Lieber Joringel!
Diese Nachricht ist in der Tat kaum zu ertragen. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich solche Äußerungen als skurile Stilblüten einer Minderheit abgetan und beiseite gelegt. Ich dachte, wenn man Ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt und es ablehnt, mit Ihnen zu kämpfen, dann erledigt sich das Phänomen Rechtsradikalismus von allein. Das war im Westen Deutschland sogar über viele Jahre der Konsens. Wir hatten rechten Extremismus schon fast überwunden.
Heute glaube ich das nicht mehr. Es würde mich aber noch viel mehr beunruhigen, wenn jemand schreiben würde: "Heute würde Luther AFD wählen." Die NPD ist eine Splittergruppe. Mit der AFD scheint rechtes Gedankengut wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein.
Nun haben wir am 31.Okt. den Reformationstag vor uns als einen staatlichen Feiertag, den Kirche mit der Gesellschaft gemeinsam gestalten kann. Da wird es darauf ankommen, ob Kirchenleute bereit sind, öffentlich auszusprechen, dass wir uns von Luthers schwierigen antsemintischen Äußerungen distanzieren. Ich denke, dass wir das auch hinkriegen werden. Wie weit das dann in der Gesellschaft wahrgenommen wird, müssen wir sehen.
Ich denke auch, dass sehr viele Menschen in unserem Lande wahrgenommen haben, dass die Werte, die uns in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft wichtig sind, inhaltlich - also theologisch oder philosphisch - begründet sind in der Botschaft der Bibel, die Luther in der Reformation wiederentdeckt hat: Wenn Paulus z.B. in Römer 3 in Luthers Übersetzung sagt: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben" , dann ist in unserer neudeutschen Sprache ausgesagt: " Die Würde des Menschen ist unantastbar!" "Der Mensch kann sich seine Würder nicht selber nehmen, sie ist ihm aber unverbrüchlich gegeben, weil er eben ein Mensch ist. Das will ich unbeirrt glauben." - und dann allen widerstehen, die daran zweifeln.
Schöne aber auch sehr ernste Grüße vom Turmfalken!