Hier spricht eine junge Frau die in zweiter Linie auch Flüchtling ist

Abschied und Ankunft


Abschied

Abschied – zwei Plätze am Tisch bleiben leer,
Vater und Bruder sind auf dem Weg ins Ungewisse.
Der persische Arzt sagt zu meinem Bruder:
„Du musst nach Deutschland gehen, um gesund zu werden,
Du musst, Du musst“
Der kleine Sohn fragt: „Mama, werden wir sie wiedersehen?“

Ungewissheit

Wir begleiten Euch in Gedanken,
Wir klammern uns an jede Hoffnung,
Wir leiden unter jeder bedrohlichen Nachricht,
Gerüchte werden uns zu Keulenschlägen.
Wir weinen und weinen…
Wir fragen uns: „Vater, Bruder werden wir Euch jemals wiedersehen?“

Wege

Ungewiss und schwer sind die Wege,
Schwerer noch die, die ihr mit Schmerzen gehen müsst,
Werden die Kräfte reichen?
Vater und Sohn geben nicht auf – niemals!
Sie gehen und gehen…
Der kleine Sohn fragt: „Papa, Bruder, werde ich Euch wirklich wiedersehen?“


Warten

Wir sind Vier in Teheran und warten.
Die Tage und Nächte sind lang, schrecklich lang…
Wo sind sie? Wie geht es ihnen? Haben sie zu essen und zu trinken?
Gibt es in der Fremde Menschen, die ihnen die Hand reichen?
Wir bangen und bangen…
Wir fragen uns: „Vater, Bruder, werden wir Euch jemals wiedersehen?“

Wunder

Nach Wochen und Monaten haben sie das Ziel erreicht.
Sie haben unwirtliche Wege, Flüsse und das Meer hinter sich gelassen.
Sie liefen in die Arme der Polizei und durften doch weiterziehen,
Ohne die deutsche Sprache sind sie fremd in dem ersehnten Deutschland,
Sie lernen und lernen…
Der kleine Bruder fragt: „Bruder, wann kann ich Dich wiedersehen?“

Aufbruch

Unser Vater warnt: Wartet noch, der Fluchtweg ist voller Gefahren!
Unsere Mutter klagt: Ich vermisse euch zu sehr!
Die Geschwister sagen: Wir wollen zu Vater und Bruder!
Unser Entschluss zum Aufbruch steht fest,
Wir schaffen es, wir werden es schaffen…
Der kleine Bruder sagt: „Ja, wir werden Euch bald wiedersehen“

Ausgeliefert

Taxen, Lastwagen, Wälder und Felder sind unser Zuhause,
Schlepper sind unsere bezahlten Freunde und skrupellosen Feinde,
Polizisten und Grenzwächter sind unsere Schrecken,
Hunger und Durst unsere treuesten Begleiter,
Wir kämpfen und kämpfen…
Der kleine Bruder sagt: Ich halte durch bis wir uns wiedersehen!

Ankunft

Unser Wiedersehen ist das größte Geschenk unseres Lebens!
Vorsichtig setzen wir unsere Füße in das ersehnte Land!
Hoffnung auf Zukunft ist die Kraft, die uns antreibt.
Wir spüren sie, wir spüren sie…
Der kleiner Bruder sagt: Danke, dass wir hier für immer zusammenbleiben dürfen!


Verfasserin N. F.
Das Gedicht entstand im Rahmen einer Schreibwerkstatt
Sie war 11 Jahre alt als Vater und (kranker) Bruder sich allein auf den Weg machten.

sehr gut geschrieben und für uns alle einfach unvorstellbar