollen nicht mehr darüber reden und geraten auf diese Weise vollends in Vergessenheit? Die, die da waren, sind stark genug, um sich nicht unterkriegen zu lassen. Manche sagen sogar, sie seien durch diese Erfahrung in ihrem Glauben, in ihrer Gottesbeziehung eher noch gestärkt worden. Und nun machen sie Mobbing zu ihrem Thema, weil sie begriffen haben: Das ist nicht ihr persönliches Drama. Das ist ein Drama der Kirche.
Mobbing hat in den seltensten Fällen mit Meinungsverschiedenheiten oder Auseinandersetzungen über konkrete Sachfragen zu tun. Fast immer stehen Beziehungskonflikte am Anfang. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, wenn Beteiligte, statt das Gespräch und die Begegnung von Angesicht zu Angesicht zu suchen, die Lösung in der Anwendung bestimmter vorgegebener Verfahren suchen, seien sie administrativer oder rechtlicher Art. Das geschieht, wenn zum Beispiel das Presbyterium per Beschluss eine Missbilligung oder eine Verhaltensmaßregel ausspricht oder der Superintendent unter Androhung der Feststellung der Ungedeihlichkeit den Rat zum Stellenwechsel erteilt oder auch nur eine Mediation zur Pflicht gemacht wird. Von diesem Zeitpunkt an ist das unvoreingenommene Gespräch ohne verborgene Absichten auf der vertrauensvollen Ebene gegenseitiger Wertschätzung nicht mehr möglich. Nun kann es nur noch darum gehen, wer am längeren Hebel sitzt.
Mir ist bei den Berichten auf der D.A.V.I.D-Tagung deutlich geworden, wie sehr sich die Geschichten ähneln und die Muster wiederholen - und welche Eigendynamik ihnen innewohnt, gegen die man schier machtlos ist. Dabei darf man getrost davon ausgehen, dass niemand von denen, die in ein solches Drama verwickelt sind, irgendjemandem etwas Böses will. Alle wollen das Problem lösen - aber sie versuchen es auf dem Wege des Machtkampfes und des Durchsetzen-Wollens. Und ihnen ist in der Regel nicht klar, was sie da auslösen.
Man muss ehrlicher Weise zugeben, dass Kirche und Diakonie für solche verheerenden Machtspiele besonders anfällig sind. Das hat zunächst mit dem sehr tief sitzenden Gefühl zu tun, dass Streit in der Kirche nicht sein darf. Selbst die Kirchenordnung schreibt vor, Beschlüsse möglichst einmütig zu fassen. Dadurch wird häufig der Streit selbst zum Gegenstand der Klage oder Anklage. Statt ihn zu klären oder zu lösen, werden er - und die Streitenden gleich mit - mit administrativen Mitteln bekämpft. Dadurch verschärft sich der Streit noch und es wird alles immer schlimmer.
Was den Pfarrberuf angeht, gibt es einen Sachverhalt, der gerade zum Mobbing einlädt. In Artikel 79 und 80 des Pfarrdienstgesetzes der EKD kann die Versetzung einer Pfarrerin oder eines Pfarrers mit einer „nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ begründet werden. Das Tückische daran ist, dass die nachhaltige Störung sehr einfach festgestellt werden kann, da sie nicht näher beschrieben werden muss und nicht mit einem Schuldverwurf an die betroffene Amtsperson verbunden ist („Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen“). Diese kann sich, weil sie ja nicht angeklagt ist, auch nicht verteidigen - muss aber gleichwohl dafür haften und mit ihrer Familie die Folgen dafür tragen. Zudem ist eine Rufschädigung praktisch nicht zu vermeiden, denn sie wird in der kirchlichen Öffentlichkeit in aller Regel auch ohne konkreten Schuldverwurf für die entstandene Situation haftbar gemacht, während der oder die Dienstvorgesetzte, das Leitungsgremium und Personen in der Gemeindeöffentlichkeit nicht belangt werden können.
Weil diese Regelung, die nach älteren Fassungen des Gesetzes oft als „Ungedeihlichkeitsparagraph“ bezeichnet wird, sehr einfach anwendbar ist, aber gravierende Folgen hat, bedeutet sie faktisch eine nachhaltige Beeinträchtigung der Freiheit des Pfarramtes und hängt stets drohend und einschüchternd über den Betroffenen. Da es anderweitig genügend disziplinarische Möglichkeiten gibt, falls sich eine Pfarrperson was auch immer zu Schulden hat kommen lassen, kann die Folgerung nur lauten: Schafft den Ungedeihlichkeitsparagraphen nach Artikel 79 und 80 des Pfarrdienstgesetzes endlich ab! Er hat lange genug verheerenden Schaden angerichtet und es gibt nicht den geringsten Sachgrund, ihn beizubehalten.
Es gibt aber noch einen weiteren Sachverhalt, der Mobbing in der Kirche gedeihen lässt, und der betrifft nun wiederum alle kirchlichen Arbeitnehmenden, nämlich das Recht der Kirche, eine eigene Gerichtsbarkeit zu unterhalten und sich weitgehend nicht staatlichen Gerichten stellen zu müssen. Es ist eigentlich mit Händen zu greifen, dass die Unabhängigkeit solcher Kirchengerichte kaum wirklich durchzuhalten ist. Es können ja nur Personen Recht sprechen, die sich mit der evangelischen Kirche identifizieren, und da es sich um Personen handelt, die in der Regel in der Gesellschaft eine hohe Reputation genießen, dürfte es zwischen ihnen und den kirchenleitenden Persönlichkeiten genügend Kommunikation und Einvernehmen geben. Man kennt sich und weiß voneinander. Warum sollen sich kirchliche Konfliktparteien nicht vor normalen Gerichten verantworten müssen? Auch die Kirche ist Teil der Gesellschaft, die durch das auf dem Grundgesetz beruhende und für alle geltende Recht bestimmt ist. Mit welchem Recht darf die Kirche sich dem entziehen?
Das Gleiche gilt auf für den unsäglichen „dritten Weg“, der dafür sorgen soll, dass der „Gedanke der christlichen Dienst-gemeinschaft auch in den Verfahrensstrukturen einer Arbeitnehmerbeteiligung an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zum Ausdruck“ kommt, wie es in einem Kommentar 1) dazu heißt. Dort ist auch zu lesen: „Die Dienstgemeinschaft ist danach auf das Miteinander im Dienste Gottes und seines Auftrags an die Kirche gerichtet, so dass es die Gemeinsamkeit des Ziels und der Aufgabe ausschließen, durch offenen Druck gegeneinander eine Änderung der Arbeitsbedingungen erzwingen zu wollen.“ Wieder die Angst vor dem Streit! Angeblich wird eine Art geistliche Dienst-gemeinschaft angestrebt - was aber bei dieser hehren Zielsetzung herauskommt, ist lediglich ein massiver Macht-zuwachs der Kirchenleitung, gegen die offener Druck zur Änderung der Arbeits-bedingungen zu erzwingen ja verboten ist. Die Kirchenleitung ihrerseits muss ja nichts erzwingen - sie kann sich bequem darauf beschränken, Recht zu setzen und Beschlüsse zu fassen - soviel zur „christlichen Dienstgemeinschaft“!
Die Existenz und Notwendigkeit von D.A.V.I.D weist darauf hin, dass in unseren kirchlichen Strukturen und Gesetzen einiges im Argen liegt und sich lähmend auf das kirchliche Leben legt. So lange das so ist, wird es weiterhin in großer Zahl Mobbing-Phänomene geben, die das Leben der Gemeinden nachhaltig beschädigen werden. Deswegen ist D.A.V.I.D keineswegs lediglich eine Selbsthilfeorganisation von kirchlichen Mobbing-Opfern. Vielmehr ist es die Chance dieses hoch engagierten und kompetenten Vereins, dass er einen empfindlichen Nerv trifft, erhebliche Missstände aufdeckt und schließlich Auswege aufzeigt. Unsere Kirchenordnung ist, vor allem, was den Umgang mit den kirchlichen Arbeitnehmenden angeht, von erheblichen Schwächen gekennzeichnet. Jedoch dispensiert uns auch die beste Kirchenordnung der Welt nicht davon, dem Rat meines Superintendenten zu folgen und ins Gespräch zu kommen und zuzuhören. Unvoreingenommen, ohne verborgene Absichten. Auf der vertrauensvollen Ebene gegenseitiger Wertschätzung.
Autor: Stephan Sticherling
Weitere Informationen: https://david-gegen-mobbing.
1)https://www.rechtslupe. de/arbeitsrecht/der-dritte-weg-im-kirchlichen-arbeitsrecht-398289)
Die Hervorhebungen wurden von Joringel vorgenommen.