Liebes David-Forum,
Ich schildere im Folgenden meine Situation mit der Bitte um Hilfe und Hinweise.
Ich arbeite seit etwas mehr als einem Jahr in Teilzeit in einer Kirchengemeinde im Osten Deutschlands. Die Gemeinde ist eine Fusionsgemeinde aus mehreren Teilen. Die Zusammengehörigkeit der Teile existiert meiner Ansicht nach leider nur auf dem Papier, was ich und meine Kollegen mitunter leidvoll zur Kenntnis nehmen müssen. Neben mir arbeiten mehrere weitere Angestellt in Teilzeit und Vollzeit.
Seit geraumer Zeit bemerke ich Veränderungen an mir selbst, die ich nicht für möglich gehalten habe. Dazu gehören extreme Stimmungsschwankungen, geringe Belastbarkeit ("nah am Wasser gebaut sein"), das Gefühl wie überfahren zu sein, geringe Stresstoleranz. Diese Dinge belasten zunehmend mein Familienleben. Ich habe mich gefragt, was die Ursache dafür sein könnte und habe für mich mein Arbeitsumfeld ausgemacht. Dies geschah vor allem dadurch, dass ich neben meiner Anstellung noch freiberuflich bin. Ich lebe momentan wie in zwei Welten: in der Freiberuflichkeit mit Teamwork, gemeinsamen Zielen und Anerkennung und in der Anstellung eine sehr frustierende Situation ohne all dies.
Mitunter habe ich in meiner Anstellung das Gefühl ohnmächtig oder unfähig zu sein. Viele der klassischen Kernaufgaben meines Berufsfeldes waren schon vor Stellenantritt langjährig in den Händen Ehrenamtlicher und sind diesen natürlich auch aus gemeindepädagogischen Gründen nicht zu nehmen. Es entsteht aber das Gefühl bei mir, dass ich das fünfte Rad am Wagen bin. Dazu kommen Probleme mit Kollegen.
Ich bin allerdings verunsichert: Woher kommen die Stresssymptome? Ist das Mobbing? Ist das nur ein rauer Ton unter den Kollegen? Aber vielleicht etwas genauer:
Besonders extrem sind die oben beschriebenen Symptome nach der wöchentlichen Dienstberatung. Manchmal brauche ich 2-3 Tage um mich von diesem Impact zu erholen.
Ich erlebe in den Dienstberatungen eine starke Führungslösigkeit seitens meiner Vorgesetzten, die offen zusehen, wenn sich Kollegen gegenseitig "anzicken". Solches bleibt immer unkommentiert. Es herrscht mitunter ein sehr abfälliger Ton, Kollegen fallen sich gegenseitig ins Wort, für Kommunikation herrscht keine Kultur. Ein Kollege, der bereits sehr lange in der Gemeinde tätig ist zeigt und sagt offen, dass er die Dienstberatung für sinnlos erachtet. Ich habe das Gefühl, von meinen Kollegen mit Fragen konfrontiert zu werden, die meine Arbeit in Frage stellen ("Findet denn Veranstaltung XY überhaupt statt?", "Was wird denn da geboten?"). Ich habe auch das Gefühl von meinen Kollegen mit Informationen versorgt zu werden, die Bereiche betreffen für die ich nicht zuständig bin oder mit Informationen deren sachlicher Inhalt für mich nicht zu erkennen ist: ("Ihr Vorgänger ist sehr enttäuscht, dass Sie Ihn jetzt ersetzt haben.."). Allerdings haben meine Kollegen eine große Unzuverlässigkeit mit meinem Vorgänger erlebt. Dinge, die für mich selbstverständlich zu meinen Tätigkeiten gehören und von mir erledigt werden, werden von dafür nicht zuständigen Kollegen erfragt als ob man sich darüber erst grundsätzlich Gedanken machen muss. Ich fühle mich immer wieder von Kollegen angegriffen, vor allem muss ich sagen, dass hier "der Ton die Musik macht" und manche Fragen so gestellt werden, dass ich das Gefühl habe :"jemand springt gleich mit einem Messer auf mich los". Es gibt auch Situationen in denen ich mich körperlich bedrängt fühle, etwa wenn Kollegen sich von hinten nähern und in einem sehr unangenehmen Ton sehr leise grüßen und ich dies erst sehr spät bemerke und erschrecke oder ähnliches.
Zum Punkte Führungslosigkeit in der Gemeinde: Von Seiten des Arbeitgebers kommen in den Dienstberatungen keine Vorgaben (keine Vision, kein Leitbild). Dies führt dazu, dass sich Kollegen mit und über ihre Privatmeinungen streiten. Aktuelle Themen, die von anderen Initiativen einfach angepackt werden (Flüchtlingshilfe z.B.) werden als angeblich nicht durchdacht wegdiskutiert. Im Arbeitsalltag gibt es einige strukturelle Probleme: ein gemeinsam geführter funktionierender Dienstkalender oder eine Jahresplanung gibt es nicht. Meine Versuche solche Dinge einzubringen werden meiner Meinung nach gestört, z.B. in dem von mir vorgeschlagene Schulungen zu solchen Themen als unnütz abgelehnt werden (von Kollegen): Mir erscheint es als würde ich bei meinen Kollegen da "neumodischer Quatsch aus dem Westen" einführen wollen. Es herrscht eine große Unzuverlässigkeit mit dem Arbeitgeber: Absprachen gelten am Ende nicht und führen zu Einbußen an der Qualität inhaltlicher Arbeit. Vereinbarte Honorare wurden mir wegen Schludrigkeiten nicht oder mit Verzug von 6 Monaten gezahlt.
Ich fühle mich in dieser Situation verständlicherweise nicht wohl und habe mich entschieden meine Stelle bald zu wechseln und suche bereits seit April '15 nach einer neuen Stelle. Glücklicherweise gibt es einige Perspektiven auch in absehbarer Zeit. Ich habe mich entschieden Beratung bei Menschen zu suchen, die sich mit dem Thema "Mobbing" beschäftigen. Auf der Suche nach Beratungsangeboten bin ich hier gelandet. Ich bin einfach noch unsicher, ob ich das erlebte als "Mobbing" sehen darf/muss oder ob es sich einfach um einen Gruppenkonflikt handelt, der seine Ursache in einer fehlenden Führung hat. Ich denke zu allem hinzu kommt auch ein Mentalitätsproblem. Ich stamme selbst aus dem Osten, bin auch so sozialisiert. Mein Studium und meine ersten Berufserfahrungen habe ich im Westen gemacht und bin nun zurück. Auf vorhergehenden Stellen war es für mich üblich, sich auf den Dienstberatungen gegenseitig aus dem eigenen Arbeitsalltag zu erzählen. Meine späte Erkenntnis ist, dass dies bei meinen jetzigen Kollegen als "monkey dance" wahrgenommen wird, also als würde ich dick auftragen und mich profilieren wollen, einfach weil sie es vielleicht nicht kennen, sich voneinander zu erzählen oder ehrlich zu sagen, was sie denken.
Nun bin ich dankbar für alle Hinweise, Tipps und Verhaltensanregungen!
eresin