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  • Mobber-VerhaltenDatum10.11.2014 13:26
    Thema von KlerusKA im Forum Bibliothek

    Nach der Lektüre des folgenden Briefes aus der Literatur wird dem einen oder der anderen Betroffenen sofort ein Name einfallen:

    Sehr zu achtender Herr!
    Die eigenartige Anrede dürfte Ihnen die Gewißheit beibringen, daß der Absender Ihnen ganz kalt gegenüber steht. Ich weiß, daß Achtung vor mir von Ihnen und denen, die Ihnen ähnlich sind, nicht zu erwarten ist; denn Sie und die, die Ihnen ähnlich sind, haben eine übergroße Meinung von sich selber, die sie verhindert, zur Einsicht und zur Rücksicht zu kommen.
    Ich weiß mit Bestimmtheit, daß Sie zu den Leuten gehören, die sich groß vorkommen, weil sie rücksichtslos und unhöflich sind, die sich mächtig dünken, weil sie Protektion genießen, und die weise zu sein meinen, weil ihnen das Wörtchen „weise“ einfällt.
    Leute wie Sie erkühnen sich, gegenüber der Armut und gegenüber der Unbeschütztheit hart, frech, grob, und gewalttätig zu sein. Leute wie Sie besitzen die außerordentliche Klugheit, zu meinen, daß es notwendig sei, überall an der Spitze zu stehen, allerorten ein Übergewicht zu besitzen und zu jeder Tageszeit zu triumphieren. Leute wie Sie merken nicht, daß das töricht ist, daß das weder im Bereich der Möglichkeit liegt, noch wünschenswert sein kann.
    Leute wie Sie sind Protzen und sind jederzeit bereit, der Brutalität eifrig zu dienen. Leute wie Sie sind überaus mutig darin, daß sie jeden wahren Mut sorgfältig vermeiden, weil sie wissen, daß jeder wahre Mut Schaden zu bringen verspricht, und sie sind mutig darin, daß sie sich stets als die Guten und Schönen hinzustellen mit ungemein viel Lust und ungemein viel Eifer bekunden.
    Leute wie Sie respektieren weder das Alter noch das Verdienst noch ganz bestimmt die Ar-beit. Leute wie Sie respektieren das Geld, und der Respekt vor dem Geld verhindert sie, irgendetwas anderes hochzuhalten. Wer redlich arbeitet und sich emsig abmüht, ist in den Augen von Leuten wie Sie ein ausgesprochener Esel. Ich irre mich nicht; denn mein kleiner Finger sagt mir, daß ich Recht habe.
    Ich wage Ihnen ins Gesicht hinein zu sagen, daß Sie Ihr Amt mißbrauchen, weil Sie recht gut wissen, mit wieviel Umständen und Unannehmlichkeiten es verbunden wäre, Ihnen auf die Finger zu klopfen; aber in der Huld und Gnade, in der Sie stecken, und von günstigen Voraussetzungen umgeben, sind Sie dennoch höchst angefochten; denn Sie fühlen ohne Zweifel, wie sehr Sie schwanken.
    Sie hintergehen das Zutrauen, halten Ihr Wort nicht, schädigen ohne Besinnen den Wert und das Ansehen derer, die mit Ihnen verkehren, beuten schonungslos aus, wo Sie Wohltat zu stiften vorgeben, verraten den Dienst und verleumden den freundlichen Diener, sind höchst wankelmütig und unzuverlässig und zeigen Eigenschaften, die man an einem Mädchen, nicht aber an einem Mann, eilig entschuldigt.
    Verzeihen Sie, daß ich mir erlaube, Sie für sehr schwach zu halten, und genehmigen Sie mit der aufrichtigen Versicherung, daß ich es für rätlich halte, Ihnen in Zukunft geschäftlich völlig fernzubleiben, das immerhin erforderliche Maß und den absolut gegebenen Grad von Achtung von einem Menschen, dem die Auszeichnung und das freilich bescheidene Vergnügen zufielen, Sie kennenzulernen.
    Robert Walser (1878-1956), Brief aus „Der Spaziergang“ (1917)

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