Liebe WegeM!
Deine authentischen Berichte von den Pediga Demonstrationen in Dresden habe ich aufmerksam gelesen. Sie sind wertvoll, weil wir selber nicht so dicht rankommen und weil die Berichterstattung der Medien ausführlich, aber eben auch einseitig ist.
Du magst Dich vielleicht gewundert haben, dass bisher im Forum auf deine Äußerungen so wenig geantwortet wird. Ich vermute, die anderen Beteiligten finden es schwierig, hier Stellung zu beziehen. Es wird vermutlich auch keine gemeinsame Stellungnahme des Vereins D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der Evangelischen Kirche e.V. geben. Das wäre zu schwierig und ist auch nicht wirklich die Aufgabe des Vereins und dieses Forums. Gemeinsam haben wir vielleicht alle, dass wir kritische Geister in dieser Gesellschaft sind und jeder auf seine Weise Opfer von psychischer oder institutioneller Gewalt.
Ich selber hatte Dir schon vor einigen Wochen eine Antwort versprochen. Das will ich nun wahrmachen. Es ist aber eine persönliche und sehr subjektive Meinungsäußerung.
Ich tue dies mit einer Vorerfahrung, die nicht alle Menschen im Lande so habe: Ich habe mehrere Jahre meines Lebens in Übersee gearbeitet und habe dabei als Gemeindepastor mit Menschen zu tun gehabt, die unter sehr viel ärmeren Lebensverhältnissen zu recht kommen müssen als bei uns. Ebenso habe ich aber auch lange Zeit in unserem reichen und so gut organisierten Deutschland als Pastor gearbeitet.
Ich selber bin finanziell gut versorgt und auch mein Ruhestand ist abgesichert. Mir stehen aber Menschen nahe, die auf die Unterstützung des Sozialstaates angewiesen sind und sehr viel größere materielle Not leiden würden, wenn es bei uns keine Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung und Sozialhilfe geben würde.
Ich habe als Pastor erwachsenen Flüchtlingen aus Islamischen Ländern Taufunterricht gegeben. Sie hatten sich eigenständig an mich gewandt und darum gebeten, den Islam hinter sich lassen zu dürfen und sich dem christlichen Glauben zuwenden zu dürfen. Ebenso habe ich aber auch sehr freundschaftliche Kontakte mit Menschen islamischer Religion, die als Moslems friedlich in unserem Lande leben und sehr gut integriert sind.
Zu der Bewegung PEDIGA möchte ich keine ausführliche Stellung nehmen sondern nur inhaltlich zu den Themen, die von den Demonstranten in Dresden und anderswo im Lande vorgebracht werden.
Dabei ist zumindest im Westen Deutschlands das Kräfteverhältnis sehr klar. Die große Mehrheit unserer Bevölkerung möchte in einem offenen und freien Land leben, in dem die Würde aller Menschen geachtet wird, unabhängig von der Herkunft, Kultur und Religion des Einzelnen.
Ich erlebe Menschen, die sich unter großem persönlichem Einsatz um eine Willkommenskultur bemühen. Kirchengemeinden öffnen ihr Räume, die vormittags leer stehen, damit Deutschkurse für Flüchtlinge stattfinden können, die von ehrenamtlichen Rentnern geleitet werden. Kirchenvorstände beschließen einstimmig Kirchenasyl zu gewähren, um Menschen, die bei uns Leben, vor einer Abschiebung zu bewahren. Das würden sie nicht tun, wenn es bei uns eine allgemeine Grundstimmung von Ausländerfeindlichkeit und Furcht vor einer "Islamisierung des Abendlandes" geben würde.
Die Mehrheit der Meinungsträger unseres Landes hat sich auf beeindruckende Weise positioniert. Am vergangenen Montag wurde am Kölner Dom das Licht ausgestellt, um die Pediga Demonstranten im Dunkeln stehen zu lassen. Am kommenden Montag wird es in Hannover an der Oper genauso sein. Bischöfe, Ministerpräsidenten und Gewerkschaftler zeigen sich gemeinsam in der Öffentlichkeit, um zu zeigen, dass wir in unserem Lande keinen Ablehnung oder Ausgrenzung von Menschen anderer Völker und Kulturen haben wollen. Wir wollen ein freies und offenes Land sein und uns nicht ängstlich abschotten.
Dennoch meine ich, 18 000 Demonstranten in Dresden sind keine Kleinigkeit. Wir müssen das ernst nehmen. Diese Demonstranten sind keine Mehrheit im Lande, aber doch ein beachtliche Bewegung. Wir sollten zuhören und versuchen zu verstehen, wie eine solche so entschieden vorgetragene Meinungsäußerung zustande kommt.
Ich möchte hier einige thesenartige Anmerkungen aus meinem persönlichen Erfahrungshorizont beisteuern:
Die Not in den armen Ländern in der weiten Welt in Afrika, Lateinamerika, im nahen und mittleren Osten, in Syrien, in Heiligen Land, in der Ukraine und in Bangladesch ist sehr viel schlimmer, als die meisten Menschen sich das bei uns überhaupt nur vorstellen können.
In einem Flyer von Caritas international und der Diakonie Katastrophenhilfe findet man die Zahlen allein von Syrien: 9 Millionen Menschen sind vor dem Krieg geflohen oder sind vertrieben worden. Davon leben 6,5 Millionen in provisorischen Unterkünften in Syrien, die Anderen sind in die Nachbarländer geflohen, davon 1 Millionen in den Libanon, 600.000 nach Jordanien, 700.000 in die Türkei und 200.000 in den Irak. Das bedeutet ein unbeschreibliches Elend besonders jetzt im Winter. Die Länder, die diese Flüchtlingsströme aufnehmen müssen, sind damit hoffnungslos überfordert. Unsere Spenden können helfen, die Not zu lindern. Zu bewältigen sind die Probleme vor Ort nicht.
200.000 Flüchtlinge sind im Laufe des Jahres 2014 nach Deutschland gekommen und müssen hier aufgenommen werden. Das sind weit mehr als in früheren Jahren. Es ist aber eine verschwindend kleine Zahl im Vergleich zu der großen Masse, die keine Möglichkeit hat, nach Europa zu gelangen. Wer es auf gefährlichen Wegen bis zu uns geschafft hat, ist entweder ganz besonders hartnäckig, widerstandsfähig und intelligent, oder er hat Geld, um Schleuser zu bezahlen, die ihm bei der Flucht geholfen haben. Dass es dabei unbeschreiblich brutal zugehen kann, haben wir an den Flüchtlingsschiffen im Mittelmeer drastisch vor Augen geführt bekommen.
Deutschland und Mitteleuropa ist im Weltmaßstab eine Insel der Glückseligkeit. Bei uns gibt es soziale Absicherung für alle Menschen, die bei uns leben. Wir haben in vielen Regionen unseres Landes Vollbeschäftigung. Die Statistiken weisen aus, dass in vielen Branchen Arbeitskräfte gesucht werden. Es gibt mehr Firmen, die Mitarbeiter suchen, als Arbeitslose, die nach Arbeit suchen. Wir sind grundsätzlich ein Rechtsstaat. Wir müssen nicht damit rechnen, dass Polizei und andere Vertreter des Staates in ihrer Mehrheit korrupt sind und nur darauf warten, bestochen zu werden. Es gib bei uns demokratisch gewählte Regierungen, die auch die Einflussmöglichkeiten haben, demokratisch gefasste Beschlüsse ohne ausufernde Gewalt durchzusetzen. Es gibt Pressefreiheit und damit eine offene allgemeine Diskussion über alle Fragen der Gesellschaft, an der jeder sich frei beteiligen kann. Wenn man Unrecht erleidet, kann man sich in der Regel an Gerichte wenden und sich darum bemühen, Recht zu bekommen. Es gibt Chancen auf Bildung für jedermann. Wer krank ist, bekommt die medizinische Behandlung, die nötig ist. Die Solidargemeinschaft sorgt dafür, dass das auch finanziell möglich ist.
Das sind für die Millionen, die in den armen Ländern in Übersee leben, paradiesische Zustände. Und für Flüchtlinge in einem Bürgerkriegsgebiet ist es wie der Traum vom Paradies. Da ist es nur zu verständlich, dass junge Leute in Afrika oder Asien davon träumen, nach Mitteleuropa zu gelangen.
Dennoch ist die Zahl der Menschen, die auf der Flucht oder aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen möchten, so riesig, dass wir Probleme bekommen, wenn die Zuwanderung zu schnell geht.
Wir können die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Standards , die bei uns bisher üblich sind, nur halten, wenn es gelingt, die Menschen, die zu uns kommen, auch zu integrieren. Das heißt, sie müssen die Gelegenheit bekommen, Deutsch zu lernen; Sie müssen bei uns zur Schule gehen dürfen und eine Ausbildung machen können; es muss für gesunde Lebensbedingungen gesorgt sein, für ausreichend Wohnraum, für soziale Absicherung, medizinische Behandlung, Altersversorgung. Dazu gehört auch, dass jeder die Freiheit haben muss, sein Leben in der Kultur zu gestalten, die ihm angemessen ist. Wenn Menschen zu uns kommen, um in unserem Lande zu wohnen, dann bringen sie selbstverständlich ihre Sprache, ihre Ernährungsgewohnheiten und auch ihre Religion mit. Unsere Verfassung bietet eindeutig Schutz dafür, daß dies auch möglich ist.
Nun gibt es aber auch in unserer einheimischen deutschen Bevölkerung große soziale Unterschiede und alle erdenklichen Mißstände: Menschen leiden unter Gedankenlosigkeit, Willkür und Gewalt von Behörden. Es gibt Mobbing in Firmen, organisierte Kriminalität im großen Stil. Und es gibt einzelne böse Menschen, die im Nahbereich ohne Skrupel ihren Mitmenschen schaden. Die Beispiele, die wir von Dir, wegeM hier im Forum in den vergangenen Monaten vorgestellt bekommen haben, sind sicherlich so real, wie du sie beschrieben hast. Und es müsste nicht D.A.V.I.D. geben, wenn die Kirche und die Diakonie davon ausgenommen wären.
Es gibt auch bei uns ungerechte Bezahlung für Nerven aufreibende und ungesunde Arbeit. Es gibt eine bedrückende Abhängigkeit von der Wirtschaftmacht der großen Konzerne, die nur danach fragen, wie sie ihren eigenen Gewinn steigern können, und die am Wohlergehen der Menschen nicht interessiert sind. Und es gibt Regionen, aus denen die Menschen abwandern, weil die Verkehrswege eine Belebung der Wirtschaft erschweren. Dies gilt für die ländlichen Regionen; und selbst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung gilt es wohl in besonderem Maße immer noch für die östlichen Gebiete unseres Landes. Ob die Stadt Dresden in diesem Sinne ein Brennpunkt ist, weiß ich nicht.
Ich höre die Stimme der Demonstrationsbewegung von Pediga vor allem als einen Schrei nach Chancengleichheit und Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen, die in unserem Lande bisher weniger Möglichkeiten haben als die meisten. Diese Stimme müssen wir hören und deshalb hier in unserer Gesellschaft deutlich nachbessern.
Einer drohenden Überfremdung und Islamisierung Europas für die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft die Schuld zu geben, ist aber ein Irrtum. Wir müssen deshalb alles daran setzen, die Spannungen in unserer Gesellschaft, die in den Pediga Demonstrationen sichtbar werden, abzubauen.
Viele Grüße vom Turmfalken